Medwedjew blinkt schon wieder liberal

Gestern und heute blinkte Präsident Medwedjew erneut heftig liberal. Im Institut für moderne Entwicklung (Chef: Igor Jürgens, Beiratsvorsitzender: Dmitrij Medwedjew), ein durchaus liberaler Think Tank, hörte sich Medwedjew gestern höflich an, welche sozialen Probleme die Wirtschaftskrise Russland bringen kann, insbesondere die viel schneller als erwartet wachsende Arbeitslosigkeit. Unter den Experten des Instituts, Medwedjew direkt gegenüber sitzend, war auch Jewgenij Gontmacher, einer der führenden russischen Sozialexperten, der noch vor wenigen Wochen den stellvertretenden Leiter der Kremladministration Wladislaw Surkow mit Michail Suslow, dem Chefideologen der Breschnewschen Sowjetunion verglichen und Taten statt Ideologie gefordert hatte. Medwedjew gab sich vorsichtig kritisch, indem er zugab, dass heute schon so viele Menschen in Russland arbeitslos seien, wie nach den Prognosen der Regierung erst am Jahresende zu erwarten sei.

Das zweite liberale Signal war ein Interview des Staatsoberhaupts in der oppositionellen Nowaja Gaseta, der Zeitung, in der auch Anna Politkowskaja arbeitete. Es war das erste Interview Medwedjews für ein offen oppositionelles Massenmedium. Er habe sich zu diesem Interview entschlossen, weil die Mitarbeiter der Nowaja Gaseta sich „niemals und bei niemanden eingeschleimt“ hätten. In seinen Antworten versuchte der Präsident einen Spagat zwischen starkem Staat und selbstbewusster Gesellschaft. Man dürfe „auf keinen Fall ein stabiles und sozial abgesichertes Leben gegen politische Rechte und Freiheiten“ stellen, so Medwedjew. Der Ausgang des zweiten Jukos-Prozesses sei unvorhersagbar. Immerhin sei es ein Gerichtsprozess und der müsse ergebnisoffen sein. Wenn er als Präsident das Urteil schon vorher wüsste, so Medwedjew rührend empört, wäre das doch gesetzwidrig. Und so geht es weiter: lauter so sanfte wie unverbindliche Antworten, die auf der Website der Nowaja Gaseta von LeserInnen höhnisch bis giftig kommntiert wurden.

Das dritte mal blinkte Medwedjew heute liberal. Beim Treffen mit dem Rat zur Mitwirkung an der Entwicklung der Institute von Zivilgesellschaft und Menschenrechten, dem sogenannten Pamfilow-Rat, schlug Medwedjew vor, die NGO-Gesetzgebung zu liberalisieren. Viele Beamte sähen in NGOs nur eine Bedrohung für ihre uneingeschränkte Macht. Das sei zwar, vermutete Medwedjew, nicht nur in Russland so, aber man habe hierzulande doch eine „eher schwierige Tradition“ in dieser Hinsicht. Geändert werden müssten die Steuergesetzgebung für NGOs, die Regeln für die Zusammenarbeit zwischen NGOs und Behörden, die Informationspolitik, und die Beteiligung von NGO-VertreterInnen als ExpertInnen bei öffentlichen Vorhaben und öffentlichen Anhörungen. Alles alte Forderungen der russischen NGO-Gemeinschaft, deren eher stachelige  Vertreter zahlreich im Pamfilowa-Rat sitzen.

Was bedeutet das liberale Blinken nun? Erst einmal gar nichts. Denn liberal geblinkt hat Medwedjew schon öfter, abgebogen ist er aber noch nie. Es ist nicht einmal klar, ob er am Steuer sitzt. Die meisten Beobachter bezweifeln das. Das regelmäßige liberale Blinken kann also viele Bedeutungen haben (und die meisten davon durchaus gleichzeitig): ein weiteres Goodwill-Signal nach Westen; Teil der Arbeitsteilung zwischen dem harten Putin und einem eher liberaleren Medwedjew; ein Signal Medwedjews, dass er auch anders könnte als Putin, wenn er denn wollte oder dürfte. Ernst nehmen sollte man trotzdem nur, was wirklich passiert.

Siehe auch Post Medwedjew will nicht Putin sein vom 17. Februar 2009


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