Etwas mehr als drei Wochen ist Wladimir Putin nun schon wieder Präsident. Die wichtigsten Posten sind vergeben und Putin selbst ist auf einer ersten „Vorstellungstour“ (so seltsam das bei jemandem klingt, der schon zwölf Jahre die (Un-)Geschicke seines Landes bestimmt) bei nahen und guten Freunden. Am Freitag kommt er nach Berlin. Da Putins Rückkehr in den Kreml schon seit dem 24. September vorigen Jahres feststeht, darf sicher ohne Einhaltung der üblichen 100-Tage-Frist schon eine erste Bilanz gezogen werden. Und die fällt mau aus.
Trotzdem, wie ich irgendwo gelesen habe, ohne nachzuzählen, drei Viertel aller Minister der Regierung neu sind, fällt es schwer zu glauben, dass sich an der bisherigen Politik etwas ändern wird. Das hat zwei Gründe. Der erste liegt in den Ernennungen in der Präsidentenadministration. Dorthin wurden die wichtigsten der entlassenen Minister verschoben (so der Innenminister, die Wirtschaftsministerin oder der Rohstoffminister). Nicht ganz klar, was sie da sollen, also eine Art Über-Regierung zu bilden (wie das in vielem in Putins ersten beiden Amtszeiten der Fall war), oder ob das Versorgungsposten sind (wahrscheinlich gibt es eine Antwort auf diese Frage nur individuell und nicht kollektiv).
Dann wurden einige Posten einfach quer getauscht, nach dem Motto „wie der Herr, so das Gescherr“. Der wichtigste Tausch unterhalb der Chefebene war wohl der schon im Januar erfolgte zwischen dem bisherigen stellvertretenden Chef der Kremladministration Wladislaw Surkow, der nun stellvertretender Regierungschef und Leiter des Regierungsapparats wurde, und Wjatscheslaw Wolodin, der den umgekehrten Weg ging.
In der Regierung blieben die einige der wichtigsten Minister auf ihren Posten (so Sulianow/Finanzen, Serdjukow/Verteidigung, vier der sieben stellvertretenden Ministerpräsidenten). Ansonsten rückten bis auf wenige Ausnahmen (über die seltsamste, die Ernennung von Wladimir Medinskij zum Kulturminister, weiter unten mehr) Vizeminister zu Ministern auf, die seit langem in den jeweiligen Ministerien arbeiten. Alles in allem stützt das die These, dass die Regierung künftig noch mehr als schon bisher weitgehend die Aufgabe haben wird, politische Vorgaben aus dem Kreml umzusetzen (jedenfalls solange es um „wichtige“ Dinge geht). Wahrscheinlich ist aber auch, dass nicht sehr viele „Schwergewichte“, ob nun aus dem Apparat oder außerhalb mit und unter Medwedjew arbeiten wollten. Politisch ist Medwedjew so tot wie die von ihm am vergangenen Wochenende übernommene Kremlpartei Einiges Russland. Aus der Regierung heraus werden kaum gewichtige politische Initiativen zu verwirklichen sein.
Nun, ausgerechnet, zum Kulturminister. Das war die einzige Ernennung, die in der russischen Presse ein wenig Leidenschaft hervor gerufen hat. Medinskij war zuvor Dumaabgeordneter der Kremlpartie „Einiges Russland“ und so etwas wie ein ideologischer Einpeitscher, der sich für keine Peinlichkeit zu schade ist, wenn es denn nur der Sache (sprich: dem Führer) dient. Das ist schwierig bei einer Partei, die eigentlich keine Ideologie hat außer der, unbedingt an der Macht bleiben zu wollen. Die Versatzstücke sind dann auch einigermaßen einfach: Neuauflage der Stalinschen Theorie, Russland sei ausschließlich von Feinden umzingelt (im Ergebnis einer Art Vulgär-Neo-Geopolitik); enger Pakt mit der Orthodoxen Kirche in gesellschaftspolitischen Dingen; strenge Ablehnung alles „Westlichen“.
Schon wenige Stunden nach seiner Ernennung zirkulierten in Russischsprachigen sozialen Netzwerken Zitatensammlungen von Medinskij, die jeden demokratische gewählten Politiker in anderen Ländern (außer vielleicht Italien) sofort erledigt hätten. Hier nur eins: „Stalin hatte Ahnung von Ideologie und wie man Gehirnwäsche betreibt. Heute läuft das alles automatisch und der Wirkungsgrad ist da natürlich unendlich niedrig.“ (mehr Zitate in der Zeitschrift „Bolschoj Gorod“ auf Russisch hier) Der bekannte Journalist Sergej Parchomenko, einer der OrganisatorInnen der Protestdemonstrationen gegen Putin, meint in seinem Blog, Medinskij sei als (wörtlich!) „Scheißefänger“ ernannt worden, damit die anderen einigermaßen in Ruhe arbeiten könnten. Eine zumindest interessante These.
Vielleicht noch ein wenig interessanter ist eine Analogie, die die Redaktion der Tageszeitung Wedomosti Mitte der Woche zu einem Editorial unter der Überschrift „Das Echo des 1987er-Januarplenums der KPdSU“ animiert hat. Ich zitiere:
„Das 1987er Januarplenum der KPdSU beschäftigte sich mit Fragen der Personalpolitik und des Parteiaufbaus. Der junge Generalsekretär Michail Gorbatschow wollte die Demokratisierung der Partei voran treiben. Aus einer bürokratischen Struktur, die über dem Staat stand, und nach dem vertikalen Prinzip des ‚demokratischen Zentralismus’ lebte, wollte er eine echte politische Partei machen, die von unten nach oben aufgebaut ist. (…) Um die Partei zu reformieren schlugen der Generalssekretär und sein Anhänger vor, geheime Abstimmungen und alternative Kandidaturen bei Wahlen auf allen Ebenen in die Parteipraxis einzuführen.
Auf dem 13. Parteitag von Einiges Russland am vergangenen Wochenende wagte sich ihr junger Führer Dmitrij Medwedjew mutig vor: Er schlug vor, künftig über Alternativen abzustimmen (Revolution!). Wir wünschen dem ambitionierten Parteiführer Erfolg und merken nur an, dass der sich für Wahlen zwischen Alternativen einsetzende Medwedjew es vorzog, dass er selbst durch Handaufheben und ohne Gegenkandidaten gewählt wurde (und zwar einstimmig, JS).
Die KPdSU und Einiges Russland haben noch ein weiteres Problem gemeinsam: Karrieristen. ‚Die große Mehrheit sind die besten Vertreter der Arbeiterklasse, der Bauern und der Intelligenzija der Partei beigetreten (…). Trotzdem ist es nicht gelungen, einen stabilen Schutzwall gegen unredliche, durchtriebene und habgierige Menschen zu errichten, die dazu streben, Eigennutz aus dem Parteiausweis zu ziehen’, klagte Gorbatschow. ‚Die Mehrheit der Parteimitglieder sind ehrliche und anständige Menschen (…). Aber es ist nichts Ungewöhnliches daran, dass ständig irgendwelche Gauner versuchen, sich an die Partei zu hängen.’ Einiges Russland plagen 11 Jahre nach ihrer Gründung die gleichen Probleme wie die KPdSU nach 70. Die Zeit rennt!“
Dem ist hier und heute nichts mehr hinzuzufügen.