In Russland ist
eine ganze Reihe kleiner Kriege ums Internet ausgebrochen. Niemand kann mit
Bestimmtheit sagen, ob es mehr als nur einen zufälligen zeitlichen Zusammenhang
gibt. Im Wahljahr (Dezember 2011: Parlament; März 2012: Präsident) wächst aber
ohne Zweifel die Anspannung (Nervosität würde ich das noch nicht nennen).
Zudem hat die
Bedeutung des Internets seit den letzten Wahlen vor drei Jahren zugenommen,
ohne dass Regime und Opposition mangels Erfahrung so richtig einschätzen
könnten, wie groß sie inzwischen ist. Noch wichtiger ist aber vielleicht, dass
das russische Internet noch wirklich frei ist. Das erhöht Aktivitätsanreize auf
beiden Seiten, beim Regime, um mögliche Unwägbarkeiten auszuschalten, bei der
Opposition in der Hoffnung, endlich einen zumindest kleinen Hebel gegen die
zementierten Machtverhältnisse in der Hand zu haben. Doch zu den Kriegen.
Alles fing Anfang
der Woche mit DOS-Attacken auf eines der wichtigsten sozialen Netzwerke im
russischen Internet an, auf das Live Journal oder, auf Russisch und kurz, das „ЖЖ“, das Zhivoj Zhurnal. Jede und jeder,
wer etwas auf sich hält, hat dort einen Blog. Und wer heute wirklich informiert
sein will in Russland, kommt am ЖЖ nicht vorbei. Hier gibt es ungefilterte Informationen über alles, auch
über die Tabuthemen wie den (angeblichen?) Reichtum von Premieminister Waldimir
Putin und vor allem den sogenannten „korporativen Kapitalismus“, eine häufig
gebrauchte euphemistische Umschreibung der nepotistisch-korrupten Staatspraxis,
die sich in Russland unter Putin immer mehr durchgesetzt hat und das Land
lähmt.
Natürlich werden
in der Internetöffentlichkeit (die, soweit sie sich mit Politik beschäftigt, zu
weiten Teilen oppositionell ist) staatsnahe Kräfte verdächtigt, hinter den
Angriffen zu stehen. Umso mehr, als am Donnerstag (leider muss man sagen, mal
wieder) die Webseite der Nowaja Gaseta, der wichtigsten Oppositionszeitung
ebenfalls durch Hackerangriffe außer Betrieb gesetzt wurde. Sie ist, während
ich das am Samstag Mittag schreibe, nach kurzem Auftauchen am Freitag Abend, immer
noch nicht erreichbar. Die Attacken auf die Nowaja Gaseta beschränken sich
nicht darauf, die Webseite nicht erreichbar zu machen, sondern richten großen
Schaden am Internetauftritt an. Es kostet jedes Mal nicht nur Zeit, sondern
auch viel Geld, die Webseite wieder herzustellen. Auch so kann man eine Zeitung
in die Knie zwingen.
Nun ist das freie
Internet einer der Pfeiler von Präsident Medwedjews Modernisierungsstrategie.
Immer wieder betont. Medwedjew selbst nutzt Blog und Videoblog intensiv und
lässt sich sehr oft vor dem Notebook oder mit einem iPad ablichten. Und die
Internetgemeinde wird inzwischen als nicht zu vernachlässigender
Meinungsbildungsfaktor angesehen, vor allem unter denen, die im Kremljargon die
„innovativsten und mobilsten“ Teile der Gesellschaft genannt werden. Folglich
machte sich Medwedjew schon am Donnerstag öffentliche Sorgen. Die DOS-Attacken
auf das ЖЖ seien „empörend
und gesetzwidrig“, die Rechtsschutzbehörden müssten dagegen „mit aller Härte“
vorgehen. Wie immer weiß man natürlich nicht, wie ernst das ganze gemeint ist
und wo die potemkinsche Mimikry endet. Doch mit dem Wort des Präsidenten lässt
sich natürlich in der Öffentlichkeit arbeiten (leider oft auch nur damit und
nicht mit Gesetzen, Moral oder Ethik).
Das alles scheint
den Geheimdienst FSB nicht zu stören. Ein FSB-Sprecher beschwerte sich am
Freitag öffentlich darüber, dass immer mehr Russen ausländische Email-Dienste
oder Skype benutzten, zu deren Verschlüsselungscodes die russischen
Sicherheitsdienste keinen Zugang hätten. Das erschwere die Kontrolle und stelle
eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit Russlands“ dar, so der Sprecher. Sein
(und wohl der seiner Behörde) Schluss: Die Nutzung von Gmail, Hotmail oder
Skype in Russland gehöre verboten, weil der Staat überall mitlesen können
muss (da war doch auch was Ähnliches in Deutschland, oder?).
Michail Fedotow,
Leiter des präsidialen Zivilgesellschaftsrats, trat sofort für die Freiheit des
Internets ein. Es sehe für solch ein Verbot keine gesetzlichen Voraussetzungen.
Den Geheimdienstlern gab er den knappen Rat: „Wenn Ihr nicht in der Lage seid
zu kontrollieren, dann müsst Ihr das lernen.“ Auch der Kreml selbst reagierte schnell, allerdings
informell. Der Radiosender Echo Moskau zitierte einen ungenannten Mitarbeiter
der Präsidentenadministration, dass der FSB-Sprecher seine „Kompetenzen
überschritten“ habe. Ein Verbot ausländischer Internetdienste sei nicht
Staatspolitik – und die werde immer noch im Kreml gemacht.
An der
allgemeinen Gültigkeit letzterer Behauptung gibt es allerdings durchaus
berechtigte Zweifel. Zumindest im Regierungssitz „Weißes Haus“ wird auch
Staatspolitik gemacht, oft sogar die entscheidende. Premierminister Putins
Sprecher Dmitrij Peskow übte sich diesmal in Seitwärtsbewegungen: „Es gibt den
Standpunkt, den der FSB vertritt. Er ist aus der Sicht des Dienstes (…) durchaus
begründet“. Es gebe aber eben auch andere Sichtweisen.
Viele kleine
Kriege also ums russische Internet, die zeigen, wie die (An-)Spannung steigt.