Spätestens am 3. März wird Michail Chodorkowskij, Russlands prominentester politischer Gefangener (amnesty international) und ehemals reichster Mann des Landes, wieder zurück in Moskau sein. Dann wird gegen ihn zum zweiten Mal Klage erhoben. Nach Meinung der Staatsanwaltschaft (lies: des Staates) soll er zusammen mit seinem damaligen Geschäftspartner Platon Lebedew die eigene Firma bestohlen haben. Und zwar in phantastischem Ausmaß. Mehr als 25 Miliarden US-Dollar habe er binnen weniger Jahre zur Seite geschafft, so die Anklage. Chodorkowskijs Anwalt Jurij Schmidt (Petra-Kelly-Preisträger 2006) nennt diese Anklage „nur noch absurd und lächerlich“. Das sei mehr als Chodorkowskijs damaliger Hauptbesitz, der Ölkonzern Jukos, in den betreffenden Jahren überhaupt eingenommen habe.
Lange sah es so aus, als ob es diese schon vor zwei Jahren laut angekündigte zweite Anklage gegen Chodorkowskij und Lebedew nicht geben würde. Immer wieder beantragte die Staatsanwaltschaft Verlängerung der erneuten Untersuchungshaft im fernöstlichen Tschita. Warum, war selten klar. Ursprünglich sollte der Prozess wohl noch vor den Duma- und Präsidentenwahlen vor einem Jahr voprüber sein. Das klappte nicht. Zu schlecht war die Anklage formuliert, zu gut, vor allem aber wohl zu laut die Verteidigung. Dann machte den Anlägern zu schaffen, dass die Verteidiger bei einem Moskauer Gericht den Gerichtsort Moskau durchsetzen konnten. Chodorkowskij und Lebedew nach Moskau zu bringen, mit seiner immensen ausländischen Korrespondetenschar und der großen öffentlichen Aufmerksamkeit schien ihnen und den politisch Verantwortlichen nicht zu behagen. Dann wiederum gab es Gerüchte, der neue Präsident Dmitrij Medwedjew sei bereit Chodorkowskij im Rahmen einer bald erwarteten allgemeinen Amnestie für Kleinverbrecher und schon lange Einsitzende zu begnadigen. Das wäre aber nur möglich gewesen, solange die neue Anklage nicht erhoben war. Die nun zu erwartende neue Strafe, zusätzlich zu den 8 Jahren aus dem ersten Prozess, fällt nicht unter eine mögliche Amnestie.
Immerhin wird mit der Rückkehr nach Moskau eine alte Forderung der Verteidigung erfüllt. Nach dem russischen Strafvollzuggesetz müssen Häftlinge in „heimatnah“ Gefängnissen oder Lagern ihre Strafe abbüßen. Die 6.000 Kilometer zwischen Moskau und Tschita fallen wohl kaum darunter. Entsprechende Eingaben der Anwälte hatte die Gefängnisverwaltung immer kühl mit dem Hinweis abgewiesen, näher an Moskau sei kein Zellen- oder Barackenplatz frei. Eine glatte Lüge, wie Anfragen in näher gelegenen Lagern schnell heraus brachten. Aber so funktioniert er eben in politischen Prozesse, der russische Rechtsstaat. Wie der nun kommende Prozess ausgehen wird, ist unklar. Aber schon dass er eröffnet wurde, ist nach Ansicht der Anwälte ein schlechtes Zeichen.
Zum Schluss eine kleines Gleichnis zum russischen Reichtum. Anfang dieser Woche veröffentlichte Forbes eine erneute Liste russischer Milliardäre. Die Krise hat ihre Zahl in einem halben Jahr von 102 auf 49 zusammenschrupfen lassen. Der reichste Mann Russlands heißt nun Michail Procherow und verfügt laut Forbes über 14,2 Milliarden US-Dollar. Michail Chodorkowskijs Vermögen wurde in seinem letzten freien Jahr 2003 von Forbes auf 14,4 Milliarden geschätzt. Ökonomisch ist Russland also in gewisser Weise so weit wie vor fünf Jahren. Wenn doch bloß auch ein solcher politischer Rückschritt möglich wäre!
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