Warum sowohl Russland als auch der Westen die Verhaftung von Julia Timoschenko verurteilen – und warum Janukowitsch mit beiden ein falsches Spiel spielt

In der
westlichen, insbesondere deutschen Berichterstattung wird die Verhaftung der
ehemaligen ukrainischen Premierministerin Julia Timoschenko vor allem als ein
weiterer Schritt der Ukraine unter Präsident Wiktor Janukowitsch Richtung
Moskau interpretiert. Als Beispiel mag der Artikel von Konrad Schuller in der
FAZ vom 11. August
dienen. Unter der Überschrift „Im Untersuchungsisolator“ (so
nennt man in der ehemaligen Sowjetunion wortwörtlich übersetzt die
Untersuchungsgefängnisse) beginnt der Artikel mit dem programmatischen Satz:
„Die Ukraine verwandelt sich in eine Halbdiktatur“. Soweit stimme ich zu.
 

Dann argumentiert
Schuller weiter, Russland setze die Ukraine unter Druck, sich zwischen der EU
und Russland, zu einer engeren auch institutionellen Anbindung an die EU oder
den Beitritt zur Zollunion zwischen Russland, Kasachstan und Belarus zu
entscheiden. Das stimmt auch, hat aber nichts mit der Festnahme von Timoschenko
zu tun. Und auch die autoritäre Entwicklung der Ukraine hängt mit russischem
Druck nur indirekt zusammen. Was Schuller nämlich nicht erwähnt (und auch in
anderen Artikeln in der deutschen Presse habe ich dazu kaum etwas gefunden, ist
der Ärger in Moskau über den Prozess gegen Timoschenko.
 

Nun hat dieser
Ärger nichts mit einer möglicherweise plötzlich im Kreml aufgetauchten Vorliebe
für rechtsstaatliche Gerichtsverfahren zu tun. Man hat es ja gerade mit Chodorkowskij
und anderen vorgemacht, wie Machterhalt mittels manipulierter Justiz funktioniert.
Hier nimmt sich Janukowitsch tatsächlich an Russland ein gefährliches Beispiel (und
es steht zu befürchten, dass auch andere Potentaten hier genau hinschauen und
ihre Machterhaltungstechniken zu verfeinern suchen werden). Was Moskau stört
ist der Inhalt der Anklage gegen Timoschenko. Denn hier geht es (unter anderem)
um das ukrainisch-russische Gasgeschäft. Es besteht die Angst, dass mit einer
Verurteilung von Timoschenko auch die geltenden, für die russische Seite
durchaus nicht ungünstigen Bedingungen der Gaslieferungen von Russland an die
Ukraine geändert werden könnten.
 

Diesen Verträgen
gemäß fordert Russland für das nächste Jahr erneut höhere Preise. Höhere
Gaspreise kommen dem ukrainischen Präsidenten aber durchaus ungelegen. Sein
immer noch durch die Finanzkrise geschwächtes Land kann sich höhere
Energieausgaben kaum leisten, ohne weitere soziale Verwerfungen befürchten zu
müssen. So könnte das harte Vorgehen gegen Timoschenko gleich mehrere Gründe
haben.
 

Zum einen, siehe
oben, die eigene Macht gegen die Fährnisse eines demokratischen Machtwechsels
abzusichern. Putins und Medwedjews Russland ist hier Vorbild. Zum zweiten den
Russen im Streit um den künftigen Gaspreis zu zeigen, dass man, sollten die russischen
Forderungen zu groß und zu energisch sein, auch gleich die Grundlage des Gasdeals
in Frage stellen könnte.
 

Der dritte Grund
dürfte wieder ein eher innenpolitischer sein. Es ist ein unschöner, aber
bekannter Usus in diesem Teil Europas, dass diejenigen, die solche Geschäfte
abschließen, auch davon profitieren. Dieser Profit dürfte bisher Timoschenko oder
ihr politisch nahestehenden Menschen zufließen und nicht unerheblich zu ihren
politischen Möglichkeiten beitragen. Sie auch hier zu schwächen und diese
Geldströme ins eigene Lager umzulenken kann Janukowitsch nur Recht sein.
 

Zusammengefasst
haben die Festnahme von Timoschenko und der Prozess gegen sie also nur insofern
etwas mit den Bestrebungen der russischen Führung, die Ukraine wieder fester in
ihren Orbit zu bringen, zu tun, als sich Janukowitsch die autoritären
russischen Machtechniken zum Vorbild nimmt. Damit mag er die Ukraine ein
weiteres kleines Stück von der EU entfernt haben. Grundsätzlich bleibt er aber
im Korridor der ukrainischer Außenpolitik der vergangenen 20 Jahre (die
Amtszeit Wiktor Juschtschenkos einmal ausgenommen): Sich weder an Russland noch
an die EU zu eng anzubinden, um so Eigenständigkeit zu wahren.
 

Und diese Eigenständigkeit
meint nicht nur die Souveränität des Landes, sondern auch die Souveränität der
jeweils Herrschenden. Denn die EU könnte bei enger Anbindung über die eingeforderten
demokratischen Regeln Machtwechsel erzwingen, Russland hingegen, sollte das
Korrektiv EU auf der anderen Seite fehlen, „seine“ Interessen und Leute
durchzusetzen versuchen.
 

Ich bin ziemlich sicher, dass
in Kürze das in Vorbereitung befindliche Wirtschaftabkommen zwischen der
Ukraine und der EU abgeschlossen werden wird (die Rede war bisher vom Ende
dieses Jahres), sollte die EU die Timoschenko-Verhaftung nicht zum Anlass
nehmen, ihre Zustimmung noch einmal zu überdenken. Und ich bin gar nicht
sicher, wie sich einem weiteren Abgleiten der Ukraine in einen „Autoritarismus
a la Russe“ mit mehr Aussicht auf Erfolg begegnen ließe: Mit der Drohung, das
Abkommen nicht abzuschließen oder umgekehrt gerade mit dem Abschluss des Abkommens,
was wohl einen Beitritt zur russisch-kasachisch-belarussischen Zollunion
verhindern würde. Solange Russland und die EU so intensiv um die Ukraine
konkurrieren, hat Janukowitsch leider keine schlechten Karten mit seinem
schlechten Spiel durchzukommen.  
 
     
 
  
   
  


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