Konferenz "Russische Alternativen" (Chodorkowskij-Lesungen) – Hoffnungslosigkeit der Hoffnungslosen

Mein Blog hat einen Zähler, einen ungenauen zwar (wie mein Verdacht ist), aber immerhin so eine Stelle, an der man ablesen kann, wie oft der eine oder andere Blogeintrag „angeklickt“ wurde (ob auch gelesen, bleibt dabei natürlich und glücklicherweise für alle InternetnutzerInnen im Dunkeln). Ich vermute, alle Blogs haben so ein Ding. Auch wenn die absoluten Zahlen nicht stimmen mögen, so geben sie doch, wenn vergleichsweise hoch oder eher niedrig, eine Idee davon, was mehr interessiert und was weniger, welche Wörter in der Überschrift das Google-Rating verbessern helfen und welche eben nicht. „Chodorkowskij“ geht am schlechtesten! Ich weiß nicht genau, woran das liegt. Wohl eher nicht an den Texten. Die sehen Besucher ja erst, nachdem die Zählmaschine klick gemacht hat. Also an Chodorkowskij.

Nun kann ich verstehen, dass ein ehemaligen Milliardär vor Gericht, der zudem sein Vermögen schnell und in undurchsichtigen, um nicht zu sagen zweifelhaften Zeiten gemacht hat, so manche Sympathiepunktabzüge verkraften muss. Auch lassen sich meine Eindrücke aus dem Chamowniki-Kreisgericht in Moskau wohl kaum mit den Gerichtsreportagen von, sagen wir mal, Gisela Friedrichsen vergleichen. Ich kann's trotzdem nicht lassen, weil (und mit dieser Einschätzung stehe ich glücklicherweise nicht ganz allein!) der Prozess gegen Michail chodorkowskij und Platon Lebedew erstens ein politischer ist. Weil zweitens die Verhaftung Chodorkowkijs ein entscheidender Markpunkt in der jüngsten russischen Geschichte ist. Und weil drittens der Ausgang des jetzigen Prozesses (oder seine weitere Verschleppung) tiefere Schlüsse auf die gegenwärtig etwas verborgenen politischen Prozesse in Putin-Medwedjew-Land zulässt.

Das jüngste Signal gab Wladimir Putin erst vorigen Donnerstag in seinem vierstündigen und wohlinszenierten Frage-und-Antwort-Marathon (Transskript auf Englisch) im russischen Fernsehen. Wie zufällig schlich sich eine Frage nach der möglichen Freilassung Chodorkowskijs in den Fragenkatalog. Erst informierte Putin das Publikum, dass mit den Verkaufserlösen des Chodorkowskij-Konzerns JuKOS in großem Umfang Sozialwohnungen gebaut worden seien. Danach zeigte er seinem ständig den Aufbau eines russischen Rechtsstaats fordernden Präsidenten Dmitrij Medwedjew, was eine Harke ist. Ein damaliger Untergebener Chodorkowskijs sei wengen fünf Morden zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Dafür sei auch der ebenfalls einsitzende Chef verantwortlich. Chodorkowskij ist zwar wegen Steuerhinterziehung in einem zweifelhaften Verfahren zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt und ihm wird gegenwärtig wegen angeblichen Diebstahls von mehreren Dutzend Milliarden US-Dollar der Prozess gemacht. Wegen Mordes wurde aber offiziell nie gegen ihn ermittelt, geschweige denn wurde er deswegen angeklagt oder verurteilt.

Soweit dieser kleine Exkurs. Nun zum in der Überschrift Angekündigten:

Heute trafen sich in Moskau rund 150 Oppositionelle – Intellektuelle, politische AktivistInnen, NGOlerInnen – zur fünften Konferenz „Russische Alternativen“ (auch „Chodorkowskij-Lesungen“ genannt). Einlader sind bereits seit vier Jahren Memorial, das Institut Nationales Projekt Gesellschaftsvertrag und die Stiftung „Informatika für Demokratie“ (INDEM). Thema heute waren „Wesen und Ressourcen des Regimes“. Ich möchte hier nicht näher auf die sehr interessanten Vorträge und Diskussionen eingehen (Skripte der Vorträge werden bis zum Ende der Woche auf der Website von Memorial zugänglich sein, eine Abschrift der Diskussion in einigen Wochen). Auffallend war, vor allem im Vergleich zur vierten Konferenz Ende Mai diesen Jahres, das Ende fast jeder Hoffnung, Medwedjew könnte es anders machen als Putin. Auch die im Frühjahr noch oft gehörte Vermutung, die Krise werde die herrschende politische Elite zwingen, sich zu öffnen und das Land zu modernisieren, ist verschwunden. Die entsprechende Medwedjewsche Rhetorik wirkt nicht mehr, nicht einmal mehr als taktischer Ansatzpunkt, auch wenn man dem Mann selbst nicht glaubt (oder nichts zutraut).

Hingegen war durchaus widerwillige Anerkennung zu vernehmen, wie sich Kreml und Weißes Haus in der Krise auf das offensichtlich Wesentliche, das verauseilende (oder, aus anderer Perspektive, vorausschauende) Ersticken jedes möglichen sozialen Protestes mit viel Geld, oft mehr als vor der Krise, trotz oder wohl eher wegen der wirtschaftlichen Talfahrt. Nennenswerten politischen Protest erwartet ohnehin kaum jemand (ob nun an der Macht oder in der Opposition). Georgij Satarow, Präsident von INDEM, nannte entsprechend als eine der Haupteigenschaften des gegenwärtigen politischen Regimes ein allumfassendes und sogar kleinliches Kontrollbedürfnis, das bisher nicht präventiv sondern meist sogar präemptiv zu handeln in der Lage ist. Angesichts seiner in fast allen Vorträgen ausgezeichnet herausgearbeiteten Schwächen sind das schlechte Aussichten.


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