Putin und Medwedjew – Koch und Kellner? 2010 entscheidet, wer nächster Präsident wird

Gleich nach Neujahr fragte der WDR für ein Interview bei mir an. Es ging um die, zugegebenermaßen alltagsjournalistisch-stempelartig formulierte, Frage, wer denn nun „Koch oder Kellner“ sei im Gespann Putin-Medwedjew. Die Frage ist nun weder neu noch originell, sondern beschäftigt die Welt, seit Putin vor gut zwei Jahren Medwedjew als seinen präsidialen Nachfolger aus der Pelzkappe zog. Seither hat sie aber eine durchaus folgenswerte Evolution durchgemacht. Der nächste Entwicklungsschritt findet gerade statt.

Anfangs wurde Medwedjew fast ausschließlich als Putins Schoßhündchen wahrgenommen. Dann hielt der Noch-Nicht-Präsident im Wahlkampf ein paar liberal (oder zumindest liberaler klingende) Reden. Und sofort schossen Hoffnungen ins Kraut. Das geschah eher aus Auswegslosigkeit und gegen besseres Wissen. Doch weil das politische Feld in Russland im großen Wahlkampfjahr 2007 vom Kreml erbarmungslos leergefegt worden war (es war ja auch vorher schon nicht mehr sehr bevölkert gewesen), blieb sowohl der liberalen Opposition als auch dem Westen wenig strategische Auswahl, im Grunde nur drei Möglichkeiten: 1. Sich schrödersch mit dem Putin-Regime zu arrangieren; 2. In von außen eindämmende oder innen nicht-einverstandene Fundamentalopposition zu gehen; 3. Zu glauben oder zumindest so zu tun, als ob Medwedjews Worte nicht nur ernst gemeint waren (und sind), sondern als ob er zudem das Geschick und die Fähigkeit besäße, sie auch umzusetzen.

Die dritte Variante ist zudem eine doppelte: Sie setzt auf die, wenn auch sehr vage, Möglichkeit politischer Reformen und versucht durch begrenzte und konditionierte Zusammenarbeit mit dem Regime Freiräume für autonomes politisches Handeln zu erhalten (und vielleicht gar hinzu zu gewinnen). Der Gerechtigkeit halber muss erwähnt werden, dass das in Maßen auch für die ersten beiden Varianten gilt. So haben sich ein paar Dumaabgeordnete von „Gerechtes Russland“ eine gewisse Autonomie bewahrt. Und auch der Opferstatus der immer wieder auseinadergetriebenen und festgenommenen Anderes-Russland-Opposition gewährt in engen Grenzen Schutz und Aufmerksamkeit (abgesehen davon sollte man den langfristigen politischen Wert ihres wunderbar starrköpfigen Bestehens auf Demonstrationsfreiheit keinesfalls unterschätzen).

Den Gipfel seiner Liberalrhetorik erreichte Medwedjew im vergangenen Herbst mit seinen „Modernisierung“ fordernden Kritik-Rundumschlägen, die jedem Oppositionellen ohne weiteres zum Vaterlandsverräter gemacht hätten. Doch bleibt Medwedjew bisher wirkungslos. Die vorgeschlagenen Maßnahmen wirken hilflos bis, was bei Moderniserungsforderungen besonders bitter ist, altbacken. Auch der junge Präsident will die russische Gesellschaft administrativ, durch den Staat, von oben her modernisieren (für das Erfolgversprechend der Modernisierung von oben werden dann immer die bekannten, und angeblich erfolgreichen, vor allem aber opferreichen, Beispiel aus der russischen Geschichte heran gezogen: Iwan der Schreckliche, Peter der Große, Alexander der Zweite und nicht zuletzt auch Stalin). Medwedjew beantwortet nicht, wer denn, außer den korrupten Beamten, Politikern, Militärs, Polizisten und Geheimdienstlern, die sozialen TrägerInnen seiner Modernisierung sein sollen. Darüber kann auch die inzwischen auf 500 Namen angewachsene sogenannte „Kaderreserver“ des Präsidenten nicht wegtäuschen.

Aus der Modernisierungrhetorik Medwedjews, seinen Antikorruptionsforderungen, zuletzt der angekündigten Reform der Miliz, wurde immer wieder geschlossen, es gäbe eine wachsende Kluft zwischen ihm und Putin. Politisch ist diese Kluft indessen bisher nicht geworden. Viele derjenigen, die, oft aus bloßer Hoffnung und großer Hoffnungslosigkeit, oft aber auch aus ehrlicher Überzeugung, Medwedjew „eine Chance“ gegeben haben, verlieren immer mehr den Glauben, dass er kann (oder will, oder darf). Das hat mehrere Gründe. Die beiden wichtigsten sind einfach: Bisher ist Medwedjew nicht gesprungen (ob er nun nicht kann oder nicht will wird dabei immer unwichtiger) und die Zeit bis zu den nächsten Wahlen im Frühjahr 2012 wird langsam knapp.

Wenn Medwedjew sich gegen Putin und seine bisherige Politik wirklich durchsetzen will (falls das noch nicht klar geworden ist: Ich glaube das nicht!), muss er Putin spätestens bis zum kommenden Herbst umstimmen oder als Premierminister rausschmeißen. Danach geht es von der verfassung her nicht mehr. Beides ist aber äußerst unwahrscheinlich (die rechtlichen und machtpolitischen Szenarien werde ich ein ander Mal erörtern). Das Interview beim WDR begann entsprechend zwar mit der Frage, wer denn Koch und wer Kellner bei den beiden sei. Es endete aber mit der Frage, ob sich denn Putin auf eine erneute Präsidentenkandidatur für 2012 vorbereite. Meine Antwort ist schlicht: Das weiß niemand, wohl nicht einmal Putin (und Medwedjew). Putins Kandidatur düfte gleichwohl eine von mehreren ernsthaften Varianten in den strategischen Überlegungen der russischen Machtelite sein (bei allen zusammen und natürlich auch bei jedem Einzelnen und vielen kleinen Grüppchen getrennt). 

Wenn Wahlen sich nähern, das ist eine Konstante der vergangenen 20 Jahre, dann bekommt der Kreml Angst. Nicht erst unter Putin heißt die Devise: Sicherheit zuerst. Was von außen wie unnötige Überreaktionen aussieht, hat meist zwei Quellen: Große Vorsicht, aber auch geringe innere Strukturiertheit. Ich habe über Letzteres mehrfach in diesem Blog geschrieben, am Beispiel der grob gefälschten Regionalwahlen Anfang Oktober 2009 und erst vor Kurzem über die Systemfehler und Fehler im System Putin. Die aus Angst vor dem Machtverlust geborene große Vorsicht war zuletzt, wie schon geschrieben, 2007 in voller Blüte zu beobachten, als der Kreml gegen alles wütete, was auch nur entfernt den Wechsel im Kreml hätte gefährden können, seien es die eher harmlosen „Nicht-Einverstandenen“ mit ihren 200-300-Menschen-Demonstrationen in Moskau und St. Petersburg oder die beiden kleinen liberalen Oppositionsparteien Jabloko (noch als Schatten seiner selbst weiter existierend) und SPS (inzwischen aufgelöst). Dazu dienten eine nationalistische Mobilisierungskampagne und immer wieder mehrzehntausendfache, geifernde und wohl orchestrierte Demonstrationen der „Naschi“-Kremljugend.

Gegenwärtig kommt die aktuelle Wirtschaftskrise hinzu. Schon die staatlichen Krisenreaktionen waren von Angst vor möglichem Unwillen der bisher durchaus folgsamen schweigenden Mehrheit geprägt. Viele Staatsausgaben wurden gekürzt, alle Sozialausgaben erhöht als gäbe es keine Krise. dadurch ist der Staatshaushalt aus den Fugen geraten. Selbst bei den inzwischen erneut moderat wachsenden Ölpreisen muss Russland 2010 erstmals wieder im Ausland Kredite aufnehmen. Wenn sich nichts ändert, werden diese Kredite 2011 vorputinsche Dimensionen annehmen müssen, um das Putin-Medwedjew-Mantra des vergangenen Jahres: „Der Staat wird seine sozialen Verpflichtungen erfüllen“, auch tatsächlich erfüllen zu können.

Die Angst wächst also mit dem sich nähernden Wahltermin. Gleichzeitig tritt die Frage in den Vordergrund, wer denn nun 2012 als Präsidentschaftskandidat antreten wird, Putin oder Medwedjew? Eine Kandidatur gegeneinander haben beide mehrfach öffentlich ausgeschlossen. Es liegt Änderungsduft in der Luft, aber niemand hat eine Vorstellung davon woher Änderungen kommen und wie sie aussehen könnten. In dieser einerseits ruhigen und dann doch untergründig nervösen Stimmung können weder Medwedjew noch Putin zuviele Spekulationen über angebliche oder tatsächliche Verwürfnisse zwischen ihnen gebrauchen. Einheit und Einigkeit muss demonstriert werden. Am besten unterhaltend und im Gewand des (zumindest ein wenig) Unangepassten. Das machte am 1. Januar der staatliche 1. Fernsehkanal mit einer animierten Tanzeinlage von Präsident und Premier. Doch davon morgen mehr.


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