Leider spielten die bevorstehenden Wahlen in Russland (im Dezember zur Staatsduma und im März darauf dann die Präsidentenwahl) beim gerade zu Ende gegangenen Petersburger Dialog in Wolfburg und Hannover keine Rolle. Die meist handverlesenen russischen TeilnehmerInnen hatten wenig Bedürfnis darüber zu sprechen. Viele der ihrer deutschen GesprächspartnerInnen ziehen, wie Dialoigsvorsitzender Lothar de Maiziere im Vorfeld erneut ausdrücklich betont hat, es prinzipiell vor, „heikle Fragen“ nicht anzusprechen. Man könnte die RussInnen (sprich: deren unheimliche Führer) ja vergrätzen.
(Nun war es eben dieser de Maiziere, der offenbar an führender Stelle mit dem Versuch Putin den Quadriga.Preis zu geben, den ungeschickten Anlass gab, diesen „Freund Deutschlands“ wirklich zu verärgern. Putin bewahrt einstweilen die Ruhe. Doch gilt er als Mann mit langem Gedächtnis, der sich insbesondere seiner Nicht-Freunde sehr lange erinnert. Wir werden sehen.)
Eigentlich war es vorgesehen, dass Marieluise Beck, Bundestagsabgeordnete der Grünen, beim Abschlussplenum des Petersburger Dialogs in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Dmitrij Medwedjew von der Versammlungsleitung Gelegenheit gegeben werden sollte, einige Anmerkungen zur Frage der Rechtsstaatlichkeit in Russland (u.a. zu den Fällen Chodorkowskij und Magnizkij) und den kommen Wahlen Stellung zu nehmen. Doch sie bekam nicht das Wort.
Auch aus diesem Grunde dokumentiere ich hier eine Erklärung zu letzterem Thema:
„Freie und faire Wahlen sind ein grundlegender Bestandteil einer
Demokratie. Freie und faire Wahlen erfordern, dass
– die Beteiligung an den Wahlen nicht durch bürokratische
und politische Hindernisse verstellt wird,
– alle Parteien gleichberechtigten Zugang zu den
Massenmedien, insbesondere zum Fernsehen, haben,
– der gesamte Wahlverlauf, von der Registrierung über den
Wahlkampf bis zur Auszählung der Stimmen, transparent ist und die Einhaltung
der für alle geltenden Regeln gewährleistet wird.
Russland erkennt diese Grundsätze in seiner Verfassung sowie durch seine
Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, dem Europarat und der OSZE an; es hat
sich der Geltung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte unterworfen und die
Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert.
Allerdings sieht das russische Parteiengesetz hohe Hürden für die Zulassung zu
Wahlen vor, die vom Europäischen Menschengerichtshof in seinem Urteil über die
versagte Umregistrierung der Republikanischen Partei Russlands gerügt wurden. Diese
Regelungen geben der Administration breiten Spielraum, auf das politische Leben
auf allen staatlichen Ebenen Einfluss zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund erfüllt uns die Nichtzulassung der „Partei der
Volksfreiheit“ durch das russische Justizministerium mit der Sorge, dass
die bevorstehenden Dumawahlen erneut den von Russland anerkannten
demokratischen Standards nicht entsprechen werden. Damit werden insbesondere
liberaldemokratische Kräfte weiterhin aus dem Parlament heraus gehalten und die
Formierung einer demokratischen Opposition in Russland verhindert.
Wir erwarten, dass
– alle Kandidaten und Parteien im Vorfeld der Dumawahlen
im Dezember 2011 im Einklang mit den von Russland als Mitglied des Europarats
und der OSZE akzeptierten Normen fair und gleich behandelt werden,
– die Hürden für die Registrierung neuer Parteien gesenkt
werden, um gleiche Bedingungen für alle Kandidaten und Parteien im Wahlkampf zu
sichern,
– allen Parteien und Kandidaten ungehinderter Zugang zu
Rundfunk und Fernsehen garantiert wird,
– die russischen Behörden internationale
Wahlbeobachtungsmissionen (insbesondere der OSZE) zu einem frühen Zeitpunkt des
Wahlkampfs zulassen,
– die russische Regierung eine Überwachung der Wahlen
auch durch unabhängige, nicht parteigebundene Organisationen der russischen
Zivilgesellschaft zulässt.“
Unterzeichner der Erklärung:
Marieluise Beck, MdB, Bündnis 90/Die Grünen
Ralf Fücks, Vorstand, Heinrich-Böll-Stiftung
Stefan Melle, Deutsch Russischer Austausch
Stefanie Schiffer, Europäischer Austausch
Jens Siegert, Heinrich-Böll-Stiftung Moskau
Peter Franck, Teilnehmer des „Petersburger
Dialogs“
Uta Gerlant, Teilnehmerin des „Petersburger Dialogs“
Barbara von Freytag