Die wichtigste Frage im Verhältnis zwischen der EU und Russland ist die Energiepolitik. Vielgehört ist die Forderung nach einer gemeinsamen Haltung gegenüber dem Hauptlieferanten für Öl und Gas. Manche machen daraus eine Frage von Sein und Nichtsein der EU. Etwas nüchterner betrachtet, wird die Energiepolitik immerhin zum Prüfstein, wie weit oder besser wie tief die europäische Integration möglich ist. Ein führender Mitarbeiter der finnischen Nationalbank überraschte mich vor etwa einem Jahr in einer Diskussion zur Ostseepipeline auf meine Forerund nach einer einheitlicheren (nicht: einheitlichen!) EU-Russlandpolitik mit der franken Feststellung, eine gemeinsame Ernergiepolitik werde es in der EU nicht geben, zu unterschiedlich seien die geopolitische Lage und damit die Interessen zwischen, nur so zum Beispiel, Spanien und Finnland. Finnland könne sich schlechte Beziehungen zu Russland nicht leisten, Spanien schon. Das hat mir, widerwillig, eingeleuchtet.
Nun geht man, nicht ganz ohne Grund, davon aus, dass Einigkeit (oder zumindest Übereinstimmung aus Unions-Raison) zwischen Frankreich und Deutschland Grundlage vielleicht nicht jeden aber wohl jeden durchgreifenden Fortschritts im EU-Einigungsprozess sind. In Bezug auf Russland sollte man wohl Polen hier noch mit hinzuziehen. Damit sieht es in letzter Zeit insbesondere in Bezug auf Russland und insbesondere in Bezug auf Energiepolitik nicht gut aus. Bestes Beispiel ist die kürzliche Aufkündigung der Allianz mit dem französischen Staatsatomkonzern Areva durch Siemens und das Anbandeln mit dem russischen Staatsatomkonzern Rosatom. Wichtig ist hier nicht so sehr die Art der Energiegewinnung, denn ihre strategisch-politisch Bedeutung, die auch und vor allem in der staatlichen Dominanz (in Deutschland nur unvollkommen privatwirtschaftlich angestrichen) zum Ausdruck kommt.
Aus französischer Sicht ist die Sache klar: Die Deutschen ziehen in einem weiteren Kernstück moderner Industriepolitik die Zusammenarbeit mit Russland der bewährten EU-Achse Paris-Berlin vor. Andre Glucksmann, der hier durchaus als Mund des Elysee-Palastes gelten darf, schäumte im Figaro (ich paraphrasiere hier, mangels ausreichender Franzüsischkenntnisse, nach einem Editorial von John Vinocur unter der Überschrift „A friend tells Sarkozy how he is wrong“ im International Herald Tribune vom 21. April 2009): Es werde keine EU-Gemeinschaft für Gas, Öl und Atomenergie geben und auch keine europäsische Energieautonomie. Jenseits des Rheins, in Berlin, wolle man aus der Krise kommen, indem „Großdeutschland“ „Großrussland“ wirtschaftlich zu modernisieren helfe. Die Deutschen litten an Wiederholungszwang und machten die Fehler des ausgehenden 19. Jahrhunderts noch einmal, in denen Biskmarck den gleichen Versuch schon einmal unternahm, vergeblicherweise. Die Kremlführer manipulierten die „nostaligische oder neokoloniale“ deutsche Sehnsucht. Und zum Schluss: Adenauer-De Gaulle oder Mitterand-Kohl sei vorbei, Merkel ambivalent und Europa zerbrückele derweilen.
Nun mögen solche Kassandrarufe ein wenig voreilig sein. Doch es kracht und knackt im deutsch-französischen EU-Transmissionsriemen schon länger, nicht nur in der Russlandpolitik. Der deutsche, ursprünglich vor allem sozialdemokratische, inzwischen aber schon großkoalitionäre Flirt mit dem Kreml hat etwas Backfischhaft-Naives. Hoffentlich. Denn sollte er auf Berechnung beruhen (und sei es nur die Berechnung von Gewinnen), stände die Sache noch schlechter. Die Hoffnung, Russland sozusagen im Alleingang ändern, also europäisieren zu können, grenzt an Hybris. Das wird nur in grundsätzlicher Solidariät mit den anderen EU-Staaten gehen (mit Frankreich und Polen als Kern). Dazu ist keine einheitliche Russlandpolitik nötig (und wohl auch nicht möglich). Aber man sollte sich darauf verständigen, was geht und was nicht mehr geht. Und daran muss sich dann auch Deutschland halten (und Italien, und Griechenland, und Bulgarien, die alle aber zum eigenen Glück oder Unglück für das Bestehen der EU nicht so wichtig sind, wie das große Land in der Mitte).