Neulich beim Petersburger Dialog in Kassel habe ich es zuerst gehört. „Die drei Siege Putins“ sagte ein russischer Teilnehmer der Arbeitsgruppe Politik. Gemeint waren außenpolitische Erfolge: Snowden, Syrien, die Ukraine. Mancher mischte auch den Iran mit rein. Weitere folgten. Gemeint war, dass Russland nun dank Putin endgültig zurück sei auf der ganz großen Bühne der Weltpolitik. Gemeint war, an die Adresse der deutschen Gesprächspartner gerichtet, auch, dass es sich lohne, ja zwingend sei, das anzuerkennen, weniger zu nörgeln und sich mehr nach Moskau auszurichten.
Dabei war Putins Siegerimage seit einiger Zeit angeschlagen. Wie ich im Sommer in meinem Blogbeitrag „Putin, Viagra und der Hecht“ ausführlich beschrieben habe, schwächelte das Sieger- und Macho-Image des russischen Präsidenten spätestens seit der Ankündigung seiner Wiederkehr in den Kreml im September 2011. Von „was für ein Kerl“ wechselte die Reaktion auf Putins Muskelspiel (im übertragenen wie im direkten Sinn) immer häufiger in eine dezente Variante des Fremdschämens. Doch das ist vorbei. Putin ist wieder der Sieger. Immer und überall und zu allen Zeiten.
Andere als die Deutschen haben das schon früher erkannt. Ende Oktober kürte das US-amerikanische Nachrichtenmagazin Forbes Putin bereits (übrigens ironischer Weise politkorrekt geschlechterneutral) zum (oder zur) „World’s Most Powerful“, noch vor Barack Obama und Xi Jinping. Angela Merkel landete hinter dem Papst auf Platz fünf. Diese Steilvorlage konnte sich der Kreml nicht entgehen lassen. Wenn schon der Erzfeind so viel Respekt zeigt, muss da wohl was dran sein.
Auch innenpolitisch kommt das Bild des international von Sieg zu Sieg eilenden Putin gerade Recht. Der kleine Aufstand der großstädtischen Mittelschichten im Land ist soweit eingedämmt, dass wie zum Hohn anlässlich des 20. Jahrestags der ausgehöhlten Verfassung eine großherrschaftliche Amnestie verkündet wird (nicht ohne einige wichtige Gefangene wie Michail Chodorkowskij und einen Teil der Demonstranten vom Bolotnaja-Platz auszunehmen). Allerdings dräut eine längere Phase wirtschaftlicher Stagnation. 1,4 Prozent Wirtschaftswachstum in diesem Jahr und nur wenig mehr im kommenden, so die Prognose. Der Kapitalabfluss aus dem Land hält weiter an. Putins Wirtschaftsberater Andrej Belousow, bis 2012 Wirtschaftminister, beklagt dieser Tage eine „Stagnation in den Köpfen“. Seltsam hilf- und ideenlos wirkte auch Putin selbst in seiner Rede zur Lage der Nation vor beiden Parlamentskammern Mitte Dezember (wie u.a. Anders Aslund in The Moscow Times sehr erhellend heraus gearbeitet hat).
Zwar scheint die Macht also erst einmal wieder gesichert (wenn dafür auch ein hässlicher und wohl mittelfristig nicht ganz ungefährlicher Schwenk ins National-Konservative und gesellschaftspolitisch Obskurante nötig war), aber die Aussichten sind trotzdem trüb. Offenbar geht es nun nicht mehr nur darum, das Image Russlands im Ausland zu verbessern (dem nimmt sich nun der bewährte Hetzer Dmitrij Kiseljow mit der zu „Russland Heute“ umgebauten alt-ehrwürdigen Nachrichtenagentur RIA-Nowosti an), sondern auch umgekehrt darum, Erfolge in der Welt noch besser zu Hause zur Legitimierung der Herrschaft nützlich zu machen.
Nun ist das erst einmal weder etwas Besonderes, noch etwas besonders Anrüchiges. Das machen alle Macht Habenden, ob nun demokratisch legitimiert oder nicht. Da ist zudem immer viel Auslegung dabei. Die Grenze zwischen geschickter PR und Propaganda ist fließend.
Und fraglos hat Russland in diesem Jahr die Rolle des ewigen Neinsagers, des Nicht-Gestalters, der Status-Quo-Macht zumindest ein wenig abgelegt. Das hat viel mit dem schon kurz angesprochenen ideologischen Schwenk (oder vielleicht genauer: der Re-Ideologisierung) der russischen Innenpolitik zu tun. Putin positioniert sich (und sein Land) seit seiner Rückkehr in den Kreml verstärkt nicht mehr nur als geopolitische Alternative, sondern – hierin der Sowjetunion immer ähnlicher werdend – als ideologischen Gegenentwurf, als eine Wertealternative zum Westen. Seine Argumentation (so in der Rede vor dem Waldaj-Club im September oder in der obenerwähnten Zur-Lage-der-Nation-Rede) ist dabei recht einfach. Der Westen habe seine eigenen, christlichen Werte nicht nur verraten, sondern geradezu ins Gegenteil verkehrt. Nun dränge er der restlichen Welt seine Lasterhaftigkeit als neue ethische Normen auf. Nur ein auf traditionellen und christlichen Werten aufbauendes Russland (sprich: das Russland Putins) sei in der Lage, den Westen vor sich selbst und damit die christliche Welt zu retten. Ein Bollwerk für diese Rettungstat ist die angestrebte Eurasische Union.
Was hat das nun mit Putins Siegen zu tun? Diese Siege sind in der vom Kreml angebotenen Interpretation Siege wegen des westlichen Niedergangs oder gegen einen niedergehenden Westen. Edward Snowden wird so zum Kronzeugen eines westlichen Moralverlusts und einer damit einhergehenden Doppelmoral. Durch diesen (schon aus Sowjetzeiten bekannten) Trick kann die USA für etwas kritisiert werden, was der russischen Staat mit aller Selbstverständlichkeit immer gemacht und nie gelassen hat.
Ein wenig anders liegt die Sache mit dem Iran und Syrien. Die Erfahrungen im Irak (und später in Lybien und in Ägypten) haben aus russischer Sicht gezeigt (und man kann angesichts von Umfragezahlen wirklich von einer „russischen Sicht“ sprechen und muss sie nicht auf die Regierung einschränken), dass der westliche Ruf nach mehr Demokratie letztlich verlogen ist und nur zu Instabilität und damit mehr Leid führt. Russlands hinhaltende Politik in Bezug auf das iranische Atomprogramm und die grundsätzliche Verhinderung eines UN-Sicherheitsratsvotums für ein internationales Eingreifen in Syrien werden so zu aktiver Friedenspolitik.
Das war lange eine komfortable, aber eben passive Position. Zu einer echten (Groß-)Machtpolitik gehört aber Gestaltung. Mit der Vermittlungs- bzw. Garantierolle, die Russland seit dem Sommer in diesen beiden Konflikten eingenommen hat, hat Putin erstmals seit langem internationale Anerkennung errungen (siehe Forbes), aber auch Verantwortung übernommen. In beiden Konflikten muss sich nun zeigen, ob das Land auch (wieder) zu gestalten in der Lage ist. Hoffen wir es.
Wieder anders liegt der Fall der Ukraine. Hier scheinen viele Akteure, vorne weg natürlich der Kreml (und ein großer Teil des großen Landes hinterher), vor allem Zbigniew Brzezinskis Diktum im Kopf zu haben, ohne die Ukraine sei Russland kein Imperium mehr. Entsprechend hoch ist der Einsatz. Selbstverständlich war Präsident Janukowitschs Weigerung, den fertigen Assoziierungsvertrag mit der EU zu unterschreiben, nur der Anlass, nicht der Grund für die für alle so unerwartet heftigen und langen Proteste auf dem Majdan in Kiew. Es geht längst um die Ukraine selbst, darum wie unabhängig (von Russland) sie sein soll und wie demokratisch.
Putin und Janukowitsch locken (kurzfristig) mit Brot und warmen Wohnungen. Die EU verspricht (mehr implizit als explizit) heute mehr Freiheit und die Hoffnung auf künftigen Wohlstand (gibt aber, aus ukrainischer Sicht, vorerst wenig). Wie es scheint, sind die russischen Argumente (und Drohungen) im Verbund mit den ganz eigenen (politischen Überlebens-)Interessen der gegenwärtig in der Ukraine Regierenden momentan stärker. Allerdings ist auch hier die Endrechnung noch nicht aufgemacht. Die Ukraine nicht nur kurzfristig im eigenen Orbit (sprich einer Zollunion und später vielleicht einer Eurasischen Union) zu halten, dürfte nicht nur heute viel Geld kosten und künftig dann noch mehr. Der Kreml holte sich auch den Majdan ins eigene Haus und ein dem gegenwärtigen politischen System in Russland zumindest zur guten Hälfte zutiefst feindlich gesinntes Land. Die Demonstranten in Kiew könnten irgendwann auch diejenigen in Moskau, St. Petersburg und anderswo auf den Geschmack bringen und ihnen Mut machen.
Sind das also alles Putins Siege? Zum Teil wohl schon. Zum Teil nutzt der Kreml geschickt die momentane Schwäche, die Selbstbeschäftigung, die Selbstzweifel des Westens. Insbesondere hat er den Westen gerade dort in eine Falle gelockt, wo er momentan das meiste Rückgrat zeigt: Die Kampagne gegen alles, was von der heterosexuellen Norm abweicht, ist ein großer Erfolg (und dabei geht es nicht einmal in erster Linie um das diskriminierende „Antihomosexuellengesetz). Dem Westen bleibt unter dem Druck der eigenen Werte und der Selbstachtung gar nichts anderes übrig, als hier fest zu bleiben und das auch durch Taten zu zeigen. (Geo-)Politische Kompromisse sind bei diesem Thema bei Strafe der Selbstverleugnung nicht möglich. Jede dieser Taten aber, ob es nun eine öffentliche Verurteilung ist oder die Nicht-Reise nach Sotschi zu den Olympischen Winterspielen, lässt sich mit Hilfe der großen Propaganda-Maschine Fernsehen in Russland und den weit und tief verbreiteten Vorurteilen sexuellen Minderheiten gegenüber leicht als Heuchelei oder Scheinheiligkeit des Westens diskreditieren. Putin hat lange darauf hingearbeitet und (zumindest kurzfristig) hat er gewonnen.
Der nächste Sieg, die olympischen Spiele in Sotschi ist auch schon eingeplant. So die russischen Sportlerinnen und Sportler nicht unterirdisch abschneiden, werden sie ein wahrer Triumph des Willens werden, das Land wieder groß zu machen. Das Nicht-Kommen von Gauck, Hollande, Obama und Co. ist wohl richtig. Kämen sie, würde in Russland wenig mehr zurück bleiben, als ihre Bilder mit Putin, mehr oder weniger gequält lächelnd. Und auch dieses mehr oder weniger Gequälte ließe sich immer zu Putins Gunsten interpretieren. Fiele es weniger gequält aus, durfte er sich mal wieder alles erlauben. Fiele es gequälter aus, hatte er die Macht, seine Gäste trotz ihres Unbehagens nach Sotschi zu zwingen. Wenn sie, wie angekündigt, ganz weg bleiben, zeigen sie eben wenig Sportsgeist und beleidigen das Land.
Die öffentliche Meinung in Russland ist vorerst wieder auf Putins Siege geeicht. Und viele öffentliche Meinungsmacher im Westen glauben das sehr bereitwillig.
Allerdings braucht nicht nur das Regime Erfolge. Auch dem angeknacksten Ego von Land und den Menschen täten sie wohl. Das meine ich nicht nur und nicht einmal in erster Linie therapeutisch. Das Verführerische an Putins Siegen, an der von ihm angebotenen Geschichte Russlands als eine von Siegen und Siegern, liegt auch darin, dass es, nüchtern betrachtet, soviel zum Stolz sein und freuen nicht gibt. Vielleicht sollte das Ziel westlicher Politik nicht (nur) darin liegen, großmäuligem und großmächtigem Unsinn des Kreml etwas entgegen zu stellen, sonder eher darin zu schauen, wie diese Energie auf nützliche Erfolge (wie vielleicht in Syrien, vielleicht im Atomstreit mit dem Iran, vielleicht sogar in Bezug auf die Ukraine) gelenkt werden könnte. Nullsummenspieldenken endet erst mit der Erkenntnis, dass es Win-Win-Situationen tatsächlich geben kann.