Der Rücktritt von Ella Pamfilowa, der Vorsitzenden des (unaussprechlichen) „Rates zur Mitwirkung an der Entwicklung der Institute von Zivilgesellschaft und Menschenrechten beim Präsidenten der RF“, ist ein ernstes Problem für russische NGOs. Wie auch die Heinrich Böll Stiftung in einer Erklärung anerkennt, hat sie „in ihrer Funktion (…) eine große Bedeutung für die russische Zivilgesellschaft gehabt“. Das ist echtes Understatement in Erklärungssprache. Ella Pamfilowa war ein Brücke, ein Kommunikationskanal, eine Institution. Sie hat mit ihrer persönlichen Integrität wesentlich dazu beigetragen, den Gesprächs- und manchmal auch den Kooperationsfaden zwischen Kreml und kritischen NGOs nicht soweit dehnen zu lassen, dass er riss.
Dabei gab es fast immer Kritik von vielen Seiten. Radikaleren Oppositionären schien Ella Pamfilowa oft als verlängerter Arm des Kremls. Putin-Anhänger kritisierten vor allem in den vergangenen Jahren, sie schütze „radikale Kräfte“ (so heute Abend im russischen Fernsehen Sergej Markow, Dumaabgeordneter der Kremlpartei „Einiges Russland“ und immer forsch dreinschlagend voraus, wenn es gegen die von Putin vorgegebene Staatslinie geht). Diese Position im Kreuzfeuer, es wenigend Recht machen könnend und selten Lob bekommend, dürfte Ella Pamfilowa letztlich zermürbt haben. Ihr Rücktritt kommt nicht völlig überraschend. Schon seit einiger Zeit klagte sie über zu viele, auch persönliche Angriffe und zu wenige, die sich auch öffentlich für sie einsetzten.
Dabei gab sie selbst in den vergangenen Jahren ihre zuvor öffentlich eher zurückhaltende Position auf und kritisierte immer offener auch dem Kreml Nahestehende. Besonders nahm sie sich dabei die immer mindestens bis an den Rand der Anständigkeit, oft auch darüber hinaus gehenden Aktionen der Putin.-Jugend „Naschi“ (deutsch: „Die Unsrigen“). So stellte sich Ella Pamfilowa vor den Menschenrechtler Alexander Podrabinjek im Streit um die Bezeichnung einer Imbissbude in Moskau, der „Antisowjetskaja“. Sie kritisierte auch die wiederholten Verbote der Demonstrationen zur Verteidigung des Demonstrationsrecht an jedem 31. eines Monats durch die Moskauer Behörden und das harte Vorgehen der Polizei beim Auflösen der verbotenen Versammlungen.
Doch der Pamfilowa-Rat und Ella Pamfilowa halfen auch oft durch direkten Draht in die Präsidentenadministration. Dabei ging es oft darum, dass BürgerInnen oder NGOs sich gegen Behördenwillkür zur Wehr setzten. Nur einen von vielen Beispielen: Mehrere Jahre versuchte das dagestanische Innenministerium dem „Wohltätigen Krankenhaus für Frauen“ das ihnen 1992 zur Verfügung gestellte Gebäude im Zentrum der dagestanischen Hauptstadt Machatschkala wieder fortzunehmen. Die Initiative hatte das Haus seit Anfang der 1990er Jahre mit großem Aufand zu einem Krankenhaus umgebaut, in dem vor allem Frauen aus den armen, ländlichen Bergregionen Dagestans kostenlose medizinische Hilfe bekommen konnte. Auf dem Höhepunkt des Streits fuhr Ella Pamfilowa persönlich nach Machatschkala, ertrotzte sich eine Audienz beim Republikspräsidenten und erreichte, dass die schon begonnene Räumung abgebrochen und der Initiative ein halbes Jahr später ein Ersatzgebäude zur verfügung gestellt wurde.
Angesichts überbordender Staatswillkür, wuchernder Korruption und korrupter Gerichte, können solche Institutionen und Menschen nicht hoch genug bewertet werden. Vor allem dann, wenn sie nicht nur Gutes tun, sondern auch immer wieder prinzipielle Reformen einfordern.
Doch der politische Wert des Rates liegt noch in einem anderen Bereich. Er ist schon langer einer der letzten noch funktionierenden Kommunikations- und Kooperationskanäle zwischen Macht und Opposition. Natürlich dient er dabei auch als Feigenblatt des Kremls, der gern auf den Rat verweist, wenn es Kritik an fehlender Mitsprache und Demokratie gibt. Aber er ist auch eine Möglichkeit, Inititiativen an der Verwaltung vorbei zu den hächsten Enmtscheidungsträgern zu bringen. Er zeigt auf symbolische Weise, dass die oft gescholtenen NGOs „daz gehören“, also nicht Freiwild sind. Vor allem aber ist er ein Ort, in dem immer mal wieder Kompromisse ausgearbeitet werden können.
Dabei sind sich die Beteiligten, also sowohl Ella Pamfilowa als auch die kritischen NGO-Mitglieder des Rats im Klaren, dass dieses Instrument eine begrenzte Reichweite hat. Prinzipielle Änderungen an der „gelenkten Demokratie“ sind durch und über den Rat nicht möglich. Er ist, so gesehen, eher ein taktisches als ein strategisches Mittel. Aber eben eine Möglichkeit, die Freiheitsräume, die es noch gibt, zu verteidigen, sie vielleicht sogar ein wenig auszuweiten. Das setzt natürlich die Analyse voraus, dass es nicht erst schlechter werden muss, damit es irgendwann einmal besser werden kann, dass man die Bevölkerung nicht mit Untergangsszenarien überzeugt, sondern mit guter Arbeit und konkreter Hilfe bei ihren Anliegen.
Deshalb wäre es schlecht, wenn der Rat, nun da seine Gründungsvorsitzende geht, aufgelöst würde. Das scheint, soweit zu hören, nicht im Sinn von Präsident Medwedjew zu sein, der den Rat gerade erst im März 2009 erneuert und mit noch mehr kritischen NGO-VertreterInnen besetzt hat. Das war damals als eines seiner „liberalen Signale“ aufgefasst worden. Eine Auflösung würde allgemein als ein Signal in die entgegengesetzte Richtung aufgefasst. Das kann Medwedjew angesichts der gegenwärtigen Modernisierungsanstrengungen, die er in einer Rede vor russischen Botschaftern unlängst mit einer verstärkten Zusammenarbeit mit der EU und den USA verbunden hat, kaum wollen.
Das Problem wird sein, eine(n) geeignete(n) NachfolgerIn zu finden. Diese Person bräuchte die gleiche Integrität wie Ella Pamfilowa, politisches Geschick, vor allem aber enorme Standfestigkeit. Zudem müsste sie sowohl Richtung Opposition als auch Richtung Macht ausreichend persönliche Autorität und Anerkennung besitzen. Ella Pamfilowa hat Alexander Ausan vorgeschlagen, den Vorsitzenden des Instituts Nationales Projekt „Gesellschaftsvertrag“. Außerdem steht er der Assoziation der Unabhэngigen Zentren für Wirtschaftsanalyse vor, ist Wirstchaftsprofesseor an der Moskauer Staatsuniversität und war nach der Gründung mehr als zehn Jahre Präsident der Konföderation der Verbraucherschutzgesellschaften Russlands. Alexander Ausan besitzt all die oben beschriebenen Eigenschaften. Allerdings war seine bisherige Rolle eher die des obersten Verhandlers auf NGO-Seite. Er ist kein „Radikaler“ (im Kremljargon), aber ein Staatsskeptiker. Aus meiner Sicht ist Staatsskepsis eine der hervorragenden Eigenschaften für Positionen in einem Staat. Ob das Medwedjew und seine Berater auch so denken, scheint mir zweifelhaft.