Putin und Medwedjew 2 – Koch und Kellner als Team

Die Hoffnung auf demokratische Veränderungen in Russland führt dazu, dass vor allem auf mögliche Widersprüche und auseinander gehende Interessen zwischen Putin und Medwedjew geachtet wird. Dafür gibt es natürlich viele gute Argumente, vor allem aber politologische Analyseweisheiten: Die Umstände und Machtgelüste würden die beiden schon auseinandertreiben. Es wäre doch aber auch interessant, einmal davon auszugehen, dass die beiden in erster Linie gemeinsame Sache machen – und die vorwiegend im Westen gehegten Hoffnungen nicht mehr als gute Wünsche sind. Auch dafür spricht viel.

Da ist zum Beispiel die Modernisierungsagenda. Anders als oft gesagt, beschreitet Medwedjew keine neuen Wege, sondern bedient sich bei Putin am Beginn seiner Präsidentschaft. Wie bei Putin ist Russlands Modernisierung kein Selbstzweck, sondern soll dazu dienen, „Russland wieder groß“ zu machen, dem Land seinen „angemessenen Platz“ auf der politischen Weltkarte zu sichern. Mitunter argumentierte Putin (und argumentiert Medwedjew heute) sogar noch schärfer: Die Modernisierung sei für Russland überlebensnotwendig, sollte sie nicht gelingen, bestehe die Gefahr eines (weiteren) Zerfalls. Putin mag ein konservativer Nationalist sein, aber er weiß auch (oder wohl gerade deswegen), dass Russland als Großmacht (ja, selbst als bedeutende Mittelmacht) nur bestehen kann, wenn das Land international wieder konkurrenzfähig wird. Öl und Gas zu exportieren reicht selbst bei hohen Preisen dazu nicht aus.

Am Ende seiner zweiten Amtszeit hatte Putin allerdings zunehmend mit dem Problem zu tun, dass die von ihm (zumindest verbal) angestrebte Modernisierung nicht voran kam. Seine Herrschaft gründete sich vornehmlich auf die staatlichen Eliten und die sogenannte „schweigende Mehrheit“. Die enorme Zustimmung in der Bevölkerung, die mitunter beim westlichen Publikum (Schröder! Berlusconi! Sarkozy!) Bewunderung auslöst, wird von einer zunehmenden Apathie begleitet. Die 70 bis 80 Prozent der russischen Bevölkerung, die Putin (und durch ihn Medwedjew) zustimmen, sind der passivere Teil Russlands, vorwiegend an Erhaltung des Status Quo und eines paternalistischen Staates interessiert. Wie es Dmitrij Trenin, Direktor des Carnegie Moscow Centers, jüngst in einer Diskussion ausdrückte: „Putin can sit on their support, but cannot ride forward with it“. Ein großer Teil der aktiven, mobilen und wohlgebildeten Menschen sind desillusioniert, abgestoßen, machen nicht mit. Ohne sie keine Modernisierung. Ohne sie keine Konkurrenzfähigkeit in einer auch Russland immer stärker einschließenden globalisierten Welt mit ihren neuen Konkurrenzen.

Hier kommt Medwedjew ins Spiel. Sein eher liberales Image, seine demonstrative Modernität, sein Werben um die intellektuelle Elite, seine überaus harsche Kritik an den politischen Verhältnissen soll um jene werben, die können aber nicht wollen. Ob diese Rechnung aufgeht, ist eine andere Sache. Die im Kreml erdachte konservative Modernisierung ist eine Gratwanderung wie eine Chemotherapie bei Krebs. Die Dosierung muss hoch genug sein, um zu wirken, darf den Patienten aber nicht umbringen. Die durch Medwedjew forcierte Öffnung, so könnte die Rechnung aussehen, soll die Modernisierung Russlands ermöglichen, ohne die Macht Putins zu gefährden. Ohne die Macht Putins kännte aber auch Medwejew seine Modernisierung nicht durchsetzen. Medwedjew wäre, so gesehen, dann weniger (möglicher) Konkurrent Putins als vielmehr sein Ziehsohn und tatsächlich (möglicher) Nachfolger.

So, ich wiederhole mich, könnte die Überlegung Putins bei der Wahl Medwedjews ausgesehen haben. Wahrscheinlicher noch ist, dass das eines von mehreren Argumenten war, eine von mehreren durchgerechneten Entwicklungsmöglichkeiten, vielleicht gar eine, die erst erschienen ist, nachdem Medwedjew schon ausgewählt war. Ein baldiger Tandemkrach wäre dann nicht zu erwarten. Aber wie so oft in der (russischen) Politik ist anzunehmen, dass den einen Tag gemeinsam auf dem Schneemobil zu fahren und am nächsten Tag gegeneinander auf der Ski-Abfahrtsstrecke anzutreten, wie in den Neujahrferien bei Sotschi geschehen, kein Widerspruch ist. 

 

 


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