Klima ist auch in Russland Chefsache geworden (naja, Sache des Juniorchefs wohl eher). Das ist gut, wenn auch wohl weniger Einsicht in denErnst der Lage zu verdanken als dem Stellenwert den Klimapolitik inzwischen international einnimmt. Hier kann man Gesicht und Gewicht gewinnen – aber auch verlieren. Niemand kann und will es sich mehr leisten, da zu weit zurück zu stehen. Bei den internationalen Klimaverhandlungen kann man nicht nur Prestige oder ganz handfeste materielle Vorteile erhandeln (aber auch verlieren), sondern dort werden die Koordinaten der neu aufziehenden Weltordnung mit ausgerichtet. Für Russland steht viel auf dem Spiel.
Schon seit einigen Jahren versucht sich das Land, ehemals Führer der „Zweiten Welt“, neu zu positionieren. In den 1990er Jahren suchte Russland Teil der früheren „Ersten Welt“ zu werden, die heute meist vereinfacht „Westen“ genannt wird. Das hat sich aus ganz unterschiedlichen Gründen gewandelt. Zum ersten ist der Westen im Gefolge seiner Vormacht USA nicht nur aus russischer Sicht auf dem absteigenden Ast. Sein Einfluss schwindet, der Einfluss der Schwellenländer, alle aus der ehemaligen „Dritten Welt“ wird größer. Ihnen hat sich Russland mit dem allseits akzeptierten Kürzel BRIC (Brasilien, Russland, Indien,China), den Tigern der 2000er Jahre, schon erfolgreich zugesellt, obwohl man über diese Zugehörigkeit mit guten Argumenten streiten kann (wie ich das in diesem Blog auch schon getan habe). Dieser Übergang ist nicht nur einer von den vermeintlich Schwächelnden zu den künftig Bestimmenden. Er hat auch eine moralische Dimension, denn diese Geschichte handelt von ehemals Unterdrückten, die nun ihre ehemaligen Unterdrücker überflügeln. Der Kreml stilisiert die 1990er Jahre (in Russland hächst erfolgreich) flugs zu einem Jahrzehnt der kolonialen Unterdrückung durch den Westen, um nach seinem Ende mit dem moralischen Recht auf eine Art Wiedergutmachung, zumindest aber einem Ende jeglicher Bevormundung dazustehen.
Die Klimaverhandlungen bieten nun noch eine weitere Chance, die etwas mit dem zu tun hat, was ich das „russische Klimadilemma“ nennen möchte. Bei den internationalen Klimaverhandlungen hat sich, schematisch ausgedrückt, spätestens mit dem Kyotoprotokoll der moralische Grundsatz durchgesetzt, dass die industriell entwickelten Länder in den vergangenen 100 bis 150 Jahren durch einen enormen Ausstoß von CO2 reich geworden sind. Sie haben ihr Kontingent damit erschöpft und müssen künftig ganz besonders schnell und radikal den CO2-Ausstoß reduzieren. Die noch nicht industriell entwickelten Länder sind bisher arm geblieben und dürfen noch nachholend CO2 ausstoßen, um ebenfalls reicher zu werden. Russland sitzt zwischen diesen Stühlen. Auf der einen Seite hat das Land, auch als Sowjetunion historisch gesehen bereits riesige, den westlichen Industrieländern vergleichbare CO2-Mengen in die Atmosphäre gepustet, ist dabei aber nicht reich, sondern nur dreckig geworden.
In Kopenhagen nun versucht der Westen seinen Wohlstand (der Verdacht der ärmeren Ländern lautet: seine Vorherrschaft) zu behaupten, währen die armen Länder um ihr Recht auf Entwicklung kämpfen. Die Schwellenländer versuchen hier verständlicherweise auf Seiten der armen Länder zu stehen und an ihrem offen unbestrittenen moralischen Recht teilzuhaben. Dies gelingt immer wieder auch dadurch, dass sie sich zu Anwälten der ärmsten Länder machen, Vorsichtig versucht das auch Russland. Das Ziel sind CO2-Minderungsziele für das Land, die leicht zu erfüllen sind, aber trotzdem so aussehen als täte Russland wirklich etwas für das Klima.
Das sieht dann so aus, dass Präsident Medwedjew, wie in seinem Videoblog am Sonntag (russiches Transskript) verkündet, eine 25-prozentige Senkung des CO2-Ausstoßes bis 2020 gegenüber 1990 anbietet. Damit dürfte Russland wegen des erst nach 1990 begonnenen Zusdammenbruchs der sowjetischen Industrie seinen CO2-Ausstoß bis 2020 gegenüber heute noch weiter steigern. Als Reduzierungsmaßnahmen setzt der Kreml zudem auf einen massiven Ausbau der Atomkraft und eine Steiergung der Energieeffizienz bis 2020 und 40 Prozent. Trotz der gigantischen Einsparungspotentiale fehlt es bisher aber an politischen Instrumenten und wirtschaftlichen Anreizen. Für den schon vor zwei Jahren beschlossenen massiven Atomkraftausbau fehlt zudem in der Wirtschaftskrise wohl glücklicherwieise das Geld.
Trotz all dieser eher kritischen Bemerkungen wird Russland in Kopenhagen, soweit zu sehen ist, keine ausdrückliche Bremserrolle spielen. russische Öko-NGOs beobachten die russische Verhandlungsdelegation vor Ort und schreiben täglich in einerm „Unter zwei Grad“ genannten Newsletter und einem Blog darüber auf Russisch und Englisch. Ein gutes Abkommen wir am Kreml nicht scheitern. Besondere Taten, um ein gutes Abkommen voranzubringen, sollte man aber auch nicht erwarten.