Neues NGO-Gesetz in Russland oder „Gesetz zum Schutz der Gauner und Diebe“

Am 6. Juli, vorigen Freitag, nahm die Staatsduma mit mehr als 300 Stimmen in erster Lesung ein neues NGO-Gesetz an. Für das Gesetz stimmten alle Abgeordneten von Einiges Russland (bis auf einen, der sich krank gemeldet hatte), alle Schirinowskij-Leute und eine großer Teil der Kommunisten. Die sich langsam zu einer echten Opposition entwickelnden Abgeordneten von Gerechtes Russland boykottierten die Abstimmung. Noch vor den Mitte Juli beginnenden Parlamentsferien soll das Gesetz endgültig verabschiedet werden, durch den Föderationsrat gut geheißen, von Präsident Putin unterschrieben und in Kraft treten. Es sei Eile geboten, weil man die „undurchsichtige“ Finanzierung russischer NGOs aus dem Ausland endlich transparent machen müsse, begründen die Initiatoren von Einiges Russland diese Eile.

Das ist nicht einmal mehr schlecht verdeckte Propaganda. Schon heute müssen NGOs jede Zuwendung aus dem Ausland (ebenso von im Land lebenden Ausländern und Staatenlosen, sowie internationalen Organisationen) dem Justizministerium melden, das umfangreiche Kontrollbefugnisse hat und diese auch nutzt. Das regelt alles schon das vor sechs Jahren, 2006 beschlossene nun ja wohl „alt“ zu nennende NGO-Gesetz, das damals wegen seines repressiven Charakters auch international viel Kritik auf sich zog. Im neuen Gesetz sind die vorgesehenen Strafen für Nichtachtung höher und die regelmäßigen staatlichen Prüfungen öfter.

Die wichtigste Neuerung ist aber, dass NGOs, die Geld aus dem Ausland bekommen und „politisch“ betätigen, in einem speziellen Register geführt werden und sich künftig als „die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllend“ bezeichnen müssen. Zwar behaupten die Initiatoren mit treudoofen Gesichtern, das Wort „Agent“ sei wie in der Wortverbindung „Versicherungsagent“ zu verstehen, aber selbstverständlich stellt sich bei allen sofort die Assoziation „Spion“ ein – und genau hierum geht es. Das Gesetz ist Teil des seit Putins Amtsantritt Anfang Mai laufenden Generalangriffs gegen alles und jeden, das Verbindung zur erstarkten (außerparlamentarischen) Opposition hat (oder von dem der Kreml phantasiert, es habe).

In diese Reihe gehören:

  • die Verhaftungen von zwischenzeitlich 13 meist jungen Menschen, von denen 11 bis heute in Untersuchungshaft sitzen, weil sie angeblich am 6. Mai an Auseinandersetzungen mit der Polizei bei einer Großdemonstration gegen Putin beteiligt waren. Ihnen allen drohen mehrjährige Haftstrafen;
  • die „Verschärfung“ des Demonstrationsrechts Anfang Juni, die faktisch dessen Abschaffung bedeutet;
  • die Hausdurchsuchungen bei prominenten Führungspersonen der Anti-Putin-Proteste am 11. Juni, die, so behauptet das staatliche Ermittlungskomitee, diese gewaltsamen Auseinandersetzungen geplant oder von ihnen gewusst haben sollen;
  • der Fall der Frauenpunkband „Pussy Riot“, von der drei junge Frauen, seit inzwischen fast vier Monaten in Untersuchungshaft sitzen, weil sie in der Christerlöserkirche in Moskau vor dem Altar ein „Punkgebet“ aufgeführt haben, in dem sie die Gottesmutter baten, „nimm Putin von uns“;
  • im Grunde auch die geplante stärkere Kontrolle des Internets nach, wo wie es aussieht einem „China-light“-System.

Das Imperium schlägt also zurück, nachdem spätestens am 12. Juni mit der bisher letzten Großdemonstration gegen Putin in Moskau klar geworden ist, dass die Winterproteste keine saisonale Erscheinung waren, sondern von einer tieferen und große Teile de Bevölkerung erfassenden Unzufriedenheit mit dem durch Putin verkörperten politischen System zeugen.

Das Gesetz hat aber auch noch einen anderen, einen Eigensinn sozusagen. Man solte es, schlage ich vor, „Gesetz zum Schutz der Gauner und Diebe“ taufen. In den Begründungen der Initiatoren werden immer zwei NGOs besonders genannt, auf die das Gesetz zielt und eine inhaltliche Kategorie: die WahlbeobachterInnen von Golos, die Korruptionsbekämpfer von Transparency International Russland und ökologische Organisationen. Erstere störten (und stören) doch arg beim Wahlfälschen. Transparency und die Ökologen machen das Geldverdienen für korrupte Beamte (die sich unter Putin vervielfacht haben bis hin nach ganz, ganz oben) und die rücksichtslose Naturausbeutung, von der die gegenwärtige Machtelite vor allem lebt (ja das Land insgesamt!) zumindest schwieriger.

Gerade die Eile und die grobe Propaganda der Gesetzesinitiatoren zeigt aber, dass das Gesetz (wie der Generalangriff insgesamt) weniger aus einer Position der Stärke denn aus einem Gefühl der Schwäche geboren zu sein scheint. Vor der ersten Abstimmung in der Staatsduma am vergangenen Freitag wurden alle rund 250 Abgeordneten von Einiges Russland gezwungen, den Gesetzentwurf zu unterschreiben. Das sah ein wenig wie ein mafiaritual aus, bei dem alle Bandenmitglieder einen Mord begehen müssen, damit es kein Zurück ins zivile Leben mehr gibt. Auch ging die Zahl der NGOs, die sich nach dem neuen Gesetz wohl als „Agenten“ zu bekennen haben, im Laufe der vergangenen Woche rapide von anfangs „1.000“ auf inzwischen „60 bis 70“ zurück.

Dass auch angesichts einer heftigen öffentlichen Gegenreaktion nun nicht alle oppositionellen NGOs diesen Stempel aufgedrückt bekommen sollen, zeigten auch kritische Äußerungen einiger ansonsten hoch kremltreuer Journalisten. So fanden der in der Regel streng antiwestliche Talkmaster Maxim Schewtschenko und der ebenfalls besonderer Demokratiesympathien unverdächtige Zeitungskolumnist Maxim Sokolow, das Gesetz sei in der gegenwärtigen Form unbrauchbar, weil es auch so nützliche Organisationen „wie Memorial“ in ihrer Arbeit behindern würde. Auch die von Putin initiierte und vom Kreml besteuerte „Gesellschaftskammer“, eine Versammlung staatsnaher NGOs, sprach sich klar und deutlich gegen das Gesetz aus. Ja selbst das Oberste Gericht, ansonsten Schild und Schwert des Kremls, forderte in einer Stellungnahme „Verbesserungen“ und riet den Abgeordneten, das Gesetz in der gegenwärtigen Form nicht anzunehmen.

Diese Reaktionen zeugen allerdings weniger von einer zunehmenden Hinwendung Putintreuer zur Opposition. Sie sind eher Ausdruck eines Unwohlseins über den zunehmenden Einfluss obskurer und, ja wie soll man das bezeichnen?, „sozial fremder“ Personen und Gruppen auf die Putinsche Politik. Man könnte auch sagen, dass Putin immer mehr ein Art (unerklärtes) Bündnis mit den radikalen Rändern der Gesellschaft eingeht, angefangen von großen, radikal antimodernen Teilen der orthodoxen Kirche, über hysterisch antiwestliche Großmachtnostalgiker bis zu dem, was man, wenn auch etwas altmodisch, „Lumpenproletarier“ nennen könnte. In gewisser Weise sind das die russischen Pendants zur US-amerikanischen Tea-Party-Bewegung und den Radikalchristen dort.

Die Antischwulen- und Antilesbengesetze, die inzwischen in vier russischen Regionen angenommen wurden und auch in der Staatsduma diskutiert werden, gehören ebenso dazu, wie die regelmäßigen Ausfälle Putins gegen die USA, die NATO und „den Westen“ insgesamt. Das ist ein Populismus der zunehmend niedersten Sorte, der bei einem weiterhin großen Teil der Bevölkerung Beifall bekommt. Allerdings erhöht er auf der anderen Seite auch eine mitunter physisch erlittene Abneigung gegen derartiges Proletentum. Vorerst werden der gesellschaftliche Rand und seine zynische Menschenfähigkeit dadurch hoffähig gemacht. Putin führt Russland auf einen gefährlichen Weg in den Obskurantismus.

Die NGOs und die sie unterstützende Opposition müssen sich nun überlegen, wie sie darauf reagieren. Ludmila Alexejewa, die am 20. Juli 80 jahre alt werdende Vorsitzende der Moskauer Helsinki Gruppe hat bereits erklärt, sie sei keine Agentin und werde ihre 1977 gegründete Menschenrechtsorganisation „niemals“ unter dem neuen Gesetz registrieren lassen. Eher verzichte sie auf ausländische Finanzierung, wohl wissend, dass es inländische Geld für ihre regierungskritische Arbeit in Russland kaum gibt, weil das für mögliche Geldgeber gefährlich wäre. Das ist eine prinzipienfeste, verständliche und ehrenwerte Haltung. Aber ob diese Form der erzwungenen Selbstauflösung eine politisch sinnvolle und praktikable flächendeckende Reaktion auf das Gesetz ist, bezweifele ich.