Lange war es nur ein Gerücht. Mitte Oktober aber erklärte Ksenija Sobtschak, sie werde bei den Präsidentenwahlen im kommenden März antreten. ‚Ksenija wer?‘, dürften sich die meisten Menschen außerhalb Russlands fragen. In Russland aber kennt die 36-Jährige fast jeder. Mit einem Bekanntheitsgrad von 95 Prozent liegt sie nur knapp hinter Präsident Wladimir Putin, aber vor jedem anderen Politiker des Landes, solche Leute wie Premierminister und Ex-Präsident Dmitrij Medwedew eingeschlossen.
Bekannt wurde Ksenija Sobtschak durch das Fernsehen. Eine gefühlte Ewigkeit lang, von 2004 bis 2012, moderierte sie die Sendung „Dom-2“, die russische Version des Big-Brother-Containers. Daneben war sie aber auch in zahlreichen anderen Fernsehshows als Moderatorin zu sehen. Wer regelmäßig russisches Fernsehen schaute (und das ist die große Mehrheit der Menschen in Russland), kam also kaum an ihr vorbei. Seit 2008 macht Ksenija Sobtschak zudem auch politischen Journalismus mit einer Talkshow im ehemaligen Kabel- und seit 2012 nur noch Internetkanal „TV-Doschd“.
Allein dadurch gehört sie zum gesellschaftlichen, vor allem aber zum Glamour-Establishment in Russland. Doch auch ihre Herkunft trägt zu ihrer Popularität bei. Ihr Vater war Anatolij Sobtschak, der erste postsowjetische Bürgermeister von Leningrad/St. Petersburg, in den 1990er Jahren eine der Frontfiguren des neuen, demokratischen Aufbruchs. Der Schrägstrich steht nicht zufällig im vorausgehenden Satz, denn die symbolisch bedeutsame Rückbenennung der Zaren- und Revolutionsstadt Anfang der 1990er Jahre ist das vielleicht wichtigste Vermächtnis von Vater Sobtschak. Noch wichtiger, wenn auch kein Vermächtnis, ist vielleicht, dass einer der Stellvertreter Sobtschaks ein Ex-KGB-Agent namens Wladimir Putin war.
In der Presse, darunter vorwiegend der Boulevardpresse, wurde Ksenija Sobtschak lange Zeit vor allem mit Attributen wie „It-Girl“ oder „russische Paris Hilton“ bedacht. Das sollte wohl heißen, dass sie zwar irgendwie gewieft sei und gutaussehend ohnehin, aber ansonsten etwas hohl im Kopf und ihre Karriere viel mit ihrer Herkunft zu tun habe. Das änderte sich spätestens mit den Protesten gegen Wahlfälschungen und die Wiederwahl Wladimir Putins im Winter 2011/2012. Ksenija Sobtschak war eine der Protestierenden und entwickelte sich nicht zuletzt dank ihrer Bekanntheit schnell zu einer der Führungsfiguren dieser letztlich eher kurzlebigen Oppositionsbewegung. Schon damals verfolgten sie aber wegen ihrer beruflichen Vergangenheit und der familiären Nähe zu Putin genährte Verdächtigungen, sie meine es nicht wirklich ernst mit ihrer Opposition, das Ganze sei nur ein neues gesellschaftliches Spiel.
Für ihre Glaubwürdigkeit spricht allerdings, dass Ksenija Sobtschak seinerzeit für ihr Engagement einen hohen Preis zahlen musste: Der Zugang zu den staatlichen oder vom Kreml kontrollierten Fernsehsendern (und das sind die mit Reichweite und Massenpublikum) wurde ihr verschlossen. Ihre Showmasterkarriere war zu Ende. Es blieb nur der kleine, nicht sehr reichweitenstarke Internetsender „TV-Doschd“, der fast ausschließlich politische und Informationsprogramme sendet.
Nun hat diese sehr bekannte, noch relativ junge Frau, mit privaten Verbindungen zum Allermächtigsten im Land, in den vergangenen Jahren zwar politisch oppositionell engagiert, aber nirgendwo politisch wirklich gebunden, also erklärt, Präsidentin werden zu wollen. Und das ganze Land diskutiert, was das zu bedeuten hat.
Ich will mich der Antwort auf diese Frage in drei Schritten nähern. Zuerst möchte ich ein wenig auf die programmatischen (soweit man das so nennen kann) Erklärungen von Ksenija Sobtschak eingehen. Dann soll kurz der in Russland immer schicksalhaften Frage nachgegangen werden, ob diese Kandidatur nun auf eigene Initiative erfolgt (aus Eigensinn sozusagen) oder sie Teil einer, wie das hierzulande heißt, polittechnologischen Strategie ist (einer des Kremls natürlich). Und zum Schluss sollen die möglichen Folgen des Ganzen für andere oppositionelle Kandidaten, vor allem natürlich für die Kandidatur von Alexej Nawalnyj diskutiert werden.
Ksenija Sobtschak bezeichnet sich selbst als Kandidatin „gegen alle“. Das klingt erst einmal nach einer Wahlkampfparole, ist aber doch ein bisschen mehr. Seit 1991 konnten Wähler in Russland auf den Wahlzetteln nicht nur für eine oder einen der darauf aufgeführten Kandidatinnen oder Kandidaten entscheiden. Sie hatten auch die Möglichkeit, ihr Kreuz oder ihre Haken ganz unten zu machen und eben „gegen alle“ zu stimmen. Das wurde 2006 unter Präsident Putin abgeschafft. Zwar sank damit die Wahlbeteiligung. Die war dem Kreml aber offensichtlich nicht so wichtig. Entscheidender war, dass die Stimmanteile der Sieger (und das waren schon damals fast ausschließlich Kremlparteien und Kremlkandidaten) durch die Abschaffung des „Gegen-Alle“-Kästchens stiegen.
Überhaupt positioniert sich Sobtschak als über den ideologischen Lagern stehend. In einem in der Tageszeitung „Wedomosti“ veröffentlichten Text heißt es: „Ich befinde mich außerhalb starrer ideologischer Schranken. Ich gehöre keiner Partei an, bin durch keinerlei Partei- oder Gruppendisziplin gebunden. Im Rahmen dieser Kampagne bin ich nicht einmal für ‚die Krim ist unser’ und auch nicht dagegen. Ich bin dafür, dass in unserem Land die totale Korruption aufhört, dass es wirkliche Politik gibt, eine Regierung, die der freien Willensbildung der Menschen verantwortlich ist, Menschen, die selbst entscheiden, wie sie leben wollen, die gleichberechtigt mit der Weltgemeinschaft und den Nachbarn entscheiden, wem die Krim wirklich gehört…“.
Mit derart schönen, in Putins autoritärem Staat oppositionellen Worten geht es weiter. Sobtschak spricht sich „gegen Revolutionen“ aus und für einen „friedlichen Übergang“, der in Russland das Prinzip von Personalwechseln an der Machtspitze etablieren soll. Sie lobt Alexej Nawalnyj dafür, dass er sich ebenso für einen friedlichen Machtwechsel ausspricht, sagt aber auch, dass es wichtig sei, dass „sie“ (also die Machthaber) Nawalnyj nicht trauten. Ihr hingegen, Ksenija Sobtschak, würden sie Vertrauen entgegenbringen. Sie kenne einen großen Teil des russischen Establishments persönlich und diese Leute (einschließlich Putin, muss man hier wohl lesen) würden sie kennen. Sie könne also Vermittlerin zwischen Machthabern und Opposition sein.
Damit komme ich zur wohl wichtigsten, aber kaum wirklich beantwortbaren Frage, ob Ksenija Sobtschaks Kandidatur nun ein Kremlprojekt ist oder nicht. Glaubt man den vielen Kommentatoren in den russischen Medien, neigt sich die Waagschale zugunsten der Version, hier habe der Kreml die Hand im Spiel. Sobtschak selbst bestreitet das und Beweise gibt es (bisher zumindest) keine. Nach Sobtschaks Version habe sie sich zur Kandidatur entschlossen, weil der einzig wirklich oppositionelle Kandidat Alexej Nawalnyj aller Voraussicht nach nicht antreten darf (siehe dazu ausführlicher in diesem Blog hier und hier), es aber eine wirklich oppositionelle Alternative auf dem Wahlzettel geben müsse. Sie geht so weit zu erklären, sie werde ihre Kandidatur zurückziehen, sollte Nawalnyj ganz gegen alle Erwartung vom Kreml doch erlaubt werden, an den Wahlen teilzunehmen. Sie habe Präsident Putin, so Sobtschak, erst kurz vor der Ankündigung ihrer Kandidatur darüber informiert, als sie sich bei Dreharbeiten zu einem Dokumentarfilm über ihren Vater trafen. Putin sei sichtbar „nicht erfreut“ gewesen, hätte sich aber auch nicht direkt gegen ihre Pläne ausgesprochen.
Ob sich Ksenija Sobtschak die ganze Sache nun tatsächlich selbst ausgedacht hat (wie zum Beispiel der meist gut informierte Kommentator Konstatin Gaase schreibt), oder ob es sich um eine Idee aus den Tiefen der Kremladministration handelt, ist aber inzwischen gar nicht mehr so wichtig (eine nützliche Übersicht über unterschiedliche Analysen gibt es – auf Russisch – bei Radio Swoboda). Denn selbst, wenn es stimmen sollte und die Initiative von Sobtschak ausgegangen sein sollte, hat der Kreml ziemlich schnell verstanden, welches Geschenk sie ihm zu machen begonnen hat. 64 meist positiv konnotierte Auftritte hatte Sobtschak in der Woche nach der Ankündigung ihrer Kandidatur in den vom Kreml kontrollierten landesweiten Fernsehkanälen. Damit wurde sie in den dortigen Politik- und Nachrichtensendungen öfter erwähnt als Präsident Putin. Das hat bisher noch kaum jemand geschafft, schon gar niemand, die sich als Opposition bezeichnet. Warum die Kandidatur von Ksenija Sobtschak – egal, ob nun selbst ausgedacht oder als Geschenk des Himmels daherkommend – einfach genial ist, möchte ich in ein paar Punkten erklären.
Als erstes verleiht eine Kandidatin Sobtschak den Wahlen Legitimation bis weit in die Opposition hinein, die sie ohne sie nicht hätten. Eine Kandidatur von Alexej Nawalnyj wäre in legitimatorischer Hinsicht selbstverständlich noch weit wirksamer, aber Nawalny wäre, einige Wahlen und Kampagnen haben das schon gezeigt, aus Kremlsicht ein Kandidat mit hohem Risiko. Das Risiko, das, wenn überhaupt, von Sobtschak ausgeht, ist dagegen klein und kalkulierbar. Doch auch mit ihr wird die Aufmerksamkeit für die Wahlen erhöht, vielleicht auch die Wahlbeteiligung. Die entgegengesetzten Strategie einer möglichst geringen Wahlbeteiligung ist dem Kreml erst diesen September bei den Kommunalwahlen in Moskau mächtig auf die Füße gefallen (siehe obigen Link hierzu). Zudem braucht Präsident Putin eine hohe Wahlbeteiligung und eine hohe Zustimmung, um seinen fast schon Heiligenstatus nicht zu gefährden.
Zum Zweiten dürfte sich mit Sobtschaks Kandidatur wiederholen, was schon die Krimannexion bewirkt hat: Die ohnehin hoffnungslos in der Minderheit befindlichen demokratischen Putingegner spalten sich erneut. Seinerzeit, 2014, teilten sie sich in diejenigen, die die Krim-Annexion begrüßen und diejenigen, die sie ablehnen. Es gibt zudem gerade im demokratischen Lager viele Menschen, die Nawalnyjs populistische Anflüge, seine Flirts mit russischen Nationalisten und seine die Grenze zum Rassistischen oft nur knapp nicht überschreitenden Aussagen (und manche, die darüber hinausgehen) mit großer Skepsis sehen. Für viele, die nicht für Nawalnyj, aber gegen den Kreml stimmen möchten, könnte die betont demokratische, betont sich politisch korrekt benehmende Sobtschak eine Alternative sein.
Zum Dritten gibt es in der russischen Gesellschaft (selbstverständlich nicht nur in ihr, aber in ihr besonders) eine Tendenz, zwar protestieren zu wollen, aber das doch auf eher ungefährliche Weise zu tun. Der auch im Ausland allseits gut bekannte Nationalist Wladimir Schirinowskij demonstriert seit nun fast schon 25 Jahren virtuos, wie sich mit scheinradikaler Rhetorik und mit (zum Kreml) loyalem Verhalten in wichtigen Dingen viele Jahre nicht nur überleben, sondern sehr gut leben lässt. Aus Umfragen wissen wir, dass die allermeisten Menschen, die in Wahlen für Schirinowskij stimmen, zwar ihren Unmut kundtun wollen, sich aber vor wirklichen Veränderungen fürchten. Schirinowskij führt das Prinzip „Protestpartei“ auf diese Weise ad absurdum und perfektioniert es doch gleichzeitig soweit, dass seine Partei damit schon seit 1993 ununterbrochen im Parlament vertreten ist (und er selbst gut im Geschäft).
Viertens ist Ksenija Sobtschak in ihren demokratischen und kremlkritischen Aussagen (zumindest bisher) ebenso kompromisslos wie Schirinowskij in seinen nationalistischen Ausfällen. Eine kleine Probe zum „Tag der Einigkeit des Volkes“ am 4. November (dem ein wenig künstlichen Ersatztag für die sozialistischen Revolutionsfeiern am 7. November): „Man sagt uns, Feinde würden uns umzingeln und wir müssten uns im Kampf gegen sie zusammenschließen. Wir seien gezwungen in Amerika Feinde zu suchen, in der Ukraine, unter uns selbst. Erklärt der erste Fernsehkanal heute einen Menschen zum Feind, kann der schon morgen ermordet werden (…). So ist es mit Boris Nemzow passiert. Mit Anna Politkowskaja. Meinen Freunden. (…) Wir haben heute nichts zu feiern. Es gibt keine Einigkeit. Wir glauben einander nicht und glauben nicht aneinander. Wir vertrauen der Staatsmacht nicht mehr, die sich vereinigt hat, um uns zu erniedrigen und uns zu beklauen, die selbst lügt und uns zu lügen zwingt.“ Klarer, schärfer und genauer ist Kritik am Kreml heute kaum möglich. Viele Menschen, gerade diejenigen, die Nawalny misstrauen, könnten glauben, dass Sobtschak es ernst meint und eben deshalb für sie stimmen.
Nun kann das alles in Bezug auf Nawalnyj ziemlich egal sein, da er, wovon eigentlich alle ausgehen, ohnehin nicht wird kandidieren dürfen. Mit Sobtschak, so könnte man argumentieren, gäbe es dann immerhin eine Kandidatin, deren Stimmen gezählt und dann als Gewicht einer demokratischen Opposition gewertet werden könnten. Das ist erst einmal auch dann richtig, sollte es sich bei Sobtschaks Kandidatur tatsächlich (wie, ich wiederhole mich, ja die meisten glauben) um ein Kremlprojekt handeln. Ein gutes Ergebnis wäre ein ähnliches Zeichen wie es die Moskauer Gouverneurswahlen 2013 waren, bei denen Nawalnyj aus dem Stand und ohne Fernsehpräsenz 27 Prozent (offizielle, sprich Kremlzahlen!) der Stimmen holte.
Gegen diese Sichtweise, dass es also egal sei, ob nun Nawalny oder Sobtschak die demokratischen Stimmen einfährt, gibt es zumindest drei mir einleuchtende Einwände. Zum einen wird Sobtschak mit großer Wahrscheinlichkeit nicht alle, die für Nawalnyj stimmen würden, davon überzeugen können, nun ihre Stimme ihr zu geben. Zu groß sind die Vorbehalte in weiten Teilen der Opposition gegen ihren Establishment-Status. Zu groß sind die Zweifel an ihrer Selbstständigkeit.
Zum zweiten mindert Sobtschaks Kandidatur den politischen Preis, den der Kreml dafür wird zahlen müssen, Nawalnyj nicht zu den Wahlen zuzulassen. Eine demokratische Zählkandidatin machte es der Opposition weit schwieriger, den undemokratischen Charakter der Wahlen deutlich zu machen. Zudem dürfte die Wahrscheinlichkeit von Protesten allein schon wegen der Spaltung des demokratischen Wählerpotentials erheblich verringern.
Und drittens spielen beide, sowohl Nawalny als auch der Kreml ein Spiel, das viel langfristiger angelegt ist als die kommenden Präsidentenwahlen. Diese Wahlen sind nicht mehr als eine Zwischenetappe, wenn auch eine wichtige. Davon, wie sie ablaufen werden, wie überzeugend oder nicht der Wahlsieg von Putin ausfallen wird, wie stark dafür manipuliert oder gar gefälscht werden muss, und wessen Interpretation des Ausgangs mehr geglaubt werden wird, hängt unter anderem ab, welche Richtung die russische Politik in den kommenden Jahren einschlägt und wie und wann die Nachfolge Putins geregelt werden wird. Alexej Nawalny ist 24 Jahre jünger als Wladimir Putin. Erfolge heute sind für ihn zwar schön, aber ein Mann mit seinen politischen Instinkten weiß, wie lange es normalerweise, also in nicht-revolutionären Situationen dauert, etwas aufzubauen, das einen ganz nach oben bringen kann.
Auch hier kann Sobtschaks Kandidatur für Nawalnyj gefährlich werden. So oder so wird sie, sollte ihre Kandidatur zugelassen werden, von den Strukturen profitieren, die Nawalnyj in den vergangenen Jahren mühsam und mit persönlichem Risiko aufgebaut hat (nicht zu reden von den immer wieder ein bis zwei Wochen, die er regelmüßig in Arrestzellen verbringen muss). Sobtschak verfügt selbst, das hat sie im obigen Zitat sogar als ihre Stärke, ihren Vorteil ausgegeben, über keinerlei politische Strukturen zu ihrer Unterstützung. Sie wird sich aus dem zu bedienen versuchen (müssen), was andere demokratische Oppositionspolitiker vor ihr geschaffen haben. Nawalnyjs erzwungene Untätigkeit wird ihn für viele Menschen weniger, dafür aber eine kandidierende Sobtschak attraktiver machen.
Zum Schluss noch eine Anmerkung. Hier ist immer wieder vom Kreml als denkendes und handelndes Subjekt die Rede. Das ist natürlich eine durchaus grobe Vereinfachung. Den Kreml gibt es höchstens in der Personifizierung von Präsident Putin. Und selbst Putin ist nicht ganz deckungsgleich mit diesem Gedankenkonstrukt. Im hier behandelten Fall Sobtschak ist mit Kreml meist der erste stellvertretende, für Innenpolitik zuständige Chef der Präsidentenadministration, Sergej Kirijenko, gemeint. Ihm vor allem wird von vielen Kommentatoren ein Interesse (mitunter gar die Urheberschaft) an Ksenija Sobtschaks Ankündigung einer Kandidatur zugeschrieben.
Kirijenko, so geht diese Erzählung, habe ein Auge auf diejenigen Liberalen geworfen, denen der gegenwärtige national-patriotische Kurs nicht gefällt, die aber grundsätzlich einer Kooperation mit dem Kreml nicht abhold sind (und sei es nur, weil sie sich Veränderung ausschließlich von der Spitze ausgehend vorstellen können und Revolutionen fürchten wie die KGBler den Dissidenten). Davon gibt es eine ganze Menge. Viele von ihnen schreiben seit Jahren ein Reformprogramm nach dem anderen, die eines nach dem anderen nicht umgesetzt werden. Die Stimmung in dieser für den Kreml nicht unwichtigen Gruppe wird derweil immer finsterer. Sie müssen erstens bei der Stange gehalten werden (unter anderem, weil sie beim Geldverdienen gebraucht werden), und zweitens braucht sie Kirijenko, will er sich in der Auseinandersetzung seinen aufgeklärten Autoritarismus gegen die dunkle Seite der Macht, die nationalistischen und kirchlichen Männer eines immer unaufgeklärteren Autoritarismus durchsetzen. Sobtschak wäre in dieser Erzählung ein Angebot an diesen Teil der funktionalen Elite Russlands. Ein Lichtstreifchen am Horizont sozusagen. Das wiederum soll, so wird erzählt, Premierminister Dmitrij Medwedjew gar nicht gefallen, der Kirijenko in seiner letzten Machtbasis wildern sieht. Aber das ist dann schon Teil einer anderen Geschichte.