Obama, transatlantische Beziehungen und Russland. Zwei Chancen und drei Befürchtungen

Obama bietet eine doppelte Chance für die Beziehungen des Westens mit Russland: Er könnte, Chance Nummer eins, die in den vergangenen Jahren immer fester in den Schlamm russicher Straßen (schon Gogol schrieb darüber) gefahrenen Beziehungen zwischen den USA (und damit dem Westen insgesamt) und Russland wieder in Bewegung bringen. Ein kleiner erster Schritt dazu ist auch schon getan. Ich habe darüber unter der Überschrift „Peregruska“ oder „Peresagruska“ – was steckt hinter der Optimistenshow schon Anfang April in diesem Blog geschrieben.

Die zweite Chance liegt in einer Imageverbesserung des Westens hier in Russland – und zwar weniger bei der politischen Elite als in der Bevölkerung insgesamt. Das ginge dann (wenn auch nicht schnell), wenn Obama fortfährt mehr „zuzuhören und zu lernen“ als zu fordern und zu diktieren. Das ist also einerseits eine Frage des Stils, andererseits aber auch eine des Ernstnehmens des Gegenübers (und wenig wollen die Russen mehr als von den USA ernst genommen zu werden) und demokratischer Verfahren und Inhalte (vor allem, aber nicht nur bei sich zu Hause). Kurz: Mehr Demokratie und weniger Getrickse in den USA würden Demokraten in Russland das Leben leichter und dem Kreml schwerer machen. Dazu gehörte dann auch weniger „doppelter Standard“ und weniger „Realpolitik“, mehr Demokratie und mehr Menschenrechte. Doch die Europäer müssen auch mitspielen. Steinmeierisches Gedruckse ist völlig falsch. Wenn es Obama aber schafft, wird es selbst den Deutschen (in ihrer gegenwärtigen politischen Mehrheit) schwer fallen, da auszuscheren (wozu sie ohnenhin glücklicherweise vorwiegend merkantil und weniger machtpolitisch neigen).

Es gibt aber auch drei Befürchtungen. Die erste haben Lew Gudkov, Igor Kljamkin, Lilija Schewzowa und Georgij Satarow vorgestern in einem Brandartikel in der Washington Post (False Choices For Russia)
sehr dezidiert zum Ausdruck gebracht. Was unbedingt vermieden werden muss, ist eine „Steinmeierisierung“ der US-Russlandpolitik. Die ist leider nicht unmöglich. Die Gründe liegen weniger in Russland oder besser, weniger daran, dass Russland ein so besonders schwieriges und dringendes Problem für die USA wäre. Sie liegen eher darin, dass es dringendere und wichtigere Probleme gibt (Iran, Nordkorea, Naher Osten, Afghanistan China) und dass einige dieser Probleme ohne Russland kaum zu lösen sind (oder zumindest nicht gegen Russland): vor allem Iran, aber auch der Nahe Osten, weniger Nordkorea, hier ist China viel wichtiger; auch Afghanistan ist ein anderer Fall, weil es dort eine weitgehende Interessenskongruenz gibt. In der Obama-Administration könnte sich die Meinung durchsetzen, Russland (sprich: Putin) müsse man vorerst ein wenig schonen, also der Lösung der anderen Probleme unterordnen (härter: opfern), weil man es braucht.

Die zweite Befürchtung kommt bei den Europäern hinzu: Sie scheinen einfach zu müde zu sein und sich „Russland“ schlicht nicht zuzutrauen. Man hat soviel mit den eigenen Problemen (Stichworte: Lissabon, Erweiterung, Vertiefung) zu tun, dazu kommt die Krise, dass dieser dicke, große Brocken da im Osten einfach unverdaulich scheint. Da können auch Initiativen wie die EaP nicht drüber hinweg täuschen. Umgekehrt: Die Nichteinbeziehung Russlands ist Sympthom für diese Müdigkeit. Und es ist ja auch durchaus so, dass man sich leicht einreden kann, in Russland gehe alles gar nicht so schlimm: die russische Unentschiedenheit (manche sagen: Putins geschicktes Spiel), nicht Freund, nicht Feind des Westens zu sein; die immer noch, gemessen an anderen (China, Iran etc.), relativ große Freiheit im Inneren; die neue außenpolitisch-rethorische Zurückhaltung angesichts der Krise. Medwedjew unterfüttert diese Hoffnungen mit seinen liberalen Blinksignalen.

Aber all das wird, dritte Befürchtung, Makulatur, wenn es um die gemeinsame Nachbarschaft, also die EaP-Staaten geht. Hier zitiere ich am besten Joscha Schmierer, der das in seinem neuesten außenpolitischen Zwischenruf (Atommacht und Regionalmacht. Rollenspiele mit Russland auf www.boell.ru) sehr anschaulich auf den Punkt gebracht hat: „Die Spannungen erwachsen weniger aus dem unmittelbaren Verhältnis zueinander als vielmehr aus dem wechselseitigen Verhältnis zu den unabhängigen Staaten, die aus der Sowjetunion hervor gegangen sind. Diese Länder liegen „dazwischen“ – und das ist ihr Problem und das Russlands und der EU“. Hier kommt es transatlantisch sehr darauf an, wie umsichtig vor allem die USA agieren werden. EaP ist aus russicher Sicht ärgerlich, aber nicht wirklich gefährlich (aber wer weiß, vielleicht erweist sich die strukturelle Mindesschätzung der EU ja als einer der größeren Kreml-Irrtümer). Wie im Georgienkrieg aber gesehen, kostet Konfrontation mit Russland die USA viel weniger als die EU. Das gilt besonders für dieses neue „Zwischeneuropa“. Die USA neigen daher dazu härter zu handeln als die EU-Europäer (und sind da den Russen näher, „verständlicher“). Eine Verständigung über eine gemeinsame Politik in Bezug auf dieses neue „Zwischeneuropa“ zwischen den USA und den EU-Staaten wäre sehr hilfreich. Der letzte Satz ist allerdings nicht ganz korrekt. Es geht nicht um eine Verständigung zwischen den USA und der EU, sondern um eine Verständigung zwischen den USA und einigen EU-Staaten auf der einen und anderen EU-Staaten auf der anderen Seite. Man kann es auch noch knapper sagen: Polen und Deutschland müssen sich in Bezug auf Russland verständigen. Leider sieht es so aus, als sei das eine zu herkulinische Aufgabe für diese beiden geschichtstraumatisierten Völker in der Mitte Europas.


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