Warum der nächste russische Präsident entweder weiter Medwejew oder wieder Putin heißen wird

Im Sommer schon, da waren sich eigentlich alle BeobachterInnen und KommentatorInnen in Russland einig, hat der Vorwahlkampf begonnen. Plötzlich, unerwartet, wie der jüngst verstorbene ehemalige Premierminister Wiktor Tschernomyrdin gesagt hätte, wurde allen klar: Die Dumawahlen sind im nächsten Jahr und etwa dann dürfte auch entschieden sein, wer formal als nächster Präsident im März 2012 bestätigt wird. Darauf muss man sich einstellen. Wenn auch anders als in Deutschland zum Beispiel, oder in den USA.

Dort ist oft bis zum Ende unsicher, welche politische Richtung, welche Partei oder welcher Kandidat die Wahlen gewinnt. Hier in Russland ist das klar: Die Dumawahlen wird die Partei „Einiges Russland“ gewinnen, die Präsidentenwahlen der von Wladimir Putin favorisierte Kandidat (eine Frau wird es aller Voraussicht nach nicht sein). Es geht also, gemessen an den politischen Auseinandersetzungen in vielen anderen Ländern um Nuancen. Doch die können auch wichtig, manchmal entscheidend sein. Ob zum Beispiel „Einiges Russland“ wieder eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der Staatsduma bekommt oder nicht, ist in politisch ruhigen Zeiten im prädidial geprägten Russland kaum von Bedeutung. Sollten die Zeiten aber rauer werden – und dafür spricht einiges – kann die Frage, ob es im Parlament eine mehr als nur dekorative Opposition gibt durchaus wichtig werden.

Noch bedeutender ist aber, wen Putin als Nachfolger von Dmitrij Medwedjew auswählt: Erneut Medwejew oder wieder sich selbst. Halt! mögen die geneigte Leserin und der geneigte Leser hier ausrufen. Warum stehen nur die beiden zur Wahl? Und was, wenn es Putin nun in den Sinn käme, sagen wir mal, den neuen Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin (Gerüchte, Sobjanin sei eben deshalb gerade jetzt zum Bürgermeister der Hauptstadt gemacht worden, gab es schon) unter sich zum Präsidenten zu machen? Meine Antwort wäre: Möglich ist das natürlich. Wer kann schon in den Kopf von Putin schauen? Aber eben nicht wahrscheinlich. Weil „nicht wahrscheinlich“ aber nicht unbedingt „unrealistisch“ heißt (gerade das Unwahrscheinliche wird oft sehr real, wie uns die Präsidentschaft Medwedjew zeigt, mit der noch ein Jahr vor der Wahl 2008 so gut wie niemand rechnete), werde ich weiter unten ein paar Argumente für meine Behauptung anführen.

Doch zuvor muss ich, wenn auch kurz, noch darauf eingehen, warum Putin Medwedjews Nachfolger bestimmen wird – und niemand anders. Das liegt vor allem am Charakter des von Putin langsam im Laufe seiner acht Jahre währenden Präsidentschaft entwickelten politischen Regimes. Die politische Macht, die Putin anfangs von seinem Vorgänger Boris Jelzin praktisch dynastisch übergeben bekommen hat, war schon damals und ist es auch heute nur schwach durch die in der Verfassung fest gelegten politischen Institutionen legitimiert. Ja, die Verfassung selbst ist nicht besonders anerkannt im Land. Anerkannt ist politische Herrschaft durch einen starken Führer, der das Land nach vorn bringt und für die Menschen sorgt. Das hat Putin in den Augen der meisten Menschen in seiner Amtszeit als Präsident getan: Der Wohlstand ist gewachsen und Russland wurde wieder zu einem international geachteten, ja zuweilen gar gefürchteten (da geht, leider, immer noch ein wohliger Schauer durch so manche russische Seele) Land. Das Verdienst dafür, mit wieviel Glück, Geschick, Chuzpe und Öl-Hausse-Dollar auch immer erworben, wird Putin angerechnet. Medwedjew hat es in seinem inzwischen zweieinhalb Jahren als Präsident nicht vermocht, eigene Statur zu gewinnen. Alle seriösen soziologischen Untersuchungen zeigen, dass seine Popularität bis heute in großen Teilen von Putins Popularität abgeleitet ist. Putin bleibt also der Bestimmer. Und wen Putin bestimmen wird, wird auch gewählt werden, so bis dahin die russischen Welt nicht untergeht. Das ist zwar wiederum nicht ausgeschlossen, aber doch eher unwahrscheinlich.

Warum also sollte Putin nun, wie oben behauptet, nur zwischen sich und Medwejew wählen? Warum also nicht Sobjanin? Oder noch jemand ganz anderes? Auch das hat etwas mit den Formen von Legitimierung der politischen Herrschaft im heutigen Russland zu tun. Putin allein genügt nicht. Er muss auch eine Mission haben. Und er muss diese Mission erfüllen. Zumindest muss er glaubhaft machen können, dass er sie erfüllen kann und erfüllen wird. Zweimal hat das in Präsidentenwahlkämpfen schon geklappt. 2004 erklärte der zur Wiederwahl stehende Präsident Putin seinem Volk, er habe das Land von den Knien wieder auf die, wenn auch noch ein wenig wackeligen Beine gebracht (Tschetschenien, Wirtschaftswachtum). In den kommenden Jahren müsse er sein Werk vollenden.

2008 dann erklärte Putin (nicht Medwedjew!) seinen Landsleuten, sie müssten Medwedjew wählen, damit die durch ihn, Putin, erreichte Stabilität erhalten bleibe (man hörte als Deutscher förmlich Adenauers „Keine Experimente“ auf Russisch). Doch schien diese Argumentation selbst Putin nicht ausreichend überzeugend. Also verfügte er sich in das Premierministeramt, um der Stabilitätsversicherung mehr Gewicht und Glaubwürdigkeit zu verschaffen als sie das Babyface Medwedjew auf die Waage brachte. Zumindest zu Wahl reichte das. Der Sommer darauf geriet mit dem kleinen siegreichen Krieg gegen Georgien sogar zum Legitimitätstriumpfzug, zur siegestrunkenen, fast völligen Einheit von Volk und Führung. Doch dann kam die Finanzkrise auch in Russland an, wurde zur Wirtschaftskrise und drohte dem politischen Regime eines seiner beiden Legitimitätsbeine wegzuschlagen. Das konnte zwar, vor allem durch trotz Finanzkrise noch vermehrte Sozialleistungen und Lohnerhöhungen für Staatsbedienstete, vermieden werden, aber, um im Bild zu bleiben, ein Meniskusschaden blieb. Für den anstehenden Präsidentenwahlkampf muss eine neues Standbein, ein neues Narrativ her, das alte, Stabilität, überzeugt nicht mehr.

Welches Narrativ könnte das sein? Für Putin und Medwedjew ist es nicht allzu schwer, eines zu (er-)finden (wenn auch die Schwierigkeiten, es dann ans Volk zu bringen, nicht unterschätzt werden sollten. Eine Rückkehr Putins ließe sich wohl gut damit verkaufen, Medwedjew habe es nicht gebracht. Seine Präsidentschaft habe Putins Erbe gefährdet. Nun müsse der alte Fahrensmann wieder dran. Medwedjews Fortsetzung könnte sich auf die Notwendigkeit eines verstärkten Modernisierungskurses stützen. Wie Putin habe er eine Präsidentschaft für Vorarbeiten gebraucht und nun bei zweiten Mal, würde er die Dinge richtig grundsätzlich anfassen. Zwar hieße das, dass Putin ein wenig weiter ins Glied rutschen müsste, aber wenn Putin die Variante „Medwejew-2“ wählen sollte und sich entschiede, nicht in den Kreml zurück zu kehren, dürfte das durchaus auch in seinem Sinn sein.

Für einen Dritten (wie schon gesagt: Frau bleibt höchst unwahrscheinlich) taugen beide Varianten nicht. In diesem Fall müsste dem Volk erstens erklärt werden, warum Medwedjew es nicht gebracht habe, warum er also schon nach einer Amtszeit abgelöst werden müsse (Alter und Krankheit scheiden da aus). Das wäre schon deshalb riskant, weil Medwedjew ja Putins höchstpersönliche Wahl war, ein Missgriff also auf ihn zurück fiele. Auch würde sich sofort die Frage stellen, warum jemand anderen und nicht wieder Putin? Noch so ein Experiment mit jemand Neuem (und dann gar so bürokratisch Unbekannten, wie zum Beispiel Sobjanin) als Putin-Strohmann wäre schwer zu vermitteln. Zumindest hieße diese Variante, ein weit höheres Risiko einzugehen als bei Medwedjew oder Putin zu bleiben.

Risikovermeidung ist aber eines der hervorragendsten Eigenschaften des Putinschen politischen Regimes. Die Polittechnologen (ein schön entlarvender, wenn auch inzwischen kaum noch gebrauchter Begriff) hinter den Kulissen brüsten sich gerne damit, seine Stabilität eben dadurch garantieren zu können, dass sie alle Eventualitäten bedacht und für alle Wendungen und Windungen vorgesorgt hätten. Diese ständigen Versicherungen zeigen, neben einem ordentlichen Maß Hybris, gut das Risikovermeidungsdenken der politisch Herrschenden in Russland.

 Aller (meiner) Voraussicht nach werden wir also ab 2012 für sechs Jahre (das ist erstmals nach der Verfassungsänderung von Anfang 2009 die neue Präsidialamszeit) entweder weiter Medwedjew oder erneut Putin als Präsidenten haben. Was das auf mittlere Sicht bedeutet, wird Thema eines der nächsten Blogeinträge sein.


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