Kadyrow gegen Orlow

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Von Zeit zu Zeit muss man, auch (fast) ohne aktuellen Anlass, auf die (vor-)herrschende russische Klassenjustiz zu sprechen kommen. Nur dass es hier nicht nur um die besitzende Klasse geht, sondern wie in den schönsten Stamokap-Träumen um die besitzend Herrschenden, engst verbandelt mit den herrschend Besitzenden. So einer ist auch der tschetschenische Ex-Präsident und nun („Es darf nur einen Präsidenten geben im Russenreich“) „Führer“ der Republik Tschetschenien Ramsan Kadyrow, wenn auch ein sehr ursprünglicher, unmittelbarer. Herrscher und Besitzender.

Dieser Kadyrow
nun, darüber wurde in diesem Blog bereits geschrieben, fühlt sich beleidigt und
zog vors Gericht, vors russische. Beleidigt habe ihn, so erklären seine Anwälte
(der Herrscher und Besitzende erscheint nicht vor Gericht – und wenn er
erschiene, nein, diese Szene, wenn dreißig-vierzig martialisch bis an die Zähne
bewaffnete Tschetschenenleibwächter ein Moskauer Amtsgericht besetzen, male ich
jetzt nicht aus, auch wenn mir der Albtraum hauptstädtischer
Antiterrorkommandos klar vor Augen steht), beleidigt habe ihn also Oleg Orlow,
Vorsitzender des Menschenrechtszentrums Memorial und ziemlich unerschrockener
(wenn auch nicht fruchtloser) Kämpfer für die Menschenrechte (und ein guter
Freund, was mich wohl ein wenig voreingenommen macht).

Orlow hatte
Kadyrow am 15. Juli 2009, am Tag der Ermordung von Natalja Estemirowa, Mitarbeiterin
von Memorial,
für eben diesen Mord verantwortlich gemacht. Er hat ihm die
politische Verantwortung zugesprochen. Er hat Kadyrow zitiert mit der
Einlassung, er, Kadyrow, kontrolliere „alles“ in Tschetschenien. Und dann,
zugegeben im Zorn und Schmerz, den Schluss gezogen, dass auch diese feige
Bluttat nicht ohne Kadyrows Wissen geschehen sein könne. Und dann hatte Orlow
diese Behauptung doch noch weiter eingeschränkt, dahingehend, dass Kadyrow
zumindest an der Mordatmosphäre in Tschetschenien Schuld trage und daran, das
viele Menschen aus den sogenannten Sicherheitsorganen MenschenrechtlerInnen für
Feinde, für Freiwild halten.

Kadyrow zeigte
Orlow an und nun wird schon seit fast eineinhalb Jahren schon im Moskauer
Chamowniki-Gericht gegen den Menschenrechtler verhandelt. Viele Zeugen wurden
schon gehört, auch Orlow, nicht aber Kadyrow. Das alles ist ausführlichst auf
der Website von Memorial dokumentiert, eine Aufzeichnung des Absurden, aber möglichst
große Öffentlichkeit ist auch der einzige Schutz den Orlow hat.

Oleg Orlow ist also
angeklagt, weil er angeblich Ramsan Kadyrow beleidigt hat. Man könnte aber auch
sagen, er ist angeblich angeklagt, weil er Ramsan Kadyrow beleidigt haben soll.
Mit jedem Prozesstag wird die Absurdität dieser Anklage offenbarer. Aber
solange Ramsan Kadyrow „Führer“ Tschetscheniens bleibt, wird es so weiter gehen
(Beim Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow hat es erst mit seinem Rauswurf
durch Präsident Medwedjew aufgehört. Luschkow war berühmt für seine immer
gewonnenen Beleidigungsklagen. Erst jetzt versucht seine Frau Jelena Baturina,
dieses Mittel vergeblich anzuwenden). Das arme Gericht ist in einer ähnlichen
Lage wie der Kolleg Danilkin im Prozess gegen Michail Chodorkowskij und Platon
Lebedew: Ein Schuldspruch macht es lächerlich, ein Freispruch ist unmöglich.

Hier kann natürlich
kein Schlusspunkt im Prozess gesetzt werden. Wir müssen ihn weiter aufmerksam
beobachten. Aber ein kleines Schlusspünktchen hinter die letzten Zweifel an
Kadyrows Schuld und Ruchlosigkeit ist schon möglich. Dazu reichen zwei Zitate
von Ramsan Kadyrow, heute von Oleg Orlow an Freunde herumgeschickt:

Zitat 1: Auf  die Frage „Würden Sie Gaddafi bombardieren
lassen?“ antworte Kadyrow heute (21.3.2011) in der Tageszeitung Kommersant: „Ich
kann überhaupt keine Handlungen gut heißen, die zu menschlichen Opfern führen. Ich
bin der festen Überzeugung, dass man das Problem mit gewaltfreien Methoden
lösen sollte und könnte…“

Zitat 2: Am 30.
August 2010 traf sich Kadyrow mit Vertretern der tschetschenischen Polizei und von
Sondereinheiten. Zuvor waren staatliche Gebäude im Dorf Chosi-Jurt von
bewaffneten Rebellen angegriffen worden. Das Treffen wurde vom
tschetschenischen Fernsehkanal Wajnach um 20.30 Ortszeit gezeigt: „Ich wende
mich besonders an die Bewohner von Chosi-Jurt. Ich habe darauf hin gewirkt,
dass ihnen verziehen wurde. Nächste mal wird der Vater sich für die Handlungen
des Sohnes verantworten müssen. Ansonsten werden beide in den Kopf geschossen
und ihnen das Hirn wegpusten. Hast Du ein Kind geboren, dann musst Du
Dich auch für es verantworten. Sie genauso wie ich. Der Vater trägt die Verantwortung
für den Sohn, die Frau für die Tochter.“

   

 


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