Vor zwei Jahren
wurde Natalja Estemirowa ermordet. Einige ihrer FreundInnen und KollegInnen von
Memorial waren, wie ich auch, an diesem Tag beim hochoffiziellen „Petersburger
Dialog“ in München. Wir verfassten, in geschockter Trauer, eine Erklärung und
forderten den dort auch anwesenden russischen Präsidenten Dmitrij Medwejew auf,
alles in seiner macht Stehende zu tun, um den oder die Mörder zu finden und vor
Gericht zu stellen. Medwedjew versprach das damals.
Vor einem Jahr
erklärte der Leiter des „Untersuchungskomitees bei der Generalstaatsanwaltschaft“
Alexander Bastrykin, seinem mit der Untersuchung des Mordes befassten Komitee
seien die Mörder Natalja Estemirowas bekannt und sie würden in Kürze verhaftet.
Seither schwieg das Komitee.
Laut und
widerlich war nur der Prozess, den Ramsan Kadyrow, vor zwei Jahren noch Präsident
der Tschetschenischen Republik, seit etwa einem Jahr per bescheidender
Umbenennung nur noch Führer genannt, gegen den Leiter des
Menschenrechtszentrums Memorial und Freund von Natalja Estemirowa Oleg Olrow
angestrengt hatte. Oleg Orlow hatte direkt nach dem Mord Kadyrow als im
politischen Sinn „verantwortlich“ für den Mord bezeichnet. Das hielt Kadyrow
für eine Beleidigung. Später mussten Orlow und Memorial eine Geldstrafe
deswegen zahlen. Im Strafprozess wurde Orlow jüngst nur aufgrund
abenteuerlicher Kasuistik frei gesprochen.
Heute, also zwei
Jahre nach dem Mord, meldete sich das staatsanwaltschaftliche Untersuchungskomitee
erneut. Die Herrschaften sind sich nun sicher, hinter dem Mord stehe ein
islamitischer Extremist, der „Terrorist“ Alchasur Baschajew. Er habe Natalja
Estemirowa aus Rache ermordet, weil in der Oppositionszeitung Nowaja Gasata,
für die Natalja Estemirowa auch geschrieben hat, böse Dinge über ihn gestanden
hätten. Näheres könne man aber nicht mitteilen, um die weiteren Ermittlungen
nicht zu gefährden.
Ebenfalls heute
veröffentlichte die Nowaja Gaseta einen langen Artikel, in dem ihre JournalistInnen
die Version des staatsanwaltschaftlichen Untersuchungskomitees zurück weisen. Ihre
eigenen, akribisch aufgezeichneten Analysen des zugänglichen Materials hätten
keine Hinweise auf eine Täterschaft Baschajews ergeben. Dafür gebe es viele
Hinweise auf Täter aus dem Umfeld der gegenwärtigen tschetschenischen
Regierung. Das Untersuchungskomitee habe es aber, unter Anleitung und
Unterstützung des Inlandsgeheimdienstes FSB immer wieder zu verhindern oder zu
verweiden gewusst, DNA-Abgleiche mit möglichen Verdächtigen aus staatlichen
Sicherheitskräften vorzunehmen. Der Artikel endet mit der Aufforderung an die
Staatsanwaltschaft, ihn als offiziellen Antrag zu verstehen, die in ihm
vorgebrachten Sachverhalte zu überprüfen und in die Ermittlungen einzubeziehen.
Man warte auf Antwort.
Ebenfalls heute
Abend fand in den Räumen von Memorial in Moskau ein Gedenkabend statt, an dem
auch der französische Film „Wer hat Natascha ermordet“? gezeigt wurde, ein Film
der im März beim Internationalen Filmfestival und Forum Menschenrechte in Genf den
Hauptpreis der Weltorganisation gegen Folter bekommen hat. Freundinnen und
Freunde erinnerten nach dem Film an Natalja Estemirowa.
Präsident
Medwedjew hat dagegen heute geschwiegen. Wahrscheinlich hat ihn niemand seiner
Mitarbeiter an sein Versprechen von vor zwei Jahren erinnert. Oder es hat ihn
jemand erinnert, aber dann festgestellt, dass Medwedjew nichts zu sagen hat. Es
ist in letzter Zeit immer öfter der Fall, dass in Bezug auf Medwedjew die schon
sehr allgemein gewordene Annahme gilt, dass er entweder nicht will oder nicht
kann oder beides.
Das führt dann
gar nicht mehr so selten zu Überlegungen, ob man mit Putin als Wiedergänger im
Kreml wenn schon nicht besser, so doch wenigstens ehrlicher, weil
hoffnungsloser dran sei. Man denkts, schüttelt sich und findet sich einen
Schritt näher an der inneren oder äußeren Emigration.