Unerfahrene Besucher des Russenreiches werden unweigerlich auf die besondere Eigenschaft seiner Einwohner treffen, durchaus gezielte und konkrete Fragen mit einem herzlichen „Da-Njet“ beantwortet zu bekommen. Dabei wird das „Da“ schnell und kurz ausgesprochen, das „Njet“ hingegen eher melodisch langgezogen. Also zum Beispiel die Frage: „Möchtest Du Tee?“, Antwort: „Da-njet.“
Wie sich schon aus der Reihenfolge ergibt, heißt das natürlich „Njet“, denn wie im Deutschen bestimmt der letzte Teil eines zusammengesetzten Wortes, worum es geht. Die vorderen Teile beschreiben nur den Hauptbestandteil. In diesem Fall dient das „Da“ lediglich dazu, das „Njet“ zu verschönern, irgendwie weicher zu machen unter Umständen auch höflicher. Auf jeden Fall möchte der Antworter nicht allzu brüsk erscheinen.
Ähnlich ging es in den vergangenen paar Monaten mit dem Demonstrationsrecht. Der Staat antwortete auf das Verlangen von BürgerInnen: „Wir wollen demonstrieren!“ eben mit einem entschiedenen „Da-Njet“. Da dieses „Da-Njet“ im Rahmen einer vorsichtigen Westöffnung und der staatlichen Modernisierungskampagne ein klares „Njet“ abgelöst hat, gab es viele (im Land aber vor allem jenseits seiner Grenzen), die mehr auf das „Da“ gehört haben als auf das „Njet“. Das dürfte seit dem 31. Dezember erst einmal wieder vorbei sein und reiht sich ein in die Message des harten Urteils gegen Michail Chodorkowskij und Platon Lebedew.
Was ist am 31. Dezember auf dem Triumpfplatz in Moskau passiert? Dort wollten ein paar Tausend Menschen, wie schon seit Mitte 2009, für die im Artikel 31 der russischen Verfassung garantierte Demonstrationsfreiheit demonstrieren. Der Staat sagte nicht „Njet“, sondern eben „Da-Njet“, soll heißen, die einen (Ludmila Alexejewa als Anmelderin) dürfen, die anderen (Eduard Limonow mit dem von seinen Nationalbolschewisten dominierten Bündnis „Das andere Russland“) nicht.
Ich will nun hier nicht die Ereignisse schildern, die zu dieser Spaltung geführt haben (obwohl auch da der Staat mit seinem entschiedenen „Da-Njet“ die Finger zumindest mit drin hatte). Im Ergebnis gab es am 31. Dezember eine genehmigte und eine nicht genehmigte Demonstration auf dem Triumpfplatz. Die genehmigte verliefe mehr oder weniger wie geplant und ohne Zwischenfälle. Die nicht genehmigte selbstverständlich nicht.
Schon eine Stunde vor ihrem Beginn wurde Eduard Limonow vor seinem Haus von Milizionären abgefangen und zu einem „vorbeugenden Gespräch“ auf die Wache gebeten. Dort soll Limonow dann die Beamten mit „groben Schimpfworten“ beleidigt haben, worauf diese einen Richter riefen, der den Bationalbolschewistenchef zu 15 Tagen sogenannten „administrativen Arrest“ verurteilte. Abgesehen davon, ob Limonow nun beleidigend geworden ist (im russischen Volksmund sind Milizionäre übrigens nicht beleidigungsfähig) oder nicht, hätte sich sicher leicht ein anderer vorgeschobener Grund finden lassen, ihn zeitweise aus dem Verkehr zu ziehen.
Auf dem Triumpfplatz wurden unterdessen Limonows MitstreiterInnen ziemlich wahllos, wie es Außenstehenden scheint, von sogenannten „Kosmonauten“ festgenommen und in bereitstehende Autobusse verfrachtet („Kosmonauten“ heißen milizionäre Sondereinsatztruppen wegen ihres einem Kosmonautenhelm ähnlichen Kopfschutzes). Schon nach Beendigung der genehmigten Demonstration gingen einige der dort demonstriert Habenden in Richtung der nicht genehmigt Demonstrierenden, darunter Boris Nemzow, ehemaligen stellvertretender Ministerpräsident in den 1990ern und seit Kurzem Co-Vorsitzender der neu gegründeten „Partei der Freiheit des Volkes“ (weitere Co-Vorsitzende: Michail Kasjanow, Wladimir Ryschkow, Wladimir Milow).
Was sie dort wollten, beobachten, vermitteln, sich solidarisieren, ist mir nicht bekannt. Doch auch sie wurden festgenommen. Anfangs wurde Nemzow das „Überqueren der Straße an nicht dafür vorgesehener Stelle“ zum Vorwurf gemacht. Doch dafür hätte er lediglich mit einem Bußgeld bestraft werden können und sofort wieder freigelassen werden müssen. So wurde auch hier flugs und, wie das im russischen Administrativjargon so schön heißt, „operativ“ reagiert und ihm „Widerstand gegen gesetzliche Forderungen von Ordnungsorganen“ vorgehalten. Diesmal war der Richter nicht so schnell zur Hand. Nemzow musste zwei Tage in der Arrestzelle warten, bis er am 2. Januar ebenfalls seine 15 Tage verpasst bekam. Auch einige andere in seiner Begleitung sitzen nun für sieben bis 15 Tage ein.
Was heißt das nun? Da gehen die Meinungen auseinander. Weitgehende Einigkeit besteht nur darin, dass es dem Staat mit der Genehmigung der einen und dem Verbot der anderen Demonstration einen Keil in die „Opposition auf der Straße“ treiben will. Das ist aber schon nicht mehr so nötig, denn die inhaltlichen Gemeinsamkeiten zum Beispiel zwischen Limonow und Alexejewa sind klein. Schon zuvor hatte es sich in erster Linie um eine Negativkoaliton gehandelt nach dem Motto „gemeinsam sind wir stärker“, auch wenn das Ziel Demonstrationsfreiheit durchaus von allem geteilt wird (auch von den Nationalboschewisten zumindest bis zu eigenen Machteroberung, auch hier überwiegt der hintere Teil des zusammengesetzten Wortes).
Die Festnahme von Nemzow und Freunden könnte noch Zufall gewesen sein (obwohl das nur wenige glauben). Seine Verurteilung zu 15 Arresttagen ist es sicher nicht. Der Wind ist nach dem laueren Herbst wieder schärfer und kälter geworden.
Hier muss auch noch daran erinnert werden, wie Putin und vor allem Medwedjew auf die nationalistische und rassistische Unruhedemonstration auf dem Manegenplatz am 11. Dezember reagier haben. Sie gaben denjenigen die Schuld, die es sich heraus nähmen, gegen die herrschenden Regeln auf die Straße zu gehen. Solcher Art Gesetzesbruch sei ein schlechtes Beispiel. Künftig, so Medwedjew, würden jedwede Versuche gesetzwidrigen Demonstrierens mit aller Härte vereitelt. Das war direkt gegen die 31er-Demonstrationen gerichtet. Die Botschaft: Zu viel Liberalismus verdirbt die Sitten und die Leute. Da sei die gelenkte Demokratie vor.
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Erklärung
der Co-Vorsitzenden der Partei der Freiheit des Volkes
(Für
Russland ohne Willkür und Korruption)
Die von Miliz und Gericht unverschämt fabrizierten
Verurteilungen und die Freiheitsentzüge gegen den Co-Vorsitzenden der Partei
der Freiheit des Volkes Boris Nemzow und andere Teilnehmer der oppositionellen
Aktion am 31. Dezember 2010 in Moskau, Sankt Petersburg und anderen russischen
Städten sind keine „Auswüchse vor Ort“ sondern Konvulsionen der höchsten Staatsmacht,
die sich endgültig die gewohnten sowjetischen Methoden des Kampfes mit
Andersdenkenden zu eigen gemacht haben.
Wir sind überzeugt, dass jedwede
versuche, die Opposition zu einzuschüchtern und das Streben der russischen
Bürger nach Freiheit zu ersticken von Anfang an zum Scheitern verurteilt sind. Ungeachtet
einer Verstärkung der Repressionen wird das in Russland herrschende illegitime
Regime im nun beginnenden Jahr 2011 die Kontrolle verlieren und sich endgültig
diskreditieren.
Michail Kasjanow
Wladimir Milow
Wladimir Ryschkow
2. Januar 2011