Unabhängige NGOs werden vom Kreml spätestens seit den in Russland so genannten „farbigen Revolutionen“ Mitte der 2000er-Jahre in einigen Nachbarstaaten mit (im Wortsinn!) ausgesprochenem Argwohn betrachtet und behandelt. Lange blieben Angriffe auf sie eher episodisch. Der Staat beschränkte sich weitgehend auf bürokratische Schikane und Kontrolle und nur ein wenig und, so konnte es fast scheinen, eher halbherzige Einschüchterung. Selbst die Einführung der sogenannten „Agenten“-Paragraphen in das NGO-Gesetz im Nach-Protest-Sommer 2012 stand noch unter diesem Leitmotiv. Das hat sich seither verändert. Der Kurs geht nun in Richtung Unterwerfung oder gar Vernichtung.
Ein paar grundsätzlichere Gedanken über das Verhältnis Staat-unabhängige NGOs habe ich mir in den Russlandanalysen Nr. 284 im vorigen Oktober gemacht. Zur Geschichte der Anwendung der „Agenten“-Paragraphen durch Staatsanwaltschaft und Justizministerium gibt es eine sehr gute Zusammenfassung von Grigorij Ochotin, einem der Gründer des „OBD-Infos“, in der Zeitschrift „Osteuropa“ (Heft 1-2/2015, S. 83-94) unter dem Titel „Agentenjagd. Die Kampagne gegen NGOs in Russland“. Zum aktuellen Stand habe ich zuletzt in meinem Blog Anfang Februar geschrieben.
An dieser Stelle soll es deshalb nur ein kleines Update zur Agentenjagd geben. Danach werde ich noch auf das in dieser Woche in der Staatsduma verabschiedete sogenannte „Gesetz über unerwünschte Organisationen“ und seine möglichen Auswirkungen eingehen, um dann mit ein paar grundsätzlichen Überlegungen zur westlichen NGO-Förderung in Russland zu schließen.
Zum „NGO-Agenten-Gesetz“: Wie bereits geschrieben, gibt der Ochotins Artikel in „Osteuropa“ eine sehr informative und gute, unbedingt lesenswerte Übersicht über die Entwicklung der „Agentenjagd“ seit 2012Sogar mit einer kleinen Vorgeschichte. Der Autor geht dabei allerdings von einer meiner Ansicht nach nicht ganz korrekten Annahme über das Verhältnis zwischen Staat und unabhängigen NGOs aus, die für das Verständnis der politischen Dynamik wichtig ist. Er suggeriert nämlich, es gebe eine Art „Plan“ im Kreml, wie mit diesen, aus Sicht des Kreml, nicht nur unbotmäßigen, sondern eben potentiell gefährlichen Leuten umzugehen sei. Das ist, nach allem, was ich sehe, aber nicht der Fall. Die Dynamik wird vielmehr von einer Mischung aus Risikovorsorge (u.a. durch immer neue, immer restriktivere Gesetze), Ad-hoc-Aktionismus in politischen Krisenzeiten (oder Zeiten, die im Kreml als kritisch für den Machterhalt angesehen werden) und dem mal bürokratischen, mal politischen Leben bereits bestehender Gesetze bestimmt.
Nun kann man mit einigem Fug argumentieren, das Ergebnis sei dasselbe. Die Differenz zwischen Ochotins Annahm eines Plans und meiner Überzeugung, es gebe keinen, mag für die Strategie der NGOs und ihrer (ausländischen) Geldgeber, wie mit der Situation umzugehen sei, keinen großen Unterschied machen. Allerdings ist dieses Vorgehensmuster des russischen Staates nicht nur bei diesem Gesetz zu sehen, sondern wiederholt sich, in leichten Abwandlungen immer und immer wieder (darüber mehr, wenn es weiter unten um das „Unerwünschte-Organisationen-Gesetz“ geht).
Bis zum Dezember 2014 hatte das Justizministerium erst 16 NGOs zu „Agenten“ erklärt (das Recht dazu hatte es immerhin schon im Mai des gleichen Jahres erhalten). 13 weiter folgten im Dezember. Seither sind etwas mehr als 30 NGOs hinzugekommen (Stand 21.5.2015: insgesamt 64). Mit schöner Regelmäßigkeit finden sich immer freitags in den Presseerklärungen des Ministeriums zwei bis drei neue „Agenten“. Wo und wann das enden wird, ist schwer absehbar. Weit verbreitet sind Einschätzungen, die endgültige Zahl (sofern man bei der gegenwärtigen politischen Dynamik mit solch abschließenden Begriffen überhaupt arbeiten sollte) werde irgendwo zwischen 100 und 150 liegen. Diese Schätzungen beziehen sich auf Analysen der bisherigen „Überprüfungen“ durch Staatsanwaltschaft und Justizministerium (welche, wann, wie viele NGOs mit welchem Ergebnis überprüft wurden und wie viele „neue“, im Zusammenhang mit dem „Agentengesetz“ bisher noch nicht überprüfte NGOs mit der Zeit ins Blickfeld der Behörden geraten sind) und auf einen Überblick über Umfang und Struktur der gegenwärtigen finanziellen Unterstützung der gefährdeten NGO-Gruppe.
Die betroffenen NGOs reagieren unterschiedlich. Es gilt die Regel, jeder und jede rette sich, wie er oder sie kann, allerdings bei gleichzeitiger gegenseitiger Beratung und weitgehender Vermeidung öffentlicher Entsolidarisierung. Einige NGOs lösen sich als juristische Personen auf, arbeiten aber meist gleichwohl in anderer Form weiter. Andere weichen auf andere, mitunter früher bereits „auf Vorrat“ gegründete Organisationen oder Organisationsformen aus (u.a. als „kommerzielle“ Organisationen, die vom Gesetz nicht betroffen sind). Wieder andere, eine in den vergangenen Wochen wachsende Zahl, verzichten auf ausländische Finanzierung und suchen den durch eine erneute Gesetzesänderung im März dieses Jahres nun möglichen Weg einer „Entlistung“ von der „Agentenliste“. Mitte dieser Woche hat die Permer NGO „GRANI“ („Zentr Graschdankskogo Analisa i Nesawisimych Issledowanij“, diesen Schritt als erste NGO erfolgreich beendet.
Während sich das „Agentengesetz“ gegen die organisierten Strukturen russischer Zivilgesellschaft richtet, geht das „Gesetz über unerwünschte ausländische Organisationen“ (wörtlich heißt es, wie die allermeisten russischen Gesetze: „Über die Einfügung einiger Änderungen in die Fassung einiger Gesetzesvorschriften der Russischen Föderation“ weiter. Mit ihm will der russische Staat nicht nur juristischen Personen, sondern auch Individuen in bestimmten Fällen verbieten, Geld aus dem Ausland anzunehmen, ja mehr noch, mit bestimmten Organisationen „zusammen zu arbeiten“. Entgegen seiner populären Bezeichnung richtet sich das Gesetz also viel weniger gegen ausländische Organisationen als gegen russische NGOs und die in ihnen organisierten Aktivisten, und auch gegen diejenigen, die sich unorganisiert engagieren. Damit soll unter anderem die Umgehung des „Agentengesetzes“ durch individuelle Grants verhindert werden.
In seiner ursprünglichen, im Februar 2015 in die Staatsduma eingebrachten Fassung, sprach der Gesetzentwurf übrigens von „ausländischen Organisationen“ (daher auch die populäre Bezeichnung), ohne deren (juristischen) Status näher zu definieren. Durch massives Lobbying von Wirtschaftsvertretern und wohl auch durch den Widerstand eines nicht unerheblichen Teils der Bürokratie (die in Russland ja die Verfügungsgewalt über erhebliche Teile des Unternehmensvermögens hat), was wohl auch die Verzögerung von Februar bis heute erklärt, ist nun in der Endfassung (ich gehe davon aus, dass das Gesetz so wie jetzt von der Duma verabschiedet in Kraft treten wird, obwohl der Föderationsrat noch nicht zugestimmt hat und es von Präsident Putin noch nicht unterzeichnet ist) von „unerwünschten Nichtregierungsorganisationen“ die Rede. Wer „unerwünscht“ ist, wird künftig die Generalstaatsanwaltschaft entscheiden, das russische Außenministerium hat ein Mitspracherecht. Jekaterina Schulman hat das alles, allerdings auf Russisch, in einem Artikel in der Tageszeitung Wedomosti diese Woche auseinanderklamüsert.
Die Gesetzesbestimmungen sind, wie schon lange üblich und (schlechte) Praxis so ungenau gefasst, dass der Exekutive praktisch völlige Entscheidungsfreiheit gelassen wird. Wie beim „Agentengesetz“, bei dessen Anwendung jede öffentliche Äußerung von NGOs oder ihrer Führungspersonen als „Einflussnahme auf die Regierungspolitik“ und damit als “politisch“ aufgefasst wird (was zusammen mit Finanzierung aus dem Ausland den „Agenten“-Status begründet), können nun Bestimmungen wie „Gefährdung der russischen Staatssicherheit“ fast beliebig angewandt werden. Das lehrt schon lange die Praxis des seit Mitte der 2000er Jahre zu diesem Zweck vielfach gebrauchten „Extremismusgesetzes“, das ähnliche und ähnlich schwammige Formulierungen enthält.
Im Übrigen sollten sich auch Unternehmen trotz der Änderungen zwischen erster und zweiter Lesung nicht allzu sicher fühlen. Der Terminus „Nichtregierungsorganisationen“ ist längst nicht so eindeutig, wie er auf den ersten Blick scheint. Er kam bisher in der russischen Gesetzgebung nicht vor. NGOs, also Non-Governmental Organisations, werden in den einschlägigen russischen Gesetzen als „NKO“, als „Nicht-Kommerzielle Organisationen“ bezeichnet. In der oft verqueren, rechtspositivistischem Denken verhafteten Auslegung russischer Gerichte könnte aus der Tatsache, dass das Gesetz eben nicht von „nichtkommerziellen“ Organisationen spricht, schnell der Umkehrschluss folgen, dass dann mit „Nichtregierungsorganisationen“ auch Wirtschaftsunternehmen gemeint sein können.
Nun ist es zwar keineswegs klar, wie, wann, gegen wen genau und in welchem Umfang dieses Gesetz angewandt werden wird. Aber die Erfahrung zeigt, dass derartige Repressionsinstrumente, wenn der russische Staat sie erst einmal geschaffen hat, früher oder später immer genutzt werden. Schon seit einiger Zeit kursieren unterschiedliche Listen, welche ausländischen Organisationen denn vorrangig zu „unerwünschten“ erklärt werden. An vorderster Stelle stehen dort immer US-amerikanische Stiftungen (egal ob nun privat oder aus dem öffentlichen Haushalt finanziert), denn aus Kremlsicht waren sie es ja, die die „orangene Revolution“ und den Majdan nicht nur gefördert, sondern initiiert haben. Entsprechend werden sie seit langem verdächtigt, Ähnliches auch in Russland im Schilde zu führen. Fast immer wird die Soros-Stiftung „Open Society Foundation“ genannt, die einen ähnlich teuflischen Status in Russland genießt, wie der „Vater der Voucher-Privatisierung“ Anatolij Tschubajs.
Sollte die Anwendung des „Unerwünschte-Organisationen-Gesetzes“ eine ähnliche Dynamik entwickeln wie letzthin das „NGO-Agentengesetz“, könnte die Folge das Ende der unabhängigen NGO-Szene in Russland sein, so wie wir sie bisher kennen. Das würde zwar mit großer Wahrscheinlichkeit nicht heißen, dass es dann keine unabhängigen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten mehr gibt, aber sie würden wohl andere Formen annehmen und unter anderen Labels (wenn auch, zumindest teilweise, durch die gleichen Personen) fortgeführt werden. Eine kleine Vorstellung davon, wie solche Veränderungen oder Verschiebungen vor sich gehen, kann vielleicht die über die vergangenen Jahre unter dem Eindruck immer repressiverer Gesetzesverschärfungen stehende Demonstrationspraxis in Russland geben: Demonstranten weichen auf das Gerade-noch-Erlaubte aus (insbesondere Einzelmahnwachen) und maskieren sich (Flashmobs oder die Nowosibirsker „Monstrationen“, die mit absurden Forderungen Demonstrationsverbote lächerlich zu machen versuchen). Oder sie arrangieren sich mit den Behörden – um den Preis, an Schärfe, Spontaneität, und damit auch Wirkung zu verlieren.
Das alles führt zu der Frage, was westliche NGO-Förderung denn angesichts dieser Entwicklungen tun sollte und tun darf. Schon seit längerem wird von vielen Teilnehmern dieser Diskussion, nicht nur in Deutschland, eine angebliche bisherige Konzentration der westlichen Förderung in Russland auf oft sogenannte „politische“ NGOs und eine Vernachlässigung „sozialer Dienstleister“ aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich beklagt. Das halte ich für in mehrfacher Hinsicht problematisch.
Beginnen wir mit der Empirie. Die (finanzielle) Förderung von „politischen“ NGOs (mitunter werden auch die Zuschreibungen „Themenanwälte“, Advocacy-Gruppen u.a. benutzt) hatte nie auch nur annähernd, auch nicht in den 1990er Jahren, den Umfang der Förderung „sozialer Dienstleister“ oder anderer im wesentlichen auf Kooperation mit dem Staat setzender oder in Ergänzung zum Staat arbeitender Gruppen. Sie war auch nie in nennenswertem Umfang gegen den russischen Staat gerichtet oder wurde an ihm vorbei geleistet. Die großen und finanziell üppig ausgestatteten Programme der EU wie TACIS oder von USAID haben sich umgekehrt auf genau diesen Bereich bezogen und erfolgten immer in Kooperation und mit Zustimmung der dafür zuständigen staatlichen Stellen in Russland. Das galt auch, und gilt noch immer, für die Programme der meisten großen privaten Stiftungen aus dem Westen (wobei US-amerikanische Stiftungen hier vom finanziellen Engagement her immer noch mit weitem Abstand die Hauptrolle spielen). Mehr noch: Die Implementierung von Förderprogrammen fußte und fußt entweder auf zwischenstaatlichen Abkommen oder geschieht weitgehend über in Russland akkreditierte Filialen und Repräsentanzen der Geldgeber. Hinzu kommt das Engagement zahlreicher weiterer nichtstaatlicher Akteure aus dem Westen (im Falle Deutschlands zum Beispiel der Caritas, der Diakonie), aber auch das Engagement im Rahmen der zahlreichen Städtepartnerschaften und einer großen, kaum zu überblickenden Zahl meist kleinerer privater Initiativen.
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Förderung ökologischer Projekte. Die Höhe der Förderung von Advocacy-Projekten und –Gruppen war und ist sehr viel geringer als die von Umweltschutzprojekten im klassischen Sinn, auch unter Einbeziehung internationaler Organisationen aus der UN-Familie.
Zudem ist allein die hier skizzierte Trennung von zivilgesellschaftlichem Engagement in einen „politischen“ und einen „sozialen“ Teil problematisch, und zwar vor allem aus zwei Gründen. Zum einen gibt es eine große Zahl von NGOs in Russland, deren Tätigkeit sich auf beide Bereiche erstreckt. Um nur das bekannteste Beispiel zu nennen: Die Arbeit von Memorial fußt auf drei Säulen, nämlich der Beschäftigung mit Menschenrechtsverletzungen heute, der Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit und der sozialen Fürsorge für die Opfer dieser Menschenrechtsverletzungen. Nur so konnte Memorial zu jener großen, stabilen und angesehenen Organisation mit einer tiefen sozialen Verankerung (vor allem in den russischen Regionen) werden, die es heute ist. Zum anderen aber, und das ist vielleicht noch wichtiger, sind Existenz und Arbeit der „politischen“ NGOs die Voraussetzung für die Handlungsfreiheit und Unabhängigkeit der „sozialen Dienstleister“.
Das führt zum nächsten Problem: Diese aus meiner Sicht künstliche Trennung wiederholt, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen, den wesentlichen Fehler der NGO-Förderung der 1990er Jahre (oder, aus damaliger Perspektive wohl korrekter ausgedrückt, der Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen). Seinerzeit wurde das weitgehend als „technische“ Aufgabe angegangen (trotz allerlei – richtiger! – Demokratie-Prosa drumherum). Es galt die (meist eher immanente denn bewusste) Annahme, dass die russische Gesellschaft mit der Selbstbefreiung aus der Sowjetunion (genau wie andere postsowjetische Länder auch) den Point-of-no-Return überschritten habe, es also „nur“ noch darum gehe, das ganze abzuwickeln (man könnte das wahrscheinlich auch die „Fukuyama-Falle“ nennen). Die innenpolitische Entsprechung dazu war die Erwartung der unter Präsident Jelzin an der Macht beteiligten Liberalen, man müsse nur genügend Wohlstand schaffen, dann bilde sich schon eine Mittelschicht heraus und demokratisches Bewusstsein folge natürlicher Weise auf dem Fuße. Heute dagegen wird von außen der Point-of-no-Return (erneut eher implizit) für unerreichbar erklärt. Von innen assistiert ein Diskurs über das angebliche Anderssein der Menschen in Russland. Hinzugefügt wird dann von beiden Seiten das Argument, „westlich“ ausgerichtete, also „politische“ NGOs hätten eben in der russischen Gesellschaft keine Unterstützung, und überhaupt gebe es in Russland ein „anderes Verständnisses von Zivilgesellschaft“. Weil das so sei, müsse man sich bescheiden und anpassen, um effektiv und erfolgreich zu sein.
Doch diese Annahmen sind nicht nur unpolitisch, sondern auch, wahrscheinlich wichtiger noch, unhistorisch. Sie stellen sich Gesellschaften statisch, (fast) ohne Dynamik vor. Die russische Gesellschaft ist aber entgegen landläufiger Auffassungen eine höchst dynamische, das haben zuletzt wieder die „wie aus dem Nichts“ aufgetauchten Proteste des Winters 2011/2012 gezeigt, aber auch die durch enorme staatliche (Propaganda-)Anstrengungen verstärkte gegenwärtige Schwingung in die Gegenrichtung (die ihren Scheitelpunkt womöglich schon wieder überschritten hat).
Wohl auch deshalb bleiben die bei vielen Kritikern der Förderung „politischer“ NGOs vorgestellten und (manchmal explizit, meist aber implizit) zu Grunde gelegten Entwicklungsszenarien so seltsam blutleer; sie reproduzieren eine angenommene „Pfadabhängigkeit“ (wobei ich jetzt sicher nicht erläutern muss, welcher Pfad gemeint ist). Die Konzentration auf mehr „soziale Dienstleister“ und weniger „Themenanwälte“ oder „politische“ NGOs würde, so wage ich voraus zu sagen, erstere mit dem Staat allein lassen und letztlich zu zweierlei führen:
Erstens zu einer zunehmenden „Verstaatlichung“ eben dieser „Dienstleister“. Ohne die wesentlich auf die Bewahrung von (Handlungs-)Freiheiten gerichtete Arbeit „politischer“ NGOs (oder bei ihrer weiteren Schwächung) dürften die „sozialen Dienstleister“ immer mehr zu Auftragnehmern des Staates werden. Das würde umso mehr geschehen, da es mit der Ausschaltung ausländischer Finanzierungsquellen nur noch einen zahlungsfähigen „Kunden“ für diese Dienstleistungen gäbe (mögliche inländische Geldgeber sind ja schon seit mehr als zehn Jahren weitgehend aus dem Spiel): den Staat. Da das „sowjetische“ institutionelle Gedächtnis sowohl in der staatlichen Verwaltung als auch unter den beteiligten Bürgern weiterhin sehr frisch, also abrufbar ist, dürften die „Sozialen-Dienstleister-NGOs“ am Ende etwa jene Funktionen ausfüllen, die in der Sowjetunion zum Beispiel die Gewerkschaften hatten. Sie haben soziale Aufgaben wahrgenommen, allerdings nach strengen Vorgaben des Staates und unter seiner direkten Kontrolle.
Zweitens würde ein Ende oder eine wesentliche Reduzierung westlicher Förderung auch „politischer“ NGOs dazu führen, dass die russische (Zivil-)Gesellschaft beim nächsten Dynamisierungsschub gesellschaftlicher Bewegung gegen die allumfassenden Staatlichkeit (und der kommt so sicher wie das Amen in der Kirche und der Gebetsruf des Mullahs) erneut unzureichend vorbereitet sein wird. Denn die sozialen und politischen Praktiken, wie Krisen zur Transformation in eine eben demokratische Richtung genutzt werden können, werden wesentlich von diesen NGOs und verwandten gesellschaftlichen Organisationsformen entwickelt, erprobt und umgesetzt. Soziale NGOs sind dazu, bei all ihrer Notwendigkeit und Nützlichkeit, nicht in der Lage.