Im April habe ich mich in diesem Blog gegen
die vor allem in westlichen Medien weit verbreitete Auffassung (oder Hoffnung)
gewandt, zwischen Präsident Medwedjew und Premierminister Putin zeigten sich
zunehmende Spannungen, die beiden begännen tatsächlich darum zu konkurrieren,
wer nach 2012 Präsident sein darf, ja es gäbe eine Art Ringen um einen eher
„liberalen“ oder eher „national-konservativen“ Kurs zwischen ihnen.
Da, was so aussah wie ein Vorwahlkampf, habe
ich in Anlehnung an die „gelenkte Demokratie“ den Versuch genannt, „gelenkte
Konkurrenz“ innerhalb des gegenwärtigen autoritären Systems zuzulassen. Dazu,
so meine These, gehöre dann auch das ganze aus Demokratien bekannte politische
Spektrum mit den entsprechenden liberalen, konservativen, kommunistischen,
sozialdemokratischen und sonstigen Parteien (nur mit Grünen seiht es schlecht
aus im Kreml-Parteien-Park).
Das war im April. Heute muss ich mich
korrigieren. Es gibt keine „gelenkte Konkurrenz“. Es gibt überhaupt keine Konkurrenz,
es sei denn, eine imitierte. Ich sehe ein, dass auch bei mir zumindest zum Teil
der Wunsch der Vater der Argumentation war, der Wunsch, es müsse sich doch
etwas ändern in einem Land, in dem inzwischen (fast) alle davon ausgehen, dass
sich etwas ändern muss.
Nun ist es – eine banale Weisheit – natürlich
immer viel einfacher, zu dem Schluss zu kommen, dass sich etwas ändern muss,
als tatsächlich etwas zu ändern. Das gilt umso mehr, wenn diejenigen, die in
der Lage wären etwas zu ändern, auch diejenigen sind, die am meisten zu
verlieren haben.
Das Problem der momentan Macht Habenden ist
das sogenannte Perestrojka-Problem, an dem schon Gorbatschow vor gut zwanzig
Jahren gescheitert ist (wenn man als Scheitern versteht, dass die Sowjetunion
zerfallen ist und Gorbatschow samt der KPdSU ihre Macht verloren haben). Auch
damals gab es wie heute die Erkenntnis, dass es so, das betraf vor allem die
Wirtschaft, nicht weiter gehen könne. Das Problem war nun, genug zu ändern,
dass der „Tanker Sowjetunion“ davon auch in eine andere Richtung bewegt wird,
aber nicht zuviel um ihn auf Grund laufen zu lassen.
Gorbatschow versuchte erst vorsichtige
Reformen, die aber wenig bewegten. Mit energischeren Schritten öffnete er dann
die Büchse der Pandora und die Reformbewegung überrannte ihn und die
Sowjetunion gleich mit. Das wollen Putin, Medwedjew und Co natürlich tunlichst
vermeiden. Die Angst vorm Volk ist groß. Und das wichtigste Kriterium jeden
Schritts ist, dass die Frage „Könnte das uns gefährlich werden?“, mit nein
beantwortet wird. Im Ergebnis gibt es nur Worte, aber keine Taten.
Nun haben aber die vergangenen zwölf Jahre
gezeigt, dass, bei einigermaßen wirtschaftlicher Konjunktur (nicht dass es
aufwärts ginge, aber für den Krebsgang reicht es wohl noch eine Weile), mit dem
richtigen Narrativ viel verdeckt werden kann. Das Narrativ der ersten Amtszeit
Putins war „den Staat wieder handlungsfähig machen“, also die berühmte
„Machtvertikale“ wiederherzustellen. Die zweite Amtszeit wurde vom Motto
begleitet, man müsse den Erfolg der ersten ausbauen. Den Übergang zu Medwedjew
wurde mit der Notwendigkeit von Kontinuität begründet – die dann aber vor allem
durch Putin als Premier bekräftigt werden musste.
Schon diesem letzten Narrativ traute der Kreml
selbst nicht ganz. Zum Wahlkampf wurden daher viele nationalistische und
großmachtsprecherische Keulen geschwungen. Diese „Wir-sind-wieder-wer-Methode“
ging auch ganz gut auf. Doch inzwischen war die Finanzkrise, die
Wiederannäherung an den Westen (EU, USA, NATO) und die eben doch nicht so
rosigen Wirtschaftsaussichten. Also muss auch deshalb wieder etwas Neues her.
Mit dem Wort „Modernisierung“ (das allerdings
schon kaum noch jemand hören kann), fing es an. Ein wirtschaftliches
Großprojekt nach dem anderen wurde aus der Taufe gehoben (was aber über die
Wachstumsfähigkeiten der Täuflinge nicht viel aussagt). Erst gestern sprach
Putin davon, Russland sei nun fit und bereit für einen eigenen Teilchenbeschleuniger
wie den beim CERN in Genf (davor zum Beispiel: viele neue AKWs, Skolkowo. Früher:
Nanotechnologie). Nun, wo die Wahlen näher kommen, braucht es aber auch den geeigneten
liberal-politischen Überbau. Des Wahlkampfs (der weniger ein Kampf um die
Mehrheit, als ein Kampf um eine hohe Wahlbeteiligung, sprich Legitimation ist).
Und flugs waren wieder ein paar liberale Projekte geboren.
Dazu gehört natürlich die Milliardärspartei „Gerechte
Sache“, angeblich oppositionell, mit Michail Prochorow an der Spitze. Prochorow
ist, nachdem zuvor der Medwedjewwirtschaftsberater Dworkowitsch und
Finanzminister Kudrin aussortiert worden sind, eine vielversprechende Wahl:
Unternehmend, politisch unerfahren, wie alle Großunternehmensbesitzer seit
Chodorkowskij am engen Gängelband geführt, dazu noch jederzeit dem Volk als
übler Neukapitalist zum Fraß vorwerfbar.
Die Gründung einer womöglich realen
oppositionellen Kraft, der von den vier Ex-Politikern Michail Kasjanow, Wladimir
Ryschkow, Wladimir Milow und Boris Nemzow (über deren Kellerleichen – bis auf den
für russische Politiker erstaunlich sauberen Ryschkow – soll hier und heute
geschwiegen werden) gegründete „Partei der Freiheit des Volkes“ (Parnas), wurde
vor zehn Tagen mit lächerlichen Begründungen von der Zentralen Wahlkommission nicht
zugelassen.
Auch die angekündigte Senkung der
gegenwärtigen 7-Prozent-Hürde bei Dumawahlen auf fünf Prozent ist so unernst
wie die Ankündigung der Steuersenkung für 2013 durch die gegenwärtige
Bundesregierung: Sie soll jetzt Hoffnung schaffen, aber keine wirkliche Politik
werden.
Das Erstaunliche ist aber, dass sie damit
wieder durchzukommen scheinen. Ein Beispiel dafür sind viele Analysen und
Äußerungen, Medwedjew müsse „vorsichtig agieren“, wegen Putin und all der
Falken um ihn herum und habe deshalb bisher so wenig umsetzen können.
Mein
Schluss: Entweder kann er also nicht oder er will nicht. Warum sollte sich das
(das eine ebenso wie das andere) nach
den nächsten Wahlen ändern?
Viele setzen deshalb schon eher wieder auf Putin.
Da wisse man wenigstens, woran man sei. Zumindest aber ist der Schluss weit
verbreitet, dass es keinen wirklichen Unterschied mache, ob nun Putin oder
Medwedjew, weil Putin als Präsident mit einem liberalen Premier regieren werde,
Medwedjew aber weiter mit Putin.
Das Ende dieses Liedes (das hoffentlich so
doch nicht gesungen werden wird) wäre wahrscheinlich eine weitere Verstärkung
der vom Levada-Zentrum schon jetzt diagnostizierten „dritten Auswanderungswelle“
(nach 1991/1992 und 1998): Die einen erkundigen sich, wie Visa, Arbeitsgenehmigungen
und Arbeit im Westen (oder auch in China) zu erlangen sind, die anderen gehen
den Weg in die innere Emigration weiter. Keine guten Aussichten.