Von der Wirtschaftsentwicklung wird gesagt, sie werde zu 50 Prozent durch harte Tatsachen bestimmt, zu weiteren 50 Prozent aber davon, was die Menschen erwarten. Demnach wird es mit der Wirtschaftskrise wohl erst einmal noch finsterer werden. Ganz anders im Verhältnis zwischen Russland und den USA. Fröhliche Gesichter aller Orten und alle überschlagen sich mit optimistischen Ausblicken. Hier sei wirklich der Reset Button gedrückt worden, flötete gar Profi-Finsterling Sergej Lawrow nach dem ersten Treffen Obama-Medwedjew Ende März ungewohnt zart. Und auch die Präsidenten selbst klopften sich verbal auf die Schultern. Soweit der menschliche Faktor. Doch wie sieht es mit den harten Fakten aus? Gibt es mehr als die Euphorie der Russen, nun nicht mehr mit Bush's Neocons zu tun zu haben, und ihr Frohlocken vor aller Welt „Recht gehabt zu haben“ (siehe dazu den Artikel von Dmitrij Medwedjew in der Washington Post), weil es die USA unter Obama sind, die ihre Politik ändern und „einlenken“. Plötzlich sind alle wieder gut Freund als ob nichts gewesen wäre. Es war aber was. Und das ist immer noch da.
Der Unterschied zur Vor-Obama-Zeit liegt tatsächlich im Menschlichen. Fast alle sehen plötzlich, wie auf Kommando das Positive, also die gemeinsamen Interessen. Das Störende, die harten Interessensgegensätze, die es ja gibt, werden hinter die Kulissen geschoben. Das ist eben der Geist der Zeit. Den einen Tag retten die Spitzen der Länder dieser Erde die (Wirtschafts-) Welt gemeinsam vor dem Untergang. Und tags darauf werden auch die politischen Krisen gelöst. Ein Spielverderber, wer sich da nicht einreiht.
Die neue US-Politik gegenüber Russland besteht, soweit bereits zu erkennen, aus zwei Teilen. Einerseits wird, soweit wie möglich, auf die russische Empfindlichkeit Rücksicht genommen, doch bitteschön als Großmacht behandelt zu werden. Auf kleinere russische Sticheleien, wie das Drängen Kirgisiens, dem US-Militär in Manas die Tür zu weisen, wurden estaunlich ruhig und gelassen reagiert. Man mag sich den Furor von Condoleeza Rice gar nicht erst vorstellen. Zum anderen werden Themen in den Vordergrund gerückt, in denen das gemeinsame Interesse zwischen Russland und den USA (und sogar dem Westen insgesamt) so mit Händen zu greifen ist, dass nur die schlechte Stimmung und George W. Bush schon frühere Fortschritte verhindern konnten: Die Abrüstung von strategischen Atomraketen und Afghanistan.
Beide Ländern haben immer noch viel zu viele strategische Atomraketen, die teuer sind, vor allem aber bald modernisiert werden müssten, was noch viel teurer würde. Gerade in der Krise kämen hier Ersparnisse recht. Zudem ist es das wohl einzige Thema, bei dem die Parität, die gleiche Augenhöhe zwischen Washington und Moskau nicht nur gute amerikanische Miene, sondern Realität ist. In Afghanistan „macht die NATO unseren Job“, wird in Moskau schon lange hinter vorgehaltener Hand geflüstert. Wenn die NATO dort verliert, wird vor allem Russland die Suppe mit auslöffeln müssen. Hier zu helfen ist für den Kreml schon allein deshlab vorteilhaft, weil es wohl niemandem in den Sinn kommt, um die Beteiligung russischer Soldaten im dortigen Krieg zu fragen.
Jenseits dieser beiden Themen wird es aber schon wieder stacheliger. Das iranische Atomprogramm ist zwar auch für Russland eine Bedrohung – wenn es denn tatsächlich militärische Ziele hat, wie in Moskau immer weider betont wird. Die Situation ist verfahren und wird hier wird es Fortschritte erst geben können, sollte die jetzige Hoch-Zeit anhalten und auch langfristig zu mehr Vertrauen zwischen Russland und dem Westen führen. Dagegen steht allerdings eine prinzipielle Frontstellung in Bezug auf die ehemaligen Sowjetrepubliken. Für das russische Versändnis hängt die eigene Sicherheit davon ab, dass diese Länder seine speziellen Einflusszonen bleiben. Das wird auch eine Obama-Regierung nicht akzeptieren. Die EU, in der einige große Länder damit leider weniger Schwierigkeiten hätten, wirkt gleichzeitig untergründig imperial in die gemeinsame Nachbarschaft mit Russland, ob sie nun will oder nicht.