Jenseits von Sotschi – was unterhalb des olympischen Aufmerksamkeitsschirms bleibt

Vorige Woche habe ich in diesem Blog darüber geschrieben, dass die Olympischen Spiele in Sotschi für Wladimir Putin noch immer zu einem Erfolg werden können. Dazu tragen vor allem die niedrigen Erwartungen bei, die Enttäuschungen unwahrscheinlich machen. Das gilt vor allem für die Stimmung im Land selbst und ist durch eine Umfrage des Levada-Zentrums gut dokumentiert: Na klar klauen sie („die da oben“), sagt Volkes Meinung, und jede Menge Schlamperei gibt es auch. Und auf die „kleinen Leute“ wird keine Rücksicht genommen. Aber wann war das je anders? Also lasst uns wenigstens darüber freuen, was wir davon haben, die Freude am Sport und, noch besser, möglichst viele Medaillen für Russland.

Doch neben Sotschi oder besser, unter dem Aufmerksamkeitsschirm von Sotschi, geht das politische Leben in Russland weiter – und im gigantischen Sotschi-Medien-Rauschen weitgehend meist unter. Hier nur einen kleine Auswahl dessen, was allein in diese olympischen Tagen alles passiert ist und es nicht (oder nur ganz klein und auf den hinteren Seiten) in die internationale Presse geschafft hat:

In Woronesch, einer 900.000-Einwohnerstadt kanpp auf halber Strecke zwischen Moskau und Sotschi, begann vorige Woche der Prozess Roman Chabarow, einen ehemaligen Polizisten. Chabarow hatte 2011 in einem Artikel mit der Überschrift „Die Miliz ist unter meinen Augen degradiert“ den Zustand der russischen Polizei öffentlich kritisiert. Kurz darauf wurde er entlassen und seine (nun) ehemaligen Chefs drohten ihm, er werde den Artikel noch bereuen. Nun wird Chabarow wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ angeklagt und sitzt in Untersuchungshaft. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Lagerhaft.

In Krasnodar, der Hauptstadt des Gebiets, in dem auch Sotschi lebt, hat das Bezirksgericht am vergangenen Freitag das erstinstanzliche Urteil gegen Jewgenij Witischko bestätigt. Witischko, ein Ökoaktivist der „Ökologischen Wacht des Nordkaukasus“ soll für drei Jahre ins Lager, weil er, zusammen mit einem Kollegen, Losungen auf einen illegalen Zaun in einem Naturschutzgebiet geschrieben hat. Der Zaun zieht sich um ein Riesengrundstück mit einem kleine Schloss, dass vermutlich dem Gouverneur des Krasnodarer Gebiet gehört. Witischko hatte gegen ein erstes Urteil schon vor dem Obersten Gericht gewonnen, das den Zaun als illegal anerkannte.

Gegenwärtig sitzt Witischko einen sogenannten „administrativen Arrest“ von 14 Tagen ab, weil er angeblich an einer Bushaltestelle geflucht haben soll (ja, das ist inzwischen in Russland verboten). Es besteht nun die große Gefahr, dass er gleich aus dem Arrest ins Lager gebracht wird, obwohl er selbstverständlich gegen das Urteil Berufung einlegen wird. Nach Angaben seiner MitstreiterInnen von der Ökologischen Wacht des Nordkaukasus ist er heute in einen Hungerstreil getreten.

Ernst wird in der zweiten olympischen Woche auch im sogenannten „Bolotnaja-Prozess“. Dabei geht es um angebliche Gewalt gegen Polizisten bei  einer Großdemonstration gegen Putin am Tag vor seiner Amtseinführung (dem 6.Mai 2012). Insgesamt wurde und wird gegen 29 Menschen ermittelt. Schon 2012 und 2013 wurden zwei Demonstranten (Konstantin Lebedew und Maxim Lusjanin) zu Haftstrafen verurteilt. Ein weiterer Demonstrant (Michail Kosenko) wurde vom Gericht für unzurechnungsfähig erklärt und befindet sich zwangsweise in einer geschlossenen Psychiatrie. Einige Angeklagte wurden im Zuge einer zum Jahresende 2013 verkündeten Amnestie inzwischen freigelassen, darunter drei heute (am 17. Februar). Am kommenden Freitag (dem 21. Februar) erwarten nun allerdings acht weitere Angeklagte auf ihre Urteile. Aller Voraussicht nach müssen sie mit Schuldsprüchen rechnen.

Das nennt man wohl „Olympischen Frieden“.

P.S.: Mit dem Sieg der russischen Eishockeymannschaft in Sotschi, dem, aus Sicht vieler russischer Fans, sine qua non der Spiele, sieht es vorher nicht allzu gut aus. Zwar gewann die russischer Mannschaft zum Auftakt gegen die Underdogs aus Slowenien, doch das Prestigeduell gegen die USA („Prestige“ vorerst, weil beide in die Finalrunde eingezogen sind) ging 3:2 nach Verlängerung und Penaltyschießen verloren. Dabei wurde den Russen kurz vor Schluss ein Treffer erst an- und dann, nachdem die Schiedsrichter sich eine Videoauszeichnung angeschaut hatten, wieder aberkannt.

Das wiederum animierte den Oberkläffer des russischen Fernsehens Dmitrij Kisseljow am Sonntag Abend zur Primetime zu einer halb weinerlichen, halb agressiven Klage, hier sei US-amerikanisches Geld im Spiel. Das Video ist sehenswert, aber leider nur auf Russisch verfügbar. Warum diese Reaktion, die so gar nicht zum allseits von der politischen Führung zur Schau gestellten Sportsgeist passt? Da soll wohl, angesichts der bisher mauen Leistungen der russischen Eishockeyspieler, schon vorgesorgt werden. Denn wie bereits geschrieben: Selbst Platz eins im Medaillenspiegel (der heute, Montag, 17. Februar 2014, noch weit entfernt ist) ist ohne den Eishockeysieg über den Erzfeind, im, wie man in Russland so gern sagt, „Massenbewusstsein“ nur die Hälfte wert.