Ukrainische und russische Menschenrechtler rufen die Menschenrechtsbeauftragten der Ukraine und Russlands zu einer gemeinsamen Bobachtermission im Konfliktgebiet in der Ostukraine auf. Erstes Ziel ist die Freilassung aller dort gewaltsam festgehaltenen Zivilisten. Des weiteren fordern sie ein ständiges Monitoring von Menschenrechtsverletzungen und der Bedingungen. Unten dokumentiere ich den Aufruf in einer deutschen Übersetzung. Hier ist er auf der Website von Memorial im russischen Original zugänglich:
An die
Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation
Ella Pamfilowa
An den
Menschenrechtsbeauftragten der Obersten Rada der Ukraine
Walerij Lutowskij
An den
Vorsitzenden des Rates für die Entwicklung von Zivilgesellschaft und Menschenrechten beim Präsidenten der Russischen Föderation
Michail Fedotow
Aufruf
Wir, Aktivisten und Menschenrechtler aus der Ukraine und aus Russland, die ein Monitoring von Menschenrechtsverletzungen in den ukrainischen Regionen Donezk und Lugansk durchführen, wenden uns mit der Bitte an Sie, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, um die massenhafte Verletzung von Menschenrechte in der Konfliktregion zu beenden.
Selbstverständlich ist die Beachtung der Menschenrechte auf dem Gebiet der Ukraine in erster Linie Aufgabe und Verantwortung des ukrainischen Staates. Aber viele Menschenrechtsverletzungen in den Regionen Donezk und Lugansk werden unter der russischen Fahne und unter Beteiligung russischer Staatsbürger verübt.
Durch unsere Arbeit im Donbass sehen und verstehen wir, dass die Situation dort momentan in wesentlichem Ausmaß weder von der einen noch von der anderen Konfliktseite kontrolliert wird. Es ist aber sehr gut möglich, dass die Beteiligung von offiziellen für den Schutz der Menschenrechte zuständigen Personen, die die russische Föderation vertreten Einfluss auf die Menschen haben kann, die erklärter Maßen von der russischen Föderation unterstützt werden wollen.
Schon die Aufstellung einer gemeinsamen Mission würde unterstreichen, dass die Beachtung der Menschenrechte eine Norm ist, die außerhalb und überhalb der Politik steht. Unzweifelhaft würde eine solche Mission größeres Vertrauen erwecken als jede beliebige unilaterale Struktur.
Die drängendsten Probleme, bei deren Lösung eine gemeinsame Mission nachhaltig helfen könnte, wären die Befreiung von gewaltsame festgehaltenen Zivilisten, die nicht an den bewaffneten Auseinandersetzungen teilgenommen haben, und die Gewährleistung (Monitoring) der Beachtung der Rechte von Gefangenen in der Konfliktregion.
Die genaue Anzahl der Menschen, die ungesetzlich von den bewaffneten Gruppierungen festgehalten werden, die sich der Donezker Volksrepublik und der Lugansker Volksrepublik zuordnen, ist unbekannt, aber es kann mit Sicherheit gesagt werden, dass sie viele Dutzend umfasst.
Es ist bekannt, dass sie in besetzten Verwaltungsgebäuden in Lugansk, Donezk, Slawjansk, Kramatorsk, Gorlowka und Artemowsk festgehalten werden (die Liste ist nicht vollständig).
Unter den gewaltsam festgehaltenen Menschen sind die meisten zivilgesellschaftliche Aktivisten und ihre Angehörigen, einfache Menschen, die sich für die Einheit und Souveränität der Ukraine ausgesprochen haben, Journalisten, Beteiligte an der Organisation der Präsidentenwahlen in der Ukraine (Mitglieder und Vorsitzende von Wahlkommissionen, Vertreter von Kandidaten und Vertrauenspersonen von Kandidaten).
Viele der gewaltsam Festgehaltenen werden brutal und unmenschlich behandelt. Sie werden geschlagen und gefoltert. Ihnen wird medizinische Behandlung vorenthalten. Einige Menschen befinden sich schon seit mehreren Wochen in dieser Situation.
Verwandte haben keine Möglichkeit zu erfahren, wo sich die Verschleppten aufhalten und wie sie ihr Schicksal erleichtern könnten.
Auch die Verletzungen der Rechte von Menschen, die in der Konfliktregion von ukrainischen Sicherheitsstrukturen festgenommen worden sind, erfordern genaue Aufmerksamkeit. Es sind Fälle bekannt, in denen Anwälte nicht zu Festgenommenen vorgelassen wurden, in denen Menschen ohne Anschuldigungen festgehalten werden, in denen Gefangene brutal und erniedrigend behandelt werden und Fälle, in denen an Festnahmen und Verhören dazu nicht berechtigte Personen teilgenommen haben.
Mit Bezug auf das oben Dargelegte wenden wir uns an Sie mit folgenden Bitten und Vorschlägen:
1. Sich mit einem öffentlichen Aufruf an alle Gruppen zu wenden, die Zivilisten gefangen nehmen und gefangen halten, diese unakzeptable Praxis zu beenden und ohne jede Vorbedingung und ohne Ausnahme alle Gefangenen frei zu lassen.
2. Eine gemeinsame Monitoringmission zu den wichtigsten Orten zu unternehmen, an denen Zivilisten gewaltsam festgehalten werden, um auf dem Verhandlungsweg unverzüglich alle Gefangenen ohne Ausnahme frei zu bekommen.
3. Die Bildung einer gemeinsamen offiziellen ukrainisch-russischen Arbeitsgruppe zu initiieren, die ein Monitoring zu Menschenrechtsverletzungen durch die Konfliktparteien durchführen könnte, Maßnahmen (Ausarbeiten von Empfehlungen) zur Beendigung solcher Menschenrechtsverletzungen zu unternehmen, sowie Berichte über festgestellte Menschenrechtsverletzungen und über durchgeführte Maßnahmen gegen sie zu veröffentlichen. Dieser Gruppe könnten Menschen angehören, die bereits am Monitoring von Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind, darunter Mitglieder des Rates für die Entwicklung von Zivilgesellschaft und Menschenrechten beim Präsidenten der Russischen Föderation und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen beider Länder. Es wäre zudem sinnvoll, wenn Mitglieder der Monitoringmission der UNO für Menschenrechte in der Ukraine als Beobachter an der Arbeitsgruppe beteiligt würden.
Die Autoren dieses Aufrufs, Vertreter der ukrainischen und russischen Zivilgesellschaft, sind bereit, Ihnen alle ihnen zur Verfügung stehenden Informationen über Menschenrechtsverletzungen in der Konfliktregion zur Verfügung zu stellen.
Hochachtungsvoll und in der Hoffnung auf Zusammenarbeit,
Jewgenij Sacharow, Direktor der Charkower Menschenrechtsgruppe
Alexandra Matwejtschuk, Vorstandsvorsitzender des Zentrums für bürgerliche Freiheiten
Iosif Sisels, geschäftsführender Vizepräsident des Kongresses nationaler Gemeinschaften der Ukraine
Arkadij Buschtschenko, Geschäftsführer, Nikolaj Kosyrew, Vorstandsvorsitzender der Ukrainischen Helsinki Union für Menschenrechte
Zivilgesellschaftliche Initiative Euromajdan SOS
Zivilgesellschaftlicher Sektor Lugansk
Menschenrechtsplattform „Infozentr Donbass“
Menschenrechtszentrum „Postup“
Zivilgesellschaftliche Initiative Wostok-SOS
Oleg Orlow, Mitglied im Rat des Menschenrechtszentrums „Memorial“
Lew Ponomarjow, Geschäftsführer der Allrussischen Bewegung „Für Menschenrechte“
Jan Ratschinskij, Vorstandsmitglied der Russischen Gesellschaft „Memorial“
Ella Poljakowa, Vorsitzende der regionalen gesellschaftlichen menschenrechtlichen Organisation „Soldatenmütter St. Petersburg“
Andrej Jurow, Koordinator der Internationalen Menschenrechtsgruppe zur Situation in der Ukraine
Den Aufruf unterstützen ebenso:
Ludmila Alexejewa, Vorsitzende der Moskauer Helsinkigruppe
Walerij Borschtschow, Mitglied der Moskauer Helsinkigruppe
Swetlana Gannuschkina, Vorsitzende des Komitees „Bürgerbeteiligung“
Sergej Kowaljow, Präsident des Instituts für Menschenrechte
Arsenij Roginskij, Vorstandsvorsitzender der Internationalen Gesellschaft „Memorial“
Alexander Tscherkasow, Vorsitzender des Rats des Menschenrechtszentrums „Memorial“
Übersetzung: Jens Siegert
Anmerkung des Übersetzers: Der Text wurde aus dem Russischen übersetzt. Ich bitte daher um Verständnis, dass alle ukrainischen Namen und Ortsbezeichnungen in ihrer russischen Form wieder gegeben sind.