Lev Gudkov, Victor Zaslavsky: „Russland. Kein Weg aus dem kommunistischen Übergang"

Russland ist ein Star auf dem deutschen Büchermarkt. Es gibt
viele gute, viele schlechte, und viele nichtssagende Bücher über das Land,
Reise-Bücher, Geschichts-Bücher, Politik-Bücher und sogar Märchen-Bücher (da
fällt mir eine Sentenz aus Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ ein, in der
Ulrich, der Mann, über die Wissenschaft sinniert: „Und in der Wissenschaft geht
es so stark und schön und herrlich zu wie in einem Märchen“). In Berlins
zentralstem Buchladen, bei Dussmann in der Friedrichstraße, füllen
Russland-Bücher gleich zwei Regalborde. Kein anderes Land (außer Deutschland)
kommt da dran, selbst China nicht, auch wenn es aufholt.
 

Am 15. November um 19 Uhr wird in der Heinrich Böll Stiftung
in Berlin etwas sehr Seltenes vorgestellt: ein sehr gutes Buch mit dem Titel:
„Russland. Kein Weg aus dem kommunistischen Übergang“. Geschrieben haben es Victor
Zaslawski und Lew Gudkov.  Sie beschreiben darin Russlands Weg vom Aufbruch am Ende des
Kommunismus über die große Wirtschaftskrise 1998, den Aufstieg Putins und die
Krise von 2008 bis hin zur Präsidentschaft Medwedjews. Der erste Teil zeichnet
das Ende der Sowjetunion nach, das verbot der KPdSU, den Beginn der
Privatisierung und die Annahme einer demokratischen Verfassung 1993, das Ende
der Selbstisolation des Landes vom Rest der Welt und den Beginn der
Entmilitarisierung der Gesellschaft.   

Zaslavsky und Gudkov verschweigen oder beschönigen aber auch
nicht die Fehler und Schwierigkeiten dieser Transformation. Die drastischen
Kürzungen insbesondere der Finanzierung des in der Sowjetwirtschaft
dominierenden militärisch-industriellen Komplexes führten zu heftigen sozialen
und politischen Verwerfungen. Ab 1996 stützt sich Präsident Jelzin mehr und
mehr auf Menschen aus den alten Sicherheitsapparaten und der Armee, bis er den
KGB-Offizier Wladimir Putin zu seinem Nachfolger bestimmt.
 

Bei den Analysen der Zeit kommt dem Buch immer wieder sehr
erfrischend der nüchterne Bezug von auf die langjährigen Umfrageergebnisse und
Analysen des heute Levada-Zentrum genannten sozilogischen Forschungszentrums
zugute, das Lev Gudkov heute leitet. So kann mit vielen Mythen aufgeräumt und
ein so differenziertes Bild gezeichnet werden, wie ich es in einer
Überblicksarbeit noch nicht gelesen habe. Das setzt sich in der Analyse der
Putinschen Präsidentschaft fort: Zweiter Tschetschenienkrieg und der Aufstieg
Putins zum Hoffnungsträger für viele; der schrittweise, aber systematische Austausch
der Eliten; die anfangs vernünftigen Wirtschaftsreformen, die dann immer mehr
der Logik des Machterhalt weichen müssen; die zunehmende Verflechtung von
politischer und wirtschaftlicher Macht mit dem „Drama der ausbleibenden
Demokratisierung Russlands“.
 

Zaslavsky und Gudkov versuchen keine einfachen Antworten zu
geben. Sie verweisen darauf, dass es für einen „friedlichen Austritt aus
totalitären Systemen kaum Erfahrungswerte gibt“, es also wenig hilfreich sei,
die Probleme „mit vorgefassten Schemen“ 
anzugehen. Trotzdem wagen sie eine Einordnung. Das Putin-Regime könne
man als einen „weichen“ Autoritarismus bezeichnen. „Tatsächlich handelt es sich
weniger um einen autoritären Übergang 
als vielmehr um einen übergangslosen bürokratischen Autoritarimus“.
 

Das Buch endet mit einer luziden Analyse der Auswirkungen
der „Krise von 2008″, die zeigt, wie schlecht das doch so prosperierende Land
darauf vorbereitet war: „In keinem der 
G8- und BRIC-Staaten (…) ging das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2009 so
stark zurück wie in Russland“. Tatsächlich dank das BIP von 2008 auf 2009 um
fast 8 Prozent, die Industrieproduktion sogar um 15 Prozent. Und die Krise ist
längst nicht überwunden. In Russland zirkuliert vorwiegend „kurzfristiges
Risikokapital, das schnell Gewinne verspricht.“ Zwar ist der Staat weitgehend
schuldenfrei, aber Unternehmen und Banken, die meisten von ihnen in
Staatsbesitz oder unter staatlicher Kontrolle hatten Anfang 2008 rund 400
Milliarden Dollar Auslandsschulden.
 

Größtes Problem aber sei die „Günstlingswirtschaft, in der
wirtschaftlicher Erfolg vorwiegend vom Zugang zu „adminsitrativen Ressourcen“
anhängt, mit erratischen staatlichen Einmischungen, Preiskontrollen, Monopolen
und hohen Hürden für private und ausländische Investoren. Folge davon  seien „Monopolisierung, Beschränkung der
Konkurrenz und Ausrichtung der Aktivitäten auf maximalen Profit in kürzester
Zeit“.
 

Auch die Prognosen von Zaslavskiy und Gudkov sind nicht
beruhigend.  Dass sie ein wirtschaftlich
blühendes und politisch demokratisches Russland für in ansehbarer Zeit kaum
wahrscheinlich halten, überrascht nach dem bereits Gesagten nicht. Doch auch
katastrophischen Szenarien schreiben sie wenig Wahrscheinlichkeit zu. Das
sollte aber keine Beruhigung sein. Am wahrscheinlichsten sei „der Übergang zu
einer chronischen Krise, in der Phasen starker sozialer Spannungen mit
ruhigeren Phasen wechseln“. Diese Zyklen würden wohl künftig in immer kürzeren
Abständen aufeinander folgen. Und natürlich hänge auch alles vom Ölpreis ab.
 

Mehr und Genaueres darüber können Berliner, Kölner und ihnen
benachbarte und dort zu Gast Weilende von Lev Gudkov selbst am 15.11. um 19 Uhr
in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin
oder am 17.11. ebenfalls um 19 Uhr im
Lew-Kopelew-Forum in Köln
erfahren.     
 
  


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