Russland glüht, aber vom Klimawandel redet niemand

Ja, ich weiß. Vom aktuellen Wetter, und sei es auch noch so extrem, auf klimatische Veränderungen zu schließen, in unseriös. Und es stimmt. Der vergangenen Winter war ungewöhnlich kalt im europäischen Teil Russlands. Der Sommer ist nun schon seit fünf-sechs Wochen einfach nur noch ein Qual. Das Land brennt. Ich sitze hier in Moskau zu Hause in meiner Wohnung und in die Nase beißt der stechende Rauch von den Torffeuern aus dem Moskauer Umland. Am Lagerfeuer oder beim Schaschlyk-Grillen auf der Datscha mag das romantisch sein. Im Moskauer Stadtzentrum kratzt der Hals und brummt der Kopf. Zudem ist es kurz vor elf Uhr abends und das Thermometer zeigt immer noch mehr als 30 Grad an. So geht es nun schon seit Wochen und ein Ende ist nicht in Sicht.

 Doch zurück zum Klimawandel. Von ihm und den vorherrschenden russischen Meinungen darüber (herrschenden und untertänigen) war in diesem Blog schon öfter die Rede (z.B. aus Anlass der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen im vorigen Dezember oder allgemeiner im Frühjahr 2009 über „Russland und das Klima“). Da dachte ich, schreib doch mal darüber, was dazu angesichts der aktuellen Hitze und Waldbrände, der abgekokelten Dörfer und leidenden Menschen in der russischen Presse geschrieben wird.

Zu meiner Verblüffung ist das Ergebnis der Google-Suche unter den Stichworten „изменение климата“ (Klimawandel) und „глобальное потепление“ (globale Erwärmung), den beiden im russischen eingeführten Begriffen für das Phänomen, äußerst dürftig. Beide geben vor allem die „einschlägig verdächtigen“ Seiten wieder: von Umweltgruppen, der UNO, Wikipedia und von vielen wissenschaftlichen und spezialisierten Webseiten, die auch meist mit ausländischem und internationalem Geld von einer kleinen Gruppe Unentwegter auf Russisch betrieben werden (wie www.potoplene.ru oder www.climatechange.ru).

Immerhin stoße ich auf eine Meldung der staatlichen Nachrichtenagentur RIA-Novosti vom 15. Juli (die Hitze stand da schon einen guten Monat) in der sich der Minister für Naturressourcen und Ökologie Jurij Trutnjew zum Klimawandel äußert. Schon die Überschrift macht aber ein wenig stutzig: „Die Folgen der Erderwärmung werden die Menschen im Jahr 2030 spüren“ wird der Minister als Headline zitiert. Nicht ganz klar ist mir, ob das nun ein Anlass zu leichtem Optimismus oder tiefer Trauer ist. Optimistisch könnte stimmen, dass der zuständige Minister, bisher nicht als Vorkämpfer an der Klimafront bekannt, ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass es den Klimwandel gibt. Ein schneller Blick in den Text gibt aber sogleich Entwarnung. Trutnjew bezweifelt schon in seinem ersten Satz den anthropogenen Charakter des Klimawandels und zitiert die aktuelle (oder vielleicht auch schon nicht mehr so aktuelle) Verteidigungslinie der Klimaskeptiker: Alles Natur. Also doch tiefe Trauer.

Auf eine Website aber ist wie immer Verlass. InoPresse.ru übersetzt Webartikel aus allerlei Sprachen ins Russische. Und so dürfen sich auch russische LeserInnen mit dem Time-Magazin fragen, ob „die Hitzewelle Russlands Klimazweifel beenden wird„? Und die Frankfurter Rundschau erfreut nicht nur die deutschen LeserInnen mit den Obskuritäten des russischen Wissenschaftslebens, indem sie über einen Artikel bei der eben schon zitierte staatliche RIA-Novosti berichtet. Dort erklärt ein Adrej Areschew, Vorsitzender einer „Stiftung für politische Kultur“, was die gegenwärtige Hitzewelle ausgelöst habe und damit für die befürchteten Ernteausfälle zu verantworten habe: die USA. Das sei nämlich alles Folge eine US-amerikanischen Weltraumsprogramms, das in den 1970er Jahren vom damaligen Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski ausgedacht worden sei. Auch mein Hirn ist dem Schmelzpunkt inzwischen sehr nahe.


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