Deutscher Atommüll nach Rusland statt nach Gorleben? Wohl eher unwahrscheinlich

Mit Erstaunen blickt man in Russland auf den deutschen Furor rund um die Castortransporte von Le Hague nach Gorleben. Das Erstaunen hat drei Seiten. Zum einen wirkt hierzulande die Heftigkeit der Auseinadersetzung um einen, wie man das hier größtenteils sieht, doch eher harmlosen Bahntransport zumindest irritierend. Den Deutschen muss es schon ziemlich gut gehen, wenn das ihre wichtigsten Probleme sind. Zum zweiten verstehen zumindest die Medien gar nicht, wieso der deutsche Staat mit seinen polizisten so zögerlich gegen „Chaoten und Gewalttäter“ vorgeht. Solcherlei Zeremonien sind die russischen milizionären Sondereinsatztruppen (russisch: OMON) nicht verdächtig.  Zum dritten bleibt dem normalen russischen Beobachter schleierhaft, woher in Deutschland plötzlich dieser Austand gegen den Staat kommt. Schon auf Stuttgart 21 weiß man sich hierzulande keinen Reim zu machen.

Seltsamerweise spielt die jüngst wieder aufgeflammte Diskussion in Deutschland über tatsächlich, geplante oder künftig vielleicht mögliche Atommüllexporte nach Russland keine Rolle. Auch das dürfte mehr als einen Grund haben. Da ist erst einmal die zwar bedauernswerte aber höchst reale Tatsache (das war jetzt wohl eine Tautologie, wenn auch eine notwendige), dass Atomtransporte in Russland kaum jemanden aufregen, ein paar Antiatomaktivisten einmal abgesehen. Mit den damit verbundenen Risiken gehen die meisten Menschen um, wie mit den vielen anderen Risiken (Alkohol, Verkehr, Verbrechen), die das Leben hier so mit sich bringt: Sie ziehen es vor, sie zu ignorieren. Das ist nur teilweise, als bei den Risiken, die man selbst beinflussen kann, unvernünftig.

Zu den unbeeinflussbaren Risiken gehören (zumindest aus Sicht der meisten Menschen unbeeinflussbar) sowohl politische Entscheidungen als auch die Einhaltung bestehender Gesetze. Insofern müsste die deutsche Atommüllexportdiskussion in Russland eigentlich beunruhigen. Auch die bisherige Erfahrung zeigt, dass es da vielerlei Möglichkeiten gibt, auch am bestehenden, gesetzlich verankerten Importverbot vorbei. Als Beispiel mag der seit einigen Jahren immer wieder stattfindende Transport von abgebrannten Brennelementen aus dem westfälischen Ahaus in die Atomfabrik Majak bei Tscheljabinsk am Ural dienen. Offiziell wird der strahelende Müll in den Ural geschafft, um ihn dort unschädlich zu machen und wieder zurück nach Deutschland zu schicken. Tatsächlich aber bleiben bei diesen industriellen Prozessen aber bis zu 90 Prozent des strahlenden Zeugs in Russland, nur 10 Prozent gehen zurück. Ein verdeckter Atommüllexport also. Unter öffentlichem Druck von Antiatomorganisationen aus Deutschland und Russland wird diese Praxis bald eingestellt werden, offiziell wegen auslaufenden Verträge.

Etwas anders verhält, wenn auch hier nicht ganz klar, es sich mit dem jüngst in Deutschland kritisierten Transport von Atommüll aus alten DDR-Reaktoren nach Russland, auch diese Stoffe lagern in Ahaus. Dieser Müll gehört wohl Russland, obwohl das umstritten ist. Auf jeden Fall finden diese Transporte unter einem US-amerikanisch-russischen Abkommen vom Beginn der 1990er Jahre statt. In dem Vertrag geht es vor allem darum, das sowjetische Nuklearstoffe nicht irgendwo herrenlos bleiben und womöglich in die falschen Hände geraten. Zwar mag diese Gefahr in Deutschland geringer sein als anderswo. Doch auf solche unnötigen und aus ihrer Sicht risikobehafteten Spitzfindigkeiten wollten sich die US-Amerikaner damals nicht einlassen.

Bleibt noch die vor allem durch CSU-Politiker angesichts der Auseinadersetzungen um Gorleben und der Angst, auch Bayern könnte bei der Endlagersuche erneut ins Visier geraten, erneut ins Spiel gebrachte Möglichkeit, den gesamten deutschen Atommüll doch lieber woanders und nicht im schönen Vaterlande zu verscharren. Wohl wegen der angenommenen (wie oben beschrieben, nicht ganz grundlos) Sorg- und Ruchlosigkeit und sicher auch wegen der aus dichtbesiedelter deutscher Sicht schieren Unendlichkeit des Landes kam fast schon natürlicherweise als Ziel- und Sehnsuchtsort Russland in den Sinn. Doch abgesehen von meiner großen Hoffnung, dass solches in Deutschland politisch nicht (mehr) durchsetzbar ist, unterschätzt dieser romantische Blick nach Osten des Realitätsinn der in Russland Herrschenden und die Leidesnfähigkeit derer, die sich beherrscht meinen. Ein paar Transporte unter Umgehung der russischen Gesetze? Kein Problem! Aber der Dreck eines ganzen Landes und sei es auch ein noch so bewundertes (sic!) wie Deutschland? Das dann doch lieber nicht.


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