„NGO-Agenten“-Jagd nimmt neue Fahrt auf – fünf NGOs zwangsweise zu „Agenten“ erklärt“

Kaum war der vorige Post zur „NGO-Agenten“-Jagd online, nahm sie neue Fahrt auf. Wie gestern bekannt wurde hat das Justizministerium bereits am vergangenen Donnerstag sein neues Recht genutzt und fünf NGOs in das Register für „NGOs, die die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllen“ (so die offizielle Bezeichnung) aufgenommen. Rechtlich heißt das für die betroffenen Organisationen, dass sie künftig jede öffentliche Äußerung entsprechend als „durch eine die Funktion eines ausländischen Agenten ausübende NGO“ erfolgte kennzeichnen müssen. Machen sie das nicht, drohen erst hohe Geldstrafen und, im Wiederholungsfall die Schließung der Organisation und eventuell eine strafrechtliche Verfolgung der Leitungspersonen.

Getroffen hat es zwei Golos-Organisationen in Moskau (die regionale Moskauer Golos-Filiale und die zentrale Netzwergorganisation), die „Frauen des Don“ aus Nowotscherkassk in Südrussland, das „Zentrum für Sozialpolitik und GenderForschung“ in Saratow an der Wolga, das „Zentrum zur Unterstützung gesellschaftlicher Initiativen in Kostroma“, ebenfalls an der Wolga ca. 200 Kilometer nördlich von Moskau.

Im staatlichen Register des Justizministeriums steht noch eine sechste Organisation, die „Nichtkommerzielle Partnerschaft zur Förderung von Konkurrenz in den Ländern der GUS“. Das war die einzige NGO, die (schon vor einem Jahr) von sich aus darum nachgesucht hatte, als „Agent“ registriert zu sein. Soweit aus der Website dieser Organisation sichtbar, handelt sich um einen Zusammenschluss von Wirtschaftsjuristen ohne Verbindung zur unabhängigen NGO-Szene. Juristisch-listig ist auch der Hinweis auf die „Agententätigkeit“ auf der Website. Das Wort „Agent“ kommt nicht vor. Die Juristen weisen dagegen darauf hin, dass sie „die Funktion ausüben, in §6 Absatz 2 des föderalen Gesetzes ‚Über nichtkommerzielle Organisationen‘“ vorgesehen ist.

Alle nun vom Justizministerium zwangsweise zu „Agenten“ erklärten Organisationen waren in den vergangenen Wochen und Monaten von Gerichten dazu verpflichtet worden, sich als „Agenten“ registrieren zu lassen. Sie werden nicht die einzigen bleiben. Eine Sprecherin des Justizministeriums erklärte, alle von Gerichten als „Agenten“ bezeichneten NGOs würden auch künftig in das „Agentenregister“ eingetragen.

Begleitet wurde die neue Attacke des Justizministeriums von einem neuen Schmierenstück des Fernsehsenders NTW. Am vergangenen Samstagabend wurden gleich mehrere NGOs in einer „Die Fünfte Kolonne“ genannten Sendung als „ausländische Agenten“ angegriffen. Darin wurde behauptet, dass die NGOs Teil einer langen und geplanten Kampagne der USA zur „Schwächung Russlands“ seien. Von den jetzt ins „Agentenregister“ aufgenommenen NGOs kamen in der Sendung nur die „Frauen des Don“ vor. Ausführlich beschäftigte sich NTW zudem mit dem Gulag-Museum Perm-36 und dem Menschenrechtszentrum Memorial. Die Heinrich Böll Stiftung wurde im Zusammenhang mit den Donfrauen als deren Sponsor erwähnt (was stimmt!), fehlt aber im „Agentenregister“ des Justizministeriums.

Gegen das Gulagmuseum Perm-36 kämpf die Regionalregierung in Perm schon länger. Angeblich verherrlicht das Museum im einzigen bis heute erhalten und nicht mehr als Straflager genutzten Lagergelände aus Stalinzeiten in Rusland „Nazikollaborateure“, die in dem Lager ihre verdiente Strafe abgesessen hätten. Unterstützt werden diese Angriffe auf das Museum durch ehemalige Offiziere und Wachleute des Lagers.

Die Lage um das Museum ist kompliziert. Das Lager-Gelände und die, größtenteils mit ausländischem Geld, restaurierten Lagerbauten gehören dem Staat, wurden dem Museum, einer NGO, die Mitglied im Memorial-Netzwerk ist, aber Mitte der 1990er Jahre für Museumszwecke unentgeltlich und unbefristet zur Nutzung überlassen. Die Ausstellungen und die ausgestellten Gegenstände gehören der NGO. Seit einiger Zeit schon versucht die Regionalregierung den Überlassungsvertrag zu kündigen, bisher erfolglos. Gestern hat sie die NGO aufgefordert, das Lagergelände zu räumen.

Die Frauen des Don arbeiten seit über 20 Jahren in Südrussland und im Nordkaukasus. Sie engagieren sich für Frauenrechte, dienen aber auch ganz allgemein als wichtiges Ressourcenzentrum für NGOs in der gesamten Region. Angriffe wegen angeblichen „unpatriotischen“ Verhaltens gab es immer wieder. Warum ausgerechnet sie nun zu einem der ersten Opfer des NGO-Agenten –Gesetzes werden, ist unklar. Ein wenig mehr zu den aktuellen Angriffen und Versuchen, die Gründerin und Leiterin Walentina Tscherewatenko hatte ich schon in meinem vorigen Post geschrieben.

Die Donfrauen haben auf die Zwangsregistrierung als „ausländische Agenten“ mit einer Erklärung reagiert, in der sie diese Bezeichnung energisch zurückweisen. Sie seien „niemals ausländische Agenten gewesen“ und würden „auch niemals welche werden“. Außerdem kündigen sie an, gegen diese Entscheidung des Justizministeriums juristisch vorzugehen, zur Not bis zum russischen Verfassungsgericht und bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Noch anders liegt die Situation bei Golos. Wie Grigory Melkoyants von Golos auf seiner Facebookseite erklärte, sei auch dem Justizministerium und dem Gericht bekannt, dass Golos seit 2012 kein ausländisches Geld mehr erhalten habe. Da die entsprechenden Änderungen des NGO-Gesetzes aber erst Ende 2013 in Kraft getreten seien, könnten sie auf Golos keine Anwendung finden. Dass das weder Gericht noch Ministerium kümmere, zeigt laut Melkoyants nur, dass es nicht um Recht gehe, sondern darum, bestimmte NGOs mundtot zu machen.

Fortsetzung folgt bestimmt in Kürze.