Seit Jahren werden in Russland die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und die Arbeit unabhängiger zivilgesellschaftlicher Organisationen eingeschränkt. Kritische Stimmen werden als „nicht-russische“ ausgegrenzt, nicht regierungskonforme NGOs, die internationale Unterstützung erhalten, werden zu „ausländischen Agenten“ erklärt und müssen sich selbst als solche bezeichnen. Der Zwang zur Selbstbezichtigung steht in Terminologie und Praxis in der direkten Tradition stalinistischer Verfolgungen und ist ein Anschlag auf die Würde der Menschen.
Diese Form staatlicher Repression hat in der Zwischenzeit mehr als 140 Organisationen erfasst, darunter Vertretungen der kleinen Völker im Norden Russlands, die Vereinigung Frauen am Don, Umweltorganisationen wie EcoDefense, die Flüchtlingshilfeorganisation Civic Assistance der alternativen Nobelpreisträgerin Swetlana Gannuschkina oder das weltweit hoch anerkannte Sozialforschungsinstitut Levada-Zentrum. Nun hat die Verfolgung die Internationale Gesellschaft Memorial erreicht und damit nach fünf seiner über 60 Mitgliedsorganisationen auch den Dachverband des Memorial-Netzwerks. Eine demokratische gesellschaftliche Entwicklung für Russland ist ohne freie Arbeitsmöglichkeiten für unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen wie Memorial nicht vorstellbar. Memorial ist ein Eckpfeiler der russischen Zivilgesellschaft.
Memorial wurde in den Jahren von Gorbatschows Perestrojka 1988 gegründet und hat sich von Beginn an die Aufgabe gestellt, den Terror und die Funktionsweise der stalinistischen Gewaltherrschaft und des GULAG aufzuarbeiten, den Opfern politischer Verfolgung zu helfen, sie zu rehabilitieren und in Russland und international sichtbar zu machen. Das ist die Voraussetzung für die Durchsetzung und Einhaltung von Menschenrechten in der Gegenwart, für die sich Memorial ebenfalls vorbildlich einsetzt. Die offene und von der Suche nach Wahrheit getriebene Auseinandersetzung mit der sowjetischen Vergangenheit ist für Memorial ein fundamentaler Bestandteil der Öffnung und Demokratisierung der russischen Gesellschaft. Umgekehrt ist keine Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit der Sowjetunion und damit Russlands möglich, ohne auf die aktuellen Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen.
Die Arbeit von Memorial beschränkt sich nicht auf Russland. Mit der Dokumentation des Schicksals hunderttausender im Zweiten Weltkrieg nach Deutschland verschleppter sowjetischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern hat Memorial einen grundlegenden Beitrag zur politischen Diskussion in Deutschland und zur Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen geleistet. Ebenso erinnert Memorial an die Verschleppung von mehr als 7000 unschuldiger Frauen und Männer aus der Sowjetischen Besatzungszone in die UdSSR nach dem Kriege, wo sie hingerichtet wurden. In enger Kooperation mit polnischen Historikern hat Memorial bahnbrechende Arbeiten zur Aufklärung der Morde von Katyń publiziert. Zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Memorial wurden dafür mit polnischen Orden ausgezeichnet. Dies sind nur wenige Beispiele aus einer großen Arbeit, die sich am Ziel eines freien, demokratischen Europas orientiert, in dem auch Russland seinen Platz findet.
Memorial hat in über 25 Jahren ein einzigartiges Archiv von Zeugnissen und Nachlässen Zehntausender von Menschen aufgebaut, die Opfer des Terrors und der Repression waren. Diese Sammlung ist heute eine unvergleichliche Dokumentation menschlichen Leidens, menschlicher Selbstbehauptung und menschlichen Widerstands in totalitären Zeiten. In den Räumen von Memorial in Moskau liegt ein kulturelles Erbe der Menschheit. Memorial hat umfangreiche Forschungsarbeiten geleistet, biographische Nachschlagwerke und Quelleneditionen zur Geschichte des Stalinismus und der Sowjetunion publiziert. Sie sind in der wissenschaftlichen Welt hoch anerkannt. Mit Ausstellungen zur Geschichte des GULAG wirkt Memorial in eine große Öffentlichkeit des eigenen Landes wie europäischer Nachbarn hinein.
Über den Schülergeschichtswettbewerb „Der Mensch in der Geschichte – Russland im XX. Jahrhundert“, an dem Schülerinnen und Schüler aus ganz Russlands teilnehmen, arbeitet Memorial seit über 15 Jahren mit über 30 000 Arbeiten an einer authentischen Erinnerungskultur, die Kindern und Jugendlichen eine eigene, unverwechselbare Stimme gibt.
Das Menschenrechtszentrum von Memorial zählt zu den wichtigsten unabhängigen Informationsquellen in Russland, wenn es um die Situation im Nordkaukasus, insbesondere in Tschetschenien, im Donbass oder auf der von Russland annektierten Krim geht. Memorial dokumentiert unbestechlich die Menschenrechtslage in der Russischen Föderation und führt eine nach internationalen Kriterien zusammengestellte Liste politischer Gefangener.
Schließlich und nicht zuletzt sind das landesweite Netzwerk von Memorial und insbesondere die Memorial-Zentren in Moskau zu unverzichtbaren Katalysatoren gegenseitiger zivilgesellschaftlicher Unterstützung und demokratischer gesellschaftspolitischer Diskussion in Russland und im gesamten postsowjetischen Raum geworden.
Memorial braucht unsere Unterstützung und Solidarität – so wie wir russische Stimmen der Aufklärung und der Menschenrechte brauchen.
Wir solidarisieren uns mit Memorial und all jenen Kräften in Russland, die an einer Politik des Gewaltverzichts, der Offenheit und des Friedens nach innen und außen festhalten wollen.
Wir bitten Sie um Spenden für Memorial unter dem Stichwort „Für die Arbeit von Memorial“ auf das Treuhand-Konto
Name: Memorial International
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Konto: 130 227 27
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BIC: GENODEM1GLS
Die Spenden sind steuerlich absetzbar und gehen ohne Verwaltungsgebühr direkt an Memorial.
Dr. Gleb J. Albert, Zürich; Dr. Jaromir Balcar, Berlin; Prof. habil. Bernhard H. Bayerlein, Bochum; Prof. em. Dr. Dietrich Beyrau, Tübingen; Marieluise Beck, Bremen; Lukas Beckmann, Bochum/Berlin; Marianne Birthler, Berlin; Prof. Dr. Timm Beichelt, Frankfurt/Oder; Dr. Ivo Bock, Bremen; René Böll, Köln; Reinhard Bütikofer, MEP, Berlin; Viola von Cramon, Göttingen; Prof. Dr. Dittmar Dahlmann, Bonn; Sonja Eichwede, Berlin; Prof. em. Dr. Wolfgang Eichwede, Bremen; Prof. em. Dr. Karl Eimermacher, Berlin; Gernot Erler, Freiburg/Berlin; Dr. Sabine Fischer, Berlin; Barbara von Ow-Freytag, Berlin; Ralf Fücks, Berlin; Prof. Dr. Klaus Gestwa, Tübingen; Katja Gloger, Hamburg; Marlene Hiller, Badenweiler; Prof. Dr. Reinhard Hoffmann, Bremen; Kerstin Holm, München; Prof. em. Dr. Rudolf Jaworski, Konstanz; Dr. Anna Kaminsky, Berlin; Prof. Dr. Andreas Kappeler, Wien; Prof. Dr. Doris Kaufmann, Bremen; Walter Kaufmann, Berlin; Prof. Dr. Volkhard Knigge, Buchenwald/Jena; Ilko-Sascha Kowalczuk, Bayreuth; Dr. Gerd Koenen, Frankfurt/Main; Prof. Dr. Jan K?en, Prag; Dr. Hermann Kuhn, Bremen; Prof. Dr. Jan Kusber, Mainz; Prof. Dr. Maike Lehmann, Köln; Dr. Stefan Meister, Berlin; Stefan Melle, Berlin; Markus Meckel, Berlin; Prof. Dr. Birgit Menzel, Germersheim; Helga Metzner, Berlin; Prof. Dr. Dietmar Neutatz, Freiburg; Prof. em. Dr. Claus Offe, Berlin; Prof. Dr. Stefan Plaggenborg, Bochum; Prof. Dr. Jan Plamper, London; Ruprecht Polenz, Münster; Sven Pauling, Bremen; Gerd Poppe, Berlin; Ulrike Poppe, Potsdam; Prof. Dr. Joachim von Puttkamer, Jena; Manuela Putz, Bremen; Katharina Raabe, Berlin; Judit & Laszlo Rajk, Budapest; Waleria Radziejowska-Hahn, Köln; Prof. em. Dr. Michal Reiman, Prag; Prof. Dr. Malte Rolf, Bamberg; Dr. Manfred Sapper, Berlin; Prag, Prof. Dr. Susanne Schattenberg, Bremen; Prof. Dr. Frithjof Benjamin Schenk; Basel, Prof. em. Dr. Karl Schlögel, Berlin; Prof. Dr. Martin Schulze Wessel, München; Dr. Tetiana Sebta, Kiew; Tom Sello, Berlin; Prof.es em. Dr. Eva & Dieter Senghaas, Bremen, Dr. Natia Sichinava, Tbilisi; Dr. Diana Siebert, Singen; Jens Siegert, Moskau; Prof. Dr. Rita Süssmuth, Berlin; Prof. Dr. Stefan Troebst, Berlin; Helga Trüpel, Bremen; Dr. Elisabeth Weber, Köln; Dr. Volker Weichsel, Berlin; Prof. Dr. Michael Zürn, Berlin.
Materialien:
- Grigorij Ochotin: Agentenjagd: Die Kampagne gegen NGOs in Russland
- Evgenija Lezina: Memorial und seine Geschichte: Russlands historisches Gedächtnis
- Arsenij Roginskij: Erinnerung und Freiheit: Die Stalinismus-Diskussion in der UdSSR und Russland
- Irina Ščerbakova: Wenn Stumme mit Tauben reden: Generationendialog und Geschichtspolitik in Russland
- Das Jahr 1937 und die Gegenwart. Thesen von Memorial
- Irina Ščerbakova: Erinnerung in der Defensive. Schüler in Rußland über Gulag und Repression
- Liste der NGOs, die Russland als „ausländische Agenten“ bezeichnet
Verantwortlich:
Dr. Manfred Sapper, Osteuropa, Schaperstr. 30, 10719 Berlin, Tel.: 030-30104581, osteuropa@dgo-online.org
Ende der Dokumentation