Wohltäter Putin – wie der ehemalige und künftige Präsident mal um mal Land und Leute vor dem von ihm geschaffenen System rettet

Vorige Woche wurde in Moskau der Nike-Kinopreis vergeben. Die auch in Deutschland bekannte Schauspielerin Tschulpan Chamatowa (vor allem durch den Film „Goodbye Lenin“), erhielt einen Sonderpreis für ihr soziales Engagement. Sie hat, zusammen mit einer Kollegin, die Stiftung „Schenke Leben“ aufgebaut, die todkranken Kindern zu medizinischer Behandlung verhilft und so ein ganz klein wenig das durch und durch marode russische Gesundheitssystem ersetzt. Eine kleine Heldin des russischen Alltags also.

Schon vor den Präsidentenwahlen war Chulpan Chamatowa mit ihrer Stiftung im Gespräch. Sie hatte öffentlich für Wladimir Putin als neu-alter Präsident geworben. Sofort waren damals, im Februar, im Netz Gerüchte aufgetaucht, sie habe das nicht ganz freiwillig getan, man habe ihr gedroht, ohne diese Unterstützung für Putin würde ihrer Stiftung viel Geld verlieren, sowohl staatliche als auch von wohlhabenden Spendern, die unter Druck des Kremls stehen. Selbstverständlich haben viele Menschen diese Gerüchte geglaubt, Chamatowa schwieg.

Bei der Preisverleihung nun, versuchte Kollege Jewgenij Mironow, einer der besten und bekanntesten Schauspieler im heutigen Russland und Laudator, Tschulpan Chamatowa zu verteidigen. Dabei beleidigte er die Kritiker ihrer Putin-Unterstützung heftig als „Ubljudki“. Daraufhin fragte die Moderatorin Xenia Sobtschak, eine bekannte Putin-Kritikerin, Chamatowa auf der Bühne vor laufenden Kamaras, ob sie Putin auch unterstützt hätte, wenn es ihre Stiftung nicht gäbe. Der Saal pfiff, Chamatowa schwieg weiter. (Video auf Youtube hier)

Einen Tag später erklärte sie dann aber in einem Interview für den russischen Dienst der BBC, sie wäre auch ohne Stiftung für Putin gewesen. Dieses Interview nahm die Redaktion der Moskauer Tageszeitung Vedomosti zum Anlass ein Editorial unter der Überschrift „Wohltäter Putin“ zuschreiben, das ich hier, mit ein paar kleineren Erklärungen, dokumentiere.

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Wohltäter Wladimir Putin

„Die Gesetze sind so unhandlich aufgebaut. Es gibt eine riesige Menge Untiefen, die man, wollen wir den Kindern effektiv helfen, nur in Zusammenarbeit mit den Machthabenden umfahren kann“, sagte Tschulpan Chamatowa in ihrem Interview der BBC. Chamatowa ist Mitgründerin der karitative Stiftung „Schenke Leben“ und sie versucht unter den gegebenen Regeln so effektiv wie möglich zu arbeiten. Und die Regeln sind so, dass karitative Arbeit nicht nur nicht gefördert wird, sondern behindert. Also braucht man die Unterstützung der „ersten Person“ im Land, von Wladimir Putin, für den die Schauspielerin vor den Präsidentenwahlen geworben hat.

Formale Regeln funktionieren nicht nur in der karitativen Sphäre nicht. Eigentlich besteht das gesamte politische System aus nicht funktionierenden Systemen und einem ihm zur Hilfe kommenden Wohltäter – eben der ersten Person im Staat. Diese Rolle ganz oben an der Spitze spielt gegenwärtig Putin. Ein wesentlicher Teil seiner Arbeit besteht in der Überwindung der Fehler des institutionellen Aufbaus. Auge in Auge mit diebischen Beamten, mit korrupten Kickbackern, mit Ministern, die gleichzeitig Unternehmer sind, mit nicht funktionierenden Gesetzen und mit ineffektiven Gesetzesschützern. Putin zwingt das staatliche Rad, sich zumindest irgendwie zu drehen. Dabei muss er natürlich vieles selbst machen, in Handsteuerung [das Wort von der “Handsteuerung” gehört dem inzwischen schon legendären “Erfinder der Gelenkten Demokratie”, dem früheren stellvertretenden Chef der Präsidentenadministration Wladislaw Surkow, JS]. Geld aus dem Staathaushalt verteilen und Vergünstigungen vergeben, oder Entscheidungen zugunsten konkreter Menschen, Wirtschaftsbereiche, soziale Gruppen, Städte, Siedlungen oder Dörfer treffen. Dies sind die aktuellen Regeln: schlecht für die Bürger, vorteilhaft für die ersten Personen, die Wohltäter.

Damit die Polizei, die Gerichte oder zum Beispiel die Wahlkommissionen ihren Aufgaben nachkommen, müssen sie angeschnauzt oder unter Druck gesetzt werden. Das allerjüngste Beispiel: Erst Anfang dieser Woche, nach 25 Tagen Hungerstreik des Astrachaner Kandidaten Oleg Schein und seiner Mitstreiter aus Protest gegen das Wahlergebnis [der Bürgermeisterwahlen in diesem Regionalzentrum an der Mündung der Wolga ins Kaspische Meer am 4. März, parallel zu den Präsidentenwahlen; dort, in Astrachan, waren die Dumawahlen vom 4. Dezember mit am stärksten und unverschämtesten gefälscht; JS], hat die Zentrale Wahlkommission sich einverstanden erklärt, die Videoaufnahmen aus allen Wahllokalen der Stadt zur Verfügung zu stellen [Putin hatte nach den Protesten in (fast) allen Wahllokalen Videokameras anbringen lassen; JS]. Man hätte das Wahlergebnis, mit dem Schein, der 30 Prozent bekam, nicht ein verstanden ist, auch sofort nach dem 4. März überprüfen können. Aber alle Eingaben an die Zentrale Wahlkommission, die Staatsanwaltschaft, den Präsidenten und den Premierminister blieben, bevor den Hungerstreikenden nicht der Tod drohte, ohne Ergebnis.

Ganz offenbar konnte niemand außer des einzigen Politikers in Russland die politische Entscheidung treffen, die Aufzeichnungen zu zeigen [Ende der Woche hat Putin vor der Staatsduma auf die Frage von Scheins Genossen von der sich sozialdemokratisch positionierenden Partei Gerechtes Russland, wie er den Hungerstreik in Astrachan bewerte, alles zynisch abgewehrt und den Hungerstreikenden den Gang vor Gericht empfohlen, den sie löngst angetreten haben; JS].

So ist es mit allem. Als in der Stadt Pikalewo drei Fabriken still standen, kam Putin angefahren und putze alle dort herunter, woraufhin die Fabriken einige Zeit defizitär weiter arbeiteten. Als im Moskauer Umland der Wald brannte und das Katastrophenschutzministerium nicht in der Lage war, die Brandbekämpfung zu organisieren, kam Putin mit einem Löschflugzeug angeflogen und warf ein paar demonstrative Tonnen Wasser ab. Als Soldaten im ganzen Land die ihnen versprochenen Wohnungen nicht bekamen, traf sich Putin mit irgendeiner Garnison und überreichte einigen Dutzend Offizieren Eigentumsurkunden.

Der ehemalige und künftige Präsident ist sogar fähig die Märkte zu zähmen. Gegenwärtig hält er die Preise für Benzin niedrig, vor vier Jahren machte er vor den Wahlen das Gleiche mit den Preisen für Lebensmittel. Das Regime der Handsteuerung ist nicht vorbei, umgekehrt wird es immer teurer. In den vergangenen Monaten wurden neue Sozialausgaben in der Höhe von 1,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts versprochen, aber zwei Drittel dieser Versprechungen müssen aus den Regionalhaushalten finanziert werden. Die Regionen haben aber kein Geld für Putins Versprechungen. Also wird Putin in irgendeine Region fliegen, die regionalen Beamten bestrafen und Hilfe aus dem Bundeshaushalt mitbringen. Man muss anmerken, dass das billiger ist, als allen Geld zu geben.

Ein wenig erinnert das daran, wie die UNO den ärmsten afrikanischen Ländern hilft. Die Hilfe der UNO kommt aber, bei all ihrer Ineffektivität, von außen. Wladimir Putin dagegen nutzt, wenn er russischen Bürgern hilft, die Möglichkeiten des russischen Haushalts, die durch die Arbeit eben diese Bürger erst geschaffen werden. Nur faire Regeln dürfen diese Bürger nicht schaffen. Die Regeln, nach denen unsere gemeinsamen Ressourcen genutzt werden, müssen schlechte bleiben, damit der Held auf der Bühne erscheinen kann und beweisen, dass das ganze Land ohne ihn zum Opfer des von ihm geschaffenen Systems wird.