So kann es gehen, wenn man sich mit JournalistInnen einlässt, was ich immer wieder sehr gerne tue. Aber gestern war ich dabei offenbar zu ungenau. Da habe ich dem Deutschlandradio Kultur ein Interview zu den massenhaften NGO-Überprüfungen in Russland gegeben und habe, vielleicht ein bisschen zu naiv, zu differenzieren versucht. Ich wollte es dem Kreml nicht zu leicht machen. In vielen deutschen Zeitungen und im Internet lauteten die Übeschriften „Razzien bei deutschen Stiftungen“ oder „Durchsuchungen bei russischen NGOs“. Da, so dachte ich, könnten die „Russlandversteher“ (mit denen wir „Russlandkritiker“ uns ja gerade öffentlich auseinander setzen) kühl kontern, dass es sich lediglich um „Überprüfungen im gesetzlichen Rahmen“ handele, die Kritik unsachlich sei und deshalb bei der russischen Führung und in der russischen Bevölkerung nur Widerstand, aber keine Einsicht erzeugen werde.
Also habe ich versucht, zwischen den gegenwärtigen staatsanwaltschaftlichen „Überprüfungen“ (formal rechtmäßig, wenn auch in der massenhaften und umfassenden Form, wie sie geschehen, einmalig und eindeutig auf Einschüchterung und Diskreditierung bedacht) und „Razzien“ oder „Durchsuchungen“ zu unterscheiden (bei denen die Polizei kommt, alles durchsucht und meist auch etwas beschlagnahmt). Das ist mir offenbar nicht gelungen. Oder ich bin nicht durchgedrungen. Jedenfalls haben die KollegInnen vom Deutschlandradio aus meinen Antworten geschlossen, ich „warnte“ davor, „die Kritik an den russischen Behörden nicht zu übertreiben“.
Das mache ich ausdrücklich nicht! Kritik muss sein und sie sollte laut sein, weil sie sonst nicht gehört wird. Das gilt besonders, weil die meisten NGOs die Beamten von Staatsanwaltschaft, Justizministerium und Steuerbehörde nur deshalb rein gelassen haben, weil sie befürchten (müssen), dass sie ansonsten mit einem gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss und einem Sondereinsatzkommando in Motoradmasken und mit Maschinenpistolen wieder kommen. Hier gilt das Recht des Stärkeren, nicht die „Diktatur des Rechts“ (Putin). Da ist es eindeutig die bessere Taktik, sich die Türen nicht einschlagen zu lassen, sich nicht zum Verhör in die Räume der Staatsanwaltschaft vorladen zu lassen (so geschehen Lew Ponomarjow von „Für Menschenrechte“, der, sich im Recht befindend, die Beamten an der Tür abgewiesen hat), sondern sich die wenigen rechtlichen Möglichkeiten zu erhalten, die bei einem sich rechtlich kaum gebunden fühlenden Polizeiapparat und abhängigen Gerichten noch bleiben.
Und die sehen ungefähr so aus. Die ungebetenen Besucher rein zu lassen, sich ihre Wünsche anzuhören, ihnen auch Akteneinsicht zu geben (die sie ohnehin haben könnten, hätten sie sich, wie es das nicht ganz feine NGO-Gesetz vorschreibt, vorher angemeldet), ihnen auch alle Kopien zu machen und auszuhändigen, die sie haben wollen. Danach dann eine Beschwerde schreiben, die mit großer Wahrscheinlichkeit abgelehnt wird. Dann gegen die Beschwerde klagen. Auch hier sind die Chancen, vor einem russischen Gericht Recht zu bekommen, verschwindend gering (jedenfalls solange es kein politisches Signal „von oben“ gibt). Irgendwann, in vorerst unbestimmter Zukunft, landet das Ganze dann vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Dort gibt es dann meist eine gute Chance, Recht zu bekommen.
Legalität ist also in Russland mit seinen immer repressiveren Gesetzen vor allem eine Frage der Stärke. Und stark (in diesem, repressiven Sinn!) ist der Staat. Recht (und Recht zu haben) schützt die Schwächeren deshalb nur sehr bedingt. Mehr über die massenhaften NGO-„Überprüfungen“, ihre möglichen (Hinter-)Gründe und Folgen morgen an dieser Stelle (hier in Russland ist ja erst in fünf Wochen Karfreitag, weshalb wir arbeiten, die Staatsanwälte aber leider auch).