„Putin bedeutet für Russen relative Stabilität“
Wladimir Putin feiert seinen 65. Geburtstag, er scheint aber noch lange nicht amtsmüde zu sein. Im Interview mit n-tv.de spricht Russland-Experte Jens Siegert über die politische Zukunft des russischen Präsidenten – und darüber, wer ihm nachfolgen könnte.
n-tv.de: Wladimir Putin wird 65 Jahre alt. Wie steht’s um ihn in Russland?
Jens Siegert: Putin ist weiterhin sehr populär. Die Zustimmungswerte liegen bei mehr als 80 Prozent. Es gibt wenig, was im öffentlichen Raum passiert, das sich nicht auf ihn bezieht oder von ihm oder seinen Leuten im Kreml initiiert wird. Putin wird wahrscheinlich auch der nächste Präsident sein, obwohl er sich bisher ziert. Aber es gibt praktisch niemanden hier, der davon ausgeht, dass er nicht wieder antritt.
Gehen wir mal davon aus, er tritt wieder an. Wird das dann eine richtige Wahl oder geht es eigentlich nur darum, wie viele Stimmen er bekommen wird?
Nein, es ist keine Wahl, schon allein deswegen, weil er sich seine Gegner aussuchen kann. Das Wahlgesetz sieht vor, dass entweder jemand kandidieren kann, der von einer Fraktion in der Staatsduma vorgeschlagen worden ist oder der 300.000 Unterschriften für sich gesammelt hat. In der Staatsduma gibt es nur die Kremlpartei „Einiges Russland“ und drei so genannte System-Oppositionsparteien, die aber alle eng mit Putin verbunden sind. Und dafür, die Unterschriften zu sammeln, gibt es nur einen Monat Zeit. Das ist zwar weniger als die zwei Millionen, die früher nötig waren, aber welche Unterschriften anerkannt werden und welche nicht, entscheidet die zentrale Wahlkommission, die vom Kreml kontrolliert wird.
Wie läuft das mit den Unterschriften ab?
Irgendwann zwischen Ende November und Mitte Dezember wird die zentrale Wahlkommission bekannt geben, dass der Wahlkampf eröffnet ist. Dann können sich die Kandidaten bewerben, werden registriert und haben einen Monat Zeit, ihre Unterschriften zu sammeln. Vor fünf Jahren haben das zwei Kandidaten geschafft. Die Praxis zeigt aber, dass die zentrale Wahlkommission dann so viele Stimmen für ungültig erklärt, dass es am Ende doch nicht reicht.
Wie definiert sich unter solchen Bedingungen ein Wahlerfolg für Putin?
In der Präsidentenadministration, so wird erzählt, sei die Zielmarke 70/70 herausgegeben worden. 70 Prozent Wahlbeteiligung und davon 70 Prozent Stimmen für Putin. Das sei das, was man brauche, um unter diesen nicht sonderlich starken Konkurrenzbedingungen tatsächlich die Wahl als erfolgreich zu werten.
Der Westen sieht Putin und die russische Politik kritisch. Warum ist Putin bei vielen Russen so beliebt?
Von 1991 bis 1998 ist das russische Bruttoinlandsprodukt um 50 Prozent zurückgegangen. Das ist das, was die Menschen hier im Kopf haben, und da wollen sie nicht wieder hin. Mit Putin ist nach den unsicheren 90er Jahren eine gewisse Stabilität eingetreten. Die Wirtschaft hat sich vor allem in den 2000er Jahren sehr positiv entwickelt. Das Problem ist aber, dass der wirtschaftliche Erfolg, der Putin zugeschrieben wird, nur wenig mit seiner Politik zu tun hat. Der Hauptgrund sind vielmehr die gestiegenen Rohstoffpreise in den 2000er Jahren. Heute ist das nicht mehr so, die Preise sind um die Hälfte gefallen, und seitdem zeigen sich die strukturellen Schwächen der russischen Wirtschaft. Aber viele Leute bleiben trotzdem dabei. Putin bedeutet für sie relative Stabilität.
Spielt dabei auch die Popularität des Typen Putin eine Rolle?
Die Popularität Putins hat vor vier Jahren einmal angefangen zu bröckeln und dann gab der Präsident den Befehl, die Krim zu besetzen, dort ein so genanntes Referendum durchzuführen, die Halbinsel also zu annektieren und den Krieg in der Ostukraine zu beginnen. Das hat ihm hier im Land einen richtigen Boom eingebracht. Ganz nach dem Motto: „Jetzt sind wir wieder wer, jetzt haben wir uns dafür gerächt, dass wir Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre von einer Weltmacht zu einer Regionalmacht, wie das US-Präsident Barack Obama einmal genannt hat, degradiert wurden.“ Das rechnen sehr viele Leute in Russland Wladimir Putin hoch an.
Sie haben gerade die strukturellen Schwächen der russischen Wirtschaft angesprochen. Wird Putin, so er denn antritt und gewählt wird, seine Politik anpassen und vielleicht auch unpopuläre Entscheidungen treffen?
Es gibt auch im Russischen das Sprichwort: „Die Hoffnung stirbt zuletzt…“. Aber wenn ich auf etwas setzen müsste, würde ich da gerade nicht darauf setzen. Wenn ich die 17-jährige Amtszeit von Putin Revue passieren lasse, dann war es immer so, dass er auf jede Herausforderung seiner Macht mit einer Verringerung der bürgerlichen Freiheiten in Russland reagiert hat. Immer wieder wurde davon geredet, die Wirtschaft müsse modernisiert werden. Auch jetzt wieder. Doch passiert ist kaum etwas. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass sich dieser Mann mit seinen 65 Jahren noch ändert. Außerdem sagen alle, es sei seine letzte Amtszeit … Aber wer weiß?
Der russische Präsident wird für sechs Jahre gewählt. Nach 2018 wäre die nächste turnusmäßige Wahl 2024. Da darf er laut Verfassung nicht kandidieren, weil der Präsident nur einmal direkt hintereinander gewählt werden darf. Nächster Termin wäre dann 2030, da wäre Putin 77 Jahre alt.
Das kann sein, aber die Verfassung ist änderbar und Putin hat eine verfassungsändernde Mehrheit. Daran wird sich auch nach der Wahl nichts ändern. Die Diskussion, die Verfassung zu ändern, hat es auch 2008 nach den ersten beiden Amtszeiten Putins gegeben. Damals hat man sich im Kreml dagegen entschieden und das Konstrukt eines Präsidenten Dmitrij Medwedew unter einem Premierminister Wladimir Putin gewählt. Vor kurzem gab es Diskussionen, für Putin einen besonderen Posten zu schaffen, so eine Art „Großer Vater der Nation“, wie ihn Deng Xiaoping in China gehabt hat. Der war offiziell auch nicht das Staatsoberhaupt, aber alle wussten, dass Deng Xiaoping bestimmt, wohin die Richtung geht. Alles ist möglich.
Ist schon jemand in Sicht, der Putin mal beerben könnte?
Namen kursieren immer wieder, wenn Wahlen anstehen, aber es gibt niemanden der klarer Favorit ist. Mal wird der Verteidigungsminister Sergei Schoigu genannt, der in Umfragen der populärste Politiker nach Putin ist. Er kann vielleicht tatsächlich reale Macht aus den Gewehrläufen hinter sich versammeln. Mal ist vom ehemaligen Präsidenten Medwedew die Rede. Andere sagen, auch der gegenwärtige Parlamentspräsident Wjatscheslaw Wolodin hätte Chancen. Ich glaube: Wer Putins Nachfolge antritt, wird sich ganz kurzfristig zeigen. Wahrscheinlich, weil Putin ihn bestimmt. Vielleicht aber auch ganz anders.
Mit Jens Siegert sprach Sven Marcinkowski