Heute vor 60 Jahren wurde der russische Filmregisseur Alexej Balabanow in Swerdlowsk (das heute wieder Jekaterinburg heißt) im Ural geboren. Wie der Moskauer Politologe Sergej Medwedjew schon vor einiger Zeit schrieb, war Balabanow ein „Pathologe der russischen Seele“, ja der „wichtigste russische Regisseur“. Obwohl Balabanow schon vor nun sechs Jahren, wie man so schön und ein wenig ängstlich sagt, „viel zu früh“ starb, wird er das, so wie es scheint, noch eine Weile bleiben. Für mich gehört er unbedingt zu meinen „111 Gründen, Russland zu lieben“. Im Buch ist er der 13. Grund. Aber das ist natürlich purer Zufall, denn ich liebe ihn,
weil Alexej Balabanow so wunderbare Filme über Schmerz und Tod gemacht hat
Über Filme zu schreiben ist immer schwierig. Das gilt vor allem dann, wenn die zukünftigen Leser und Leserinnen diese Filme mit großer Wahrscheinlichkeit nicht kennen und auch kaum kennen lernen werden. Noch schwieriger ist es, über das Gesamtwerk eines Regisseurs zu schreiben. Trotzdem muss Alexej Balabanow in diesem Buch meiner Liebe zu Russland vorkommen, denn diese Liebe ist ohne ihn nur schwer vorstellbar.
Dabei hat mich Balabanow zu Beginn meiner Affäre mit dem Land gar nicht berührt. Sein bis heute berühmtester Film, sein Durchbruch vom guten Regisseur zum Kultregisseur (zum ersten und bis heute einzigen des postsowjetischen Russlands), ging damals völlig an mir vorbei. Das war 1996. Der Film hieß Brat (deutsch: Bruder) und erzählt die Geschichte des jungen Danila Bagrow aus der Provinz, der auf der Suche nach seinem Bruder in der Großstadt zum Auftragsmörder wird. In gewisser Weise ist Bagrow der erste nicht-sowjetische Held im nun russischen Film. Aus den versorgenden wie einengenden Fängen des Staates entlassen, muss er in der neuen, rauen Wirklichkeit seinen eigenen Weg finden, mit allen Mitteln.
Überhaupt sind Balabanows Helden oft Außenseiter, die am Abgrund stehen und auf der Suche nach ihrem Platz im Leben sind oder zumindest ein kleines Glück. Dabei scheint es oft, als ob durch sie der Schmerz und die Verwirrung des ganzen Landes zu uns sprechen. Entsprechend ist der Tod in Balabanows Filmen allgegenwärtig. Dabei erzählt der Regisseur nie von Moral. Seine Helden leben und leiden, aber Balabanow richtet nicht über sie. Ja, viele von ihnen handeln nach bürgerlichen Maßstäben unmoralisch (und nach den überkommenen sowjetischen auch). Aber wahrscheinlich erwecken sie gerade deshalb Sympathie bei den Zuschauern (oder zumindest Interesse), weil die Zeiten eben so sind. Im neuen Russland kommt, zumindest vorerst, kaum jemand wirklich sauber durchs Leben. In Balabanows Filmen wird diese allgemeine Erfahrung zu großer Kunst verdichtet.
Nur zwei Filmen von Alexej Balabanow gibt es keine Bösen. Das sind die einzigen, in denen die Helden am Ende sterben. In Mne ne bolna (Es tut nicht weh) erzählt die krebskranke Heldin nichts von ihrer Krankheit, vor allem nicht ihrem jungen Geliebten. In Ja tosche chotschu (Ich will auch), seinem letzten Film, spielt Balabanow sich selbst und stirbt zum Schluss. Kurz zuvor hatte der Regisseur seinen baldigen Tod vorausgesagt. Ein halbes Jahr nach der Premiere starb er bei der Arbeit an einem neuen Drehbuch an einem Herzinfarkt.