Zivilgesellschaftsrat beim Präsidenten: Dumawahlen wiederholen, Schuldige bestrafen, faire Präsidentenwahlen gewährleisten

Gestern hat hiern in Moskau der sogenannte Zivilgesellschaftsrat (früher: Panfilowa-Rat, heute manchmal: Fedotow-Rat) zu den Dumawahlen getagt. Dieses offizielle, von Medwedjew nach Putins Vorbild berufene Beratungsgremium hat etwa 30 Mitglieder, darunter die Hälfte der außerparlamentarischen Opposition angehörend. Durch den offiziellen Status nehmen an den Sitzungen des Rates auch Vertreter staatlicher Stellen auf und legen Rechenschaft ab, sonst ein Unding. Gestern waren u.a. Generalstaatsanwaltschaft und Innenministerium vertreten. Der auch geladene Vorsitzende der Zentralen Wahlkomission Wladimir Tschurow hatte sich und seine KollegInnen schriftlich entschuldigt, man habe so viel mit den Wahlen zu tun.

Herausgekommen ist in sechstündiger Sitzung ein etwas umständlich, mitunter gestelzt formulierter Text (man spürt die Juristen), mit den durchaus harten Forderungen nach Dumaneuwahlen und fairen Präsidentenwahlen und einem schon fast revolutionären Schlussatz, der vom „Übergang in eine neue politische Realität“ spricht. Hier die Erklärung im Wortlaut:

„Der Rat für die Entwicklung
der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte beim Präsidenten der RF hat auf
seiner Sondersitzung zum Thema „Beachtung der Menschenrechte im Verlauf der
Parlamentswahlen 2011“ die Informationen der Generalstaatsanwaltschaft, des
Untersuchungskomitees der RF, des Innenministeriums Russlands, des Moskauer
Stadtgerichts, sowie der nichtkommerziellen Organisationen Russische Stiftung
für freie Wahlen, Bürgerkontrolle, Assoziation Golos, Unabhängiges Institut für
Wahlen, des Projekts Bürger Beobachter und von unabhängigen Experten zu
Verletzungen der Wahlrechte von Bürgern bei den Wahlen der Abgeordneten der
Staatsduma der Föderalen Versammlung der Russischen Föderation angehört und
folgende Erklärung angenommen:

Der Rat stellt fest, dass
die vielzähligen Berichte über zusätzlich in die Wahlurnen geworfene
Stimmzettel, über umgeschriebene Wahlprotokolle, über die unbegründete
Entfernung von Wahlbeobachtern und Journalisten aus den Wahllokalen, über das
Verbot von Foto- und Videoaufnahmen, über andere Verletzungen von
Wählerrechten, sowie unerklärliche Widersprüche in der Wahlstatistik zu
massenhaftem Misstrauen von Bürgern in die Ergebnisse der Wahlen geführt haben.
Das hat zu einer ethischen und politischen Diskreditierung des Wahlsystems und
der auf seiner Grundlage gebildeten unteren Kammer des Parlaments geführt und
bildet eine wirkliche Gefahr für die russische Staatlichkeit.

In diesem Zusammenhang hält
der Rat es für notwendig:

  • dem Vorsitzenden
    der Zentralen Wahlkommission Wladimir Tschurow das Mistrauen auszusprechen und
    ihm den Rücktritt nahe zu legen. Unter den Bedingungen der gegenwärtigen
    Wahlperiode muss dieser Posten unverzüglich von einem Menschen mit tadelloser
    Reputation besetzt werden, der Autorität in der Zivilgesellschaft genießt;
  • Berichte über
    Verletzungen des Wahlrechts müssen unverzüglich untersucht werden, Menschen,
    die für Wahlfälschungen verantwortlich sind, strafrechtlich zur Verantwortung
    gezogen werden, Wahlkommissionen, die für Wahlfälschungen verantwortlich sind,
    umgebildet werden;
  • bis zu den
    Präsidentenwahlen 2012 muss die Zusammensetzung der Wahlkommissionen erneuert
    und dabei diejenigen ausgeschlossen werden, die sich durch Verletzungen der
    Wahlgesetzgebung diskreditiert haben; sollten sie bereuen, sind sie von
    strafrechtlicher und ordnungsrechtlicher Verfolgung freizustellen;
  • bei den
    Präsidentenwahlen 2012 muss es maximale Garantien dafür geben, dass sie den
    fairen und freien Wählerwillen zum Ausdruck bringen, das bedeutet in erster
    Linie die strikte Beachtung der Rechte von Wahlbeobachtern und Journalisten;
  • so schnell wie
    möglich muss eine neue Wahlgesetzgebung beschlossen werden, um auf ihrer
    Grundlage Neuwahlen zum Parlament durchzuführen;
  • es soll ein
    Verhandlungsmechanismus geschaffen werden, um einen fairen Gesellschaftsvertrag
    zwischen den Bürgern und der Staatsmacht beim Übergang in eine neue politische
    Realität zu gewährleisten.

Vorsitzender des Rats
Michail Fedotow
23.12.2011
(Übersetzung: Jens Siegert)


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