Das russische Justizministerium hat fünf weitere NGOs zu sogenannte „ausländischen Agenten“ erklärt und sie, gegen ihren Willen, in das entsprechende staatliche Register eingetragen. Es handelt sich dabei um das Menschenrechtszentrum Memorial, Ecodefense-Frauenrat aus Kaliningrad, den Polizei- und Justiz-Watchdog „Obschtschestwennyj Verdikt“, die Menschenrechtsorganisation AGORA und die „Juristen für Verfassungsrechte und Freiheit„. Damit sind diese NGOs ab sofort verpflichtet, alle öffentlichen Äußerungen mit dem Zusatz zu kennzeichnen, dass sie von einer Organisation stammen, „die die Funktion eines ausländischen Agenten ausübt“. Wenn sie das nicht machen, drohen hohe Geldstrafen und, im Wiederholungsfall die Schließung der Organisation und Haftstrafen für Vorsitzenden.
Die Repression gegen unabhängige NGOs in Russland ist mit diesem Schritt in eine neue Phase eingetreten. Erst Anfang Juni hatte das Justizministerium durch eine Gesetzesänderung das Recht bekommen, NGOs auch gegen ihren Willen als „Agenten“ zu brandmarken. Bisher hatte sich das Ministerium aber darauf beschränkt, das nur zu tun, wenn es vorher ein entsprechendes rechtskräftiges Gerichtsurteil gab. Im Fall der heute zu „Agenten“ erklärten fünf NGOs beruft sich das Ministerium in vier Fällen lediglich auf staatsanwaltliche Bescheide (die zudem allen schon im Vorjahr als Folge der ersten großen „Überprüfungswelle“ gegen NGOs mit mutmaßlich ausländischer Finanzierung ergangen waren). Im Fall von Ecodefense zieht das Justizministerium eine eigene „Prüfung“ vom Frühjahr dieses Jahres heran. Alle NGOs haben die staatsanwaltlichen Bescheide vor Gericht angefochten. Ein rechtskräftiges Urteil liegt in keinen Fall vor.
Vier der fünf jetzt zu „Agenten“ erklärten NGOs (mit der Ausnahme der „Juristen für Verfassungsrechte und Freiheit“ gehören zudem zum Kreis von 11 russischen NGOs, die Anfang 2013 eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen das sog. „NGO-Agentengesetz“ eingereicht hatten. Die Beschwerde ist zur Behandlung angenommen, aber die Verhandlung ist noch nicht terminiert.
Nach bisherigen Erklärungen ist nicht anzunehmen, dass auch nur eine der fünf NGOs sich der Gesetzesbestimmung, sich selbst öffentlich „ausländischer Agent“ zu nennen, nachkommen wird. Angesichts der möglichen hohen Geld- und Gefängnisstrafen dürfte eine einfache Missachtung, um dann gegen eventuelle Strafen gerichtlich vorzugehen, kaum sinnvoll sein. Wahrscheinlicher ist eine Selbstauflösung der Organisationen und der Versuch, die Arbeit anderweitig zu organisieren.
Ende voriger Woche gab es zudem noch einen Angriff gegen ausländische NGOs-Finanzierung auf einer ganz anderen Linie: Die Steuerbehörde fordert von der Moskauer Schule für Staatsbürgerliche Aufklärung 6,5 Millionen Rubel Steuern nach. Sie erkannte anders als in den Vorjahren und bei anderen Organisationen ausländische Spenden nicht als steuerbefreit an. Das Urteil dürfte große Auswirkungen auf die Möglichkeiten finanzieller Förderung russischer NGOs aus dem Ausland haben, denn viele Organisationen bekommen seit Jahren Spenden von dort, die nach dem Steuerrecht steuerfrei sind. Der Fall der Moskauer Schule für Staatsbürgerliche Aufklärung ist der erste, in dem eine Steuerbehörde anders urteilt.
Das verschärfte staatliche Vorgehen gegen russische NGOs ist kein Zufall. Auf der einen Seite kündigte es sich seit einigen Wochen, auch durch die oben erwähnte Novelle des „NGO-Agentengesetzes“ an. Zudem gibt es Wochen immer neue Gerüchte über eine neue Repressionswelle im Herbst. Auf der anderen Seite gerät der Kreml in der Ukraine immer mehr in die Defensive. Das Vorgehen gegen die NGOs könnte dabei zwei Teilen dienen: Zum einen wird dem Westen gezeigt, dass die Schrauben im inneren immer noch weiter angedreht werden können. Zum anderen wird die „Heimatfront“ weiter begradigt und den NGOs gezeigt, dass sie sich nicht zu früh freuen sollen.