Vom Sinn und Unsinn des Petersburger und anderer Dialoge

Am 23. April fand in Leipzig eine sogenannte „erweiterte Lenkungsausschusssitzung“ des Petersburger Dialogs statt. Grußworte gab es vom Land Sachsen, der Stadt Leipzig, dem deutschen Lenkungsausschussvorsitzenden Lothar de Maiziere und seinem russischen Counterpart Wiktor Subkow, im Hauptberuf Vizepremierminister Russlands.  Danach zwei Festreden (von Herfried Münkler und Oleg Penkow) zum Thema „Zivilgesellschaft und Friedenbemühungen von 1914 bis heute“ (wir sind ja in einem Großer-Krieg-Jubiläumsjahr, nur das 1914 in Russland niemanden interessiert, 1917 ist viel wichtiger) und anschließend eine Podiumsdiskussion mit den Vortragenden, sowie Gernot Erler, dem Russlandbeauftragten der Bundesregierung.

Auch ich war eingeladen, bin aber nicht nach Leipzig gefahren. Deshalb kann und werde ich mir auch kein Urteil über Reden und Diskussion erlauben, sondern verweise auf die Berichte in der Welt und im Spiegel (es gab noch mehr, aber mit diesen beiden Zeitungen sind die beiden Flügel der gegenwärtigen Russlandberichterstattung abgedeckt). Daraus und aus einigen Erzählungen von TeilnehmerInnen ergibt sich für mich, dass ich recht getan habe, die Einladung nach Leipzig auszuschlagen. Der sogenannte Petersburger Dialog hat mit einem Dialog nur noch formal etwas zu tun.

Zugegeben, das Dialogische war auch schon früher nicht üppig. Schon beim ersten Mal im Frühjahr 2001 in St. Petersburg mussten die deutschen TeilnehmerInnen der Arbeitsgruppe „Politik und Zivilgesellschaft“ (wie sie damals noch hieß) ihre russischen Gesprächspartner fragen, wo denn hier die in zivilgesellschaftlichen Initiativen aktiven Menschen aus Russland seien. Etwas später wurde ein Arbeitsgruppe „Zivilgesellschaft“ ausgegliedert und zu ihr immerhin bis zum Vorjahr immer auch VertreterInnen unabhängiger und regierungskritischer russischer NGOs eingeladen.

Bei aller Kritik am Petersburger Dialog (die auch immer die deutsche Seite betraf), war es doch lange Zeit ein Ort, an dem, ob von den OrganisatorInnen (den beiden sogenannten Lenkungsausschüssen) nun gewollt oder nicht, miteinander gesprochen wurde und nicht nur Statements ausgetauscht. Auch waren die bis zum Vorjahr immer parallel zu den deutsch-russischen Regierungskonsultationen stattfindenden großen Treffen (vor allem deswegen) jedes Mal ein guter Medien-Anlass, über die deutsch-russischen Beziehungen, über die Russlanddiskussion in Deutschland und über die politische Entwicklung in Russland zu berichten. Viele Dinge, die sonst im inneren Kreis derer, die sich ohnehin mit Russland beschäftigen geblieben waren, schafften es so auf die vorderen Seiten von Zeitungen, in die Fernsehnachrichten und auf die Websites. Der Dialog war also noch ein (wenn auch leicht hinkender) Dialog und er hatte, weil er Aufmerksamkeit erzeugte, einen weiteren Sinn.

Auch deshalb beteiligte sich die Heinrich Böll Stiftung bis zum Vorjahr, trotz oft erheblicher Bedenken, immer an der Finanzierung. Miteinander zu sprechen, bei möglichst vielen Gelegenheiten und auf möglichst vielen Ebenen, schien uns zwar kein Wert an sich, aber eine Möglichkeit, die zunehmende Entfremdung zwischen der politischen Elite in Russland und großen Teilen der deutschen, bzw. EU-Öffentlichkeit etwas entgegen zu stellen. Vielleicht war das auch immer etwas naiv, aber, so abgedroschen das klingen mag, der Dialog ist unser bestes Instrument.

Das, was da vorige Woche in Leipzig stattfand, war aber kein Dialog mehr. Dazu fehlte das Interesse, und zwar auf beiden Seiten. Der deutsche Lenkungsausschuss will in seiner Mehrheit vor allem der russischen Seite nicht weh tun (und die „russische Seite“ ist hier die russische Regierung). Deshalb wird ein „Dialog“ so organisiert, dass das Diskutieren erst gar nicht außer Kontrolle geraten kann, also ohne Diskussion. Leipzig war eine Art „Festakt“, in dem das wichtigste, das alles entscheidende Thema in den deutsch-russischen Beziehungen gegenwärtig nur von Gernot Erler überhaupt erwähnt wurde (und das sehr konziliant, siehe die beiden oben erwähnten Artikel). Ansonsten ein wenig Geschichtsseminar. Sicher sehr anregend, aber eben der Situation nicht angemessen.

Was die russische Seite angeht, so ist eine Sitzung der Arbeitsgruppe „Politik“ Anfang April in Moskau noch aussagekräftiger als der Leipziger Nichtdialog. Dort wiederholte sich nämlich etwas, was Deutsche oder andere EU-Europäer in jüngster Zeit immer öfter erleben, wenn sie sich mit dem offiziellen Russland einlassen (dabei kommt es übrigens nicht darauf an, ob die eigene Position die gegenwärtige russische Politik eher kritisch oder eher verständnisvoll sieht). Die russischen TeilnehmerInnen erklärten ihren meist extra aus Deutschland angereisten GesprächspartnerInnen, Russland sei wieder erstarkt, endlich wieder unabhängig, mache, was es wolle, richte sich dabei nach niemandem und niemand könne das Land daran hindern. Kurz: Ihr seid uns egal.

Im Russischen gibt es dafür ein schönes, sehr passendes Wort. Wenn einem jemand oder etwas egal ist, sagt man, „mne plewat“. „Plewat“ heißt übersetzt „spucken“. Und genau das passierte in der Arbeitsgruppe: den deutschen TeilnehmerInnen wurde von einigen russischen TeilnehmerInnen im übertragenen Sinn ins Gesicht gespuckt. Ich erzähle übrigens auch das „nur“ vom Hörensagen, denn ich war auch da bewusst nicht dabei. Ich lasse mir nämlich ungern anspucken und zurückspucken möchte ich auch nicht.

Das ist natürlich eine durchaus legitime Haltung (wenn auch für eine abgesteigende ehemalige Weltmacht, die vom Öl und Gasexport abhängt keine kluge). Es ist aber kein Dialog, außer man erklärt den Dialog zum Selbstzweck. Genau in diese Richtung, den Dialog zum Selbstzweck zu erheben, tendiert aber die Haltung von vielen Menschen (und leider auch PolitikerInnen) in Deutschland.

Ich bin nicht dagegen, dass die Regierungen weiter miteinander sprechen. Im Gegenteil. Sie müssen das tun. Das ist viel besser als alles andere. Diplomaten und AußenpolitikerInnen werden sozusagen dafür bezahlt, dass sie gelegentlich verbal „angespuckt“ werden. Sie müssen dann (meist) diplomatisch an sich halten. Aber ich (und die Heinrich Böll Stiftung, für die ich arbeite), wir sind keine Regierung. Wir können sagen, so hat es keinen Zweck. Oder: Mit diesen Leuten hat es keinen Zweck.

Ich bleibe weiter dabei, dass das beste Mittel für Frieden in Europa (und auch sonst) ist, miteinander zu reden. So oft und so vielfältig wie möglich. Aber das darf eben nicht Selbstzweck werden.

Was tun? Manfred Sapper, Chefredakteur des Journals „Osteuropa“ hat auf diese ewige russische Frage kürzlich in einem Interview für die Thüringer Allgemeine Zeitung so geantwortet: „Wir brauchen eine intelligente Mischung. Man müsste verschärfte Wirtschaftssanktionen an eine Liberalisierung im gesellschaftlichen Bereich koppeln. Zum Beispiel durch Visafreiheit für alle Russen und Ukrainer. Das würde das Signal setzen: Wir sind nicht gegen Russland, sondern gegen ein autoritäres Regime, das einen Teil des Nachbarlandes faktisch überfällt und annektiert.“