Michail Fedotow, Sekretär der Union der Journalisten Ruslands, wurde gestern von Präsident Medwedjew per Ukas zum
Nachfolger von Ella Pamfilowa als Vorsitzender des (ich nutze hier und weiter
der Einfachheit halber die lesbare, nicht die offizielle Bezeichnung) Rats für
Zivilgesellschaft und Menschenrechte ernannt. Damit geht ein mehr als
zweimonatiges Interregnum zu Ende, in dem sowohl die Existenz des bisher
„Pamfilowa-Rat“ genannten Gremiums als auch sein Ausrichtung auf dem Spiel
standen.
Die Intrige war, kurz geschildert, folgende:
Ella Pamfilowa hatte Alexander Ausan als ihren Wunschnachfolger öffentlich
benannt. Ausan ist Wirtschaftsprofessor an der Moskauer Staatuniversität,
Gründer und Vorsitzender des Instituts Nationales Projekt „Gesellschaftsvertrag“
und praktisch so etwas wie der Chefverhandler der unabhängigen russischen
NGO-Szene (also derjenigen zivilgesellschaftlichen Vereinigungen, die den Staat
und seine Politik kritisieren, sich aber als Organisationen nicht – als
Personen aber mitunter durchaus – der politischen Opposition zurechnen)
gegenüber dem Kreml. Das und die fast einhellig Unterstützung aus dem Rat
heraus – 28 der 31 Mitglieder hatten sich für Ausan ausgesprochen – machte
seine Kandidatur beides: Folgerichtig und für den Kreml schwer annehmbar. Die
öffentliche Ankündigung setzte den Kreml zudem unter einen Zwang, dem die
dortigen Strategen aller Erfahrung nach sehr ungern nachgeben.
Gleichzeitig hat Präsident Medwedjew mit Blick
auf seine Modernisierungsagenda und die seit einiger Zeit wieder besser
werdenden Beziehungen zum Westen ein großes Interesse daran, den Rat, dieses
wichtige Kommunikationsglied in die Gesellschaft, zu erhalten. Die Ernennung
einer Person von außen oder aus einer kremlnahen NGO wäre als weiterer Schritt zu
weniger Offenheit gewertet worden und hätte den Rat desavouiert, auch weil wohl
viele der dort bisher mitarbeitenden VertreterInnen unabhängiger NGOs
ausgetreten wären. Der Rat hätte viel an Legitimität verloren und wäre zu einer
zweiten „Gesellschaftskammer“ geworden, einem handzahmen Haus- und Hofgremium,
also nutzlos.
Mit der Ernennung Michail Fedotows versucht
Medwedjew nun einen Ausweg aus dieser Interessenkollision, einerseits nicht als
Hündchen dazustehen, dessen Schwanz mit ihm wackelt, andererseits aber den Rat
in seiner bisherigen Funktion zu erhalten. Das Wichtigste: Der neue Vorsitzende
hat eine makellose politische Nicht-Putin-Biographie. Er ist Vizepräsident von
INDEM, einer Stiftung, der Georgij Satarow vorsitzt. Satarow ist einer der klarsten
und wohl auch furchtlosesten Kritiker des von Putin aufgebauten politischen
Regimes, dem Medwejew jetzt formal vorsitzt. Zusammen mit Memorial und dem
Institut nationales Projekt „Gesellschaftsvertrag“ organisiert INDEM die
sogenannten „Chodorkowskij-Lesungen“, halbjährliche Moskauer Konferenzen, in
denen über, so die Oberüberschrift über „Russische Alternativen“ zum
gegenwärtigen politischen Weg Russlands nachgedacht wird.
Fedotow ist einer der Autoren der russischen
Verfassung von 1993. Er war bis 1993 Minister für Druck und Information und
dann bis 1998 Botschafter Russlands bei der UNESCO. Er war Mitglied im
Parteirat der inzwischen aufgelösten „Union der Rechten Kräfte“ und
gehörte dem „Komitee 2008 – freie Wahl“ an (Vorsitzender Garri Kasparow), das
sich für frei und faire Wahlen einsetzte und später in der oppositionellen Koalition
„Das andere Russland“ aufging“.
Als Schwerpunkte seiner künftigen Arbeit hat Fedotow
in ersten Erklärungen die „Entstalinisierung des öffentlichen Bewusstseins“,
die Justiz- und Milizreform sowie den Kinderschutz genannt. Das sei mit
Medwedjew so abgesprochen. Fedotow sagte, der Rat werde sich auch des Falls des
im vorigen November in Untersuchungshaft gestorbenen Anwalts Sergej Magnizkij
und der Auseinandersetzung um den Autobahnbau durch den „Wald von
Chimki“ annehmen. Magnizkij hatte für die britisch-US-amerikanische Investmentfirma
Hermitage Capital Investment gearbeitet, die wohl von einer kriminellen Bande
innerhalb des russischen Innenministeriums benutzt wurde, um den russischen
Staat um 250 Millionen US-Dollar Steuern zu betrügen. Im Gefängnis wurde
Magnizkij systematisch Gesundheitsgefahren ausgesetzt und starb, körperlich stark
geschwächt und ohne medizinische Versorgung, an einem Herzanfall.
Alexander Ausan hat, gute Miene machend, die
Ernennung Fedotows öffentlich gelobt. Der sei ein guter Mann, mit dem er in
wesentlichen Punkten überein stimme. Die Ernennung zeige auch, so Ausan, dass
der Rat eine eigenständige, zivilgesellschaftliche Kraft bleiben werde, was im
Fall der Ernennung eines „Beamten von außen“ in Frage gestanden
hätte. Auch Fedotow will Ausan weiter einbinden. Er hat ihm die Leitung einer
von zwei noch einzurichtenden Arbeitsgruppen des Rates angeboten, die sich mit
der Förderung der Zivilgesellschaft in Russland beschäftigen soll (die zweite
wird sich mit Menschenrechten befassen).
Gewonnen haben könnten diesmal, selten in
Russland, beide Seiten. Der Rat macht weiter unter einem anerkannt integren
Vorsitzenden. Der Kreml hat seine wichtige Funktion als quasi-oppositionelles
Korrektiv und Kommunikationskanal anerkannt, vielleicht sogar gestärkt. Im Gegenzug
bleibt es der Präsident, der den Vorsitzenden oder die Vorsitzende bestimmt. Ein
wichtiger Teil der gesprächsbereiten Opposition ist weiter eingebunden und auch
nach außen konnte demonstriert werden, dass Medwedjew es mit der Modernisierung
zumindest ein wenig ernst meint. Fedotow paraphrasiert ihn in einem Interview heute
in der Tageszeitung Isvestija: „Der Präsident hat das Wichtigste gesagt, dass er
den Rat zur Verwirklichung seiner mit der Modernisierung verbundenen Ideen braucht.“
Bleibt nur die Hoffnung, dass das nicht nur propagandistisch gemeint ist.