Wie man es mit Russland halten soll, ist eine, vielleicht gar die außenpolitische Schlüsselfrage für die EU und auch für die NATO. Für die EU wird sich am Erfolg der Russlandpolitk erweisen, ob es überhaupt eine nennenswerte (und damit wichtige) gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) geben wird (oder: geben kann). Für die NATO ist ein geklärtes oder zumindest nicht allzu konfliktvolles Verhältnis zu Russland Prüfstein für die Zukunftsfähigkeit. Wegen vieler Doppelmitgliedschaften überschneiden sich diese beiden Fragen natürlich. Ich werde in meinem Blog versuchen, in lockerer Reihe zur westlichen Russlandpolitik mir interessant scheindende Gedanken, Texte und Ereignisse vorzustellen und zu kommentieren. Heute soll mit Dmitrij Trenin der Anfang gemacht werden.
Trenin, ein Russe und seit Dezember Direktor des Carnegie Moscow Centers, also eines US-amerikanischen Think Tanks in Russland, versucht seit langem die Balance zwischen nüchterner Kritik an der russischen Außenpolitik mit dem Rat Richtung Westen zu verbinden, sich durch die oft harsche bis herrische Art russischer Politiker nicht von den in ihren Aussagen und Forderungen auch wieder findenden legitimen russischen Interessen ablenken zu lassen. Die gegenwärtige Krise, so Trenin in einem unlängst in der Moscow Times erschienenen Artikel, zeige der russichen Führung, dass das Land doch nicht so stark sei, wie sie vor allem nach dem Georgienkrieg dachte. Russland sei nicht China. Es sei nicht groß genug und von Europa nicht verschieden genug, um ein ganz eigenes Machtzentrum aufzubauen. Aus vielen Gründen könnten sich die russischen Politiker zwar nicht entscheiden, Freund des Westens zu sein, aber sie verstünden, dass das Land es sich gleichzeitig nicht leisten könne, den Westen zum Feind zu haben.
Europa (und auch die USA) haben ein eigenes vitales Interesse, an guten Beziehungen mit Russland. Nicht um jeden Preis. Aber der Preis für schlechte Beziehungen ist hoch. Das müsse sich auch institutionell ausdrücken. Trenin: „Europe will missing peace, if the missing piece Russia is not included“. Ansonsten könne Russland zu einem ähnlich großen Problem für den Frieden in Europa werden, wie Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das wird ein schweres Stück Arbeit. Oder anders ausgedrückt: Ohne Russland gibt es keine Sicherheit in Europa. Mit Russland wird die Sicherheit in Europa für lange Zeit nicht sicher sein. Schön, dass die neue US-Administration das erkannt zu haben scheint. Beim ersten Treffen zwischen Obama und Medwedjew Anfang nächster Woche soll ein neuer Anfang für die Begrunzung strategischer Atomraketen gemacht werden.
Artikel von Dmitrij Trenin auf der Website der Heinrich Böll Stiftung: Die einsame Weltmacht Russland