Trägheit siegt – leider

Vor zwei Jahren schrieb eine kleine Gruppe von russischen Wirtschaftswissenschaftlern, die sich SIGMA nennt, ein „Manifest“ mit dem Titel „Koalition für die Zukunft“ (www.sigma-econ.ru). Darin entwickelten sie vier mögliche Entwicklungsszenarien für ihr Land: Leben von der Rohstoffrente, Mobilisierung, Trägheit und Modernisierung. Das Rohstoffszenarium ist durch den Einbruch der Ölpreise fürs erste wohl obsolet geworden. Mobilisierung als Ersatz von Modernisierung, so gut sie im vergangenen Sommer im Georgienkrieg gewirkt hat, wäre ein riskanter Weg, weil die gegenwärtige politische Elite vom damit entfachten Sturm leicht selbst hinweggefegt werden könnte. Zu einer druchgreifenden Modernisierung, zu der nicht nur „westliche“ Managementmethoden, sondern auch mehr individueller und politischer freiraum gehören müssten, war das herrschende Regime bisher in der Lage oder schlicht nicht bereit. Denn auch dieser Weg wäre ein Gefährdung der eigenen Macht (und Herrlichkeit). Bliebe das Trägheitsszenarium, sich also so durchzuwurschteln, wie es eben geht.

Nun zeichnet sich auch die russische Regierung unter Putin gegenwärtig nicht durch Untätigkeit aus. Unermüdlich kämpft sie, medial gut begleitet, gegen die Krise. Glaubt man Putin, tut sie sogar mehr als anderswo. Immer mehr Geld aus den unterschiedlichen Staatsreserven wird in die immer weiter gähnenden Löcher gestopft. Heute erst „brach er das Siegel“, wie es so schön im Russischen heißt, vom staatlichen Reservefond und fügte dem Staatshaushalt für das erste Halbjahr 2009 1,6 zusätzliche Billionen Rubel (rund 35 Milliarden Euro) hinzu. Ob das reicht, weiß niemand. Eher nicht, warnt Finanzminister Alexej Kudrin, der das Anfang des Jahres prognostizierte Haushaltdefizit von 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ebenfalls heute als „eher optimistisch“ bezeichnete. Präsident Dmitrij Medwedjew bekannte gesten Abendim Fernsehen, dass die offizielle Arbeitslosenzahl mit etwas über zwei Millionen stark geschönt sei. Nach den Kriterien der internationalen Arbeitsorganisation in Genf (ILO) sind es schon mehr als 6 Millionen.

Soweit ist das alles nicht schön, aber auch nicht sonderlich ungewöhnlich. Anderswo auf der Welt wachsen die Defizite und die Arbeitslosenzahlen ähnlich schnell. Und nur wenige Länder haben ein so großes Polster wie die in den vergangenen fetten acht Jahren angesparten Öl- und Gasmilliarden Russlands. Doch das vergangene habe jahr hat gezeigt, auf welch öligem Treibsand das russische „Wirtschaftswunder“ der vergangenen Jahre gebaut war. Kaum ging der Ölpreis in den Keller und kaum zog ausländisches Kapital in erheblichen Mengen ab, ging es rasant nach unten. Das russische Wachstum war nicht nachhaltig. Es kam nicht von innen, sondern von außen. Um das zu ändern, muss die Politik sich ändern, und zwar nicht nur die Wirtschaftspolitik. Doch dafür gibt es bisher keine Anzeichen. Trägheit siegt. Leider.


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