Panik-Attacken? Hausdurchsuchungen bei Putingegnern

„Nun warten alle ab, wie viele Menschen am Dienstag (am „Tag Russlands“) zur Demonstration kommen. Und was dort passieren wird.“ Mit diesem Satz beendete ich gestern meinen letzten Blog-Eintrag. So lange brauchten wir gar nicht zu warten. In einer Art Panik-Attacke schlug der Putinsche Repressionsstaat gleich am frühen Montagmorgen zu. Bei zehn wichtigen FührerInnen der Oppositionsbewegung gleichzeitig tauchten am Feiertag Männer in Masken auf und rissen die Hausherren und –damen aus dem Schlaf. Dann folgten den ganzen Tag lang Hausdurchsuchungen, die selbst jetzt am späten Abend in einigen Fällen noch nicht beendet sind.

Dafür gibt es schon eine offizielle Erklärung des „Ermittlungskomitees der Staatsanwaltschaft“ (Russisch) einer vor einigen Jahren von Putin eigens geschaffenen neuen Strafverfolgungsbehörde, die, mit enormen Vollmachten ausgerüstet, irgendwo zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft agiert und von Putin-Freund Alexander Bastrykin geleitet wird. Diese Erklärung ist so selbstentlarvend, dass ich den ersten Ansatz trotz seiner ein wenig umständlichen Sprache wörtlich wiedergebe:

„Im Gang der Durchsuchungen, die im Rahmen der Strafsache in Bezug auf die Massenunruhen und Gewaltanwendungen gegenüber Vertretern der Staatsmacht am 6. Mai auf dem Bolotnaja Platz durchgeführt wurden, wurden in den Wohnungen von Sergej und Aanstassija Udalzow, der Gehilfin des Abgeordneten der Staatsduma Ilja Ponomarjow Maria Baronowa, von Ilja Jaschin und Ksenija Sobtschak eine große Menge von Agitationsprodukten und Literatur mit antistaatlichen Losungen, elektronische Datenbanken und Computer, die Informationen enthalten, die eine Bedeutung für die Strafsache haben, konfisziert. Außerdem wurde bei den Udalzows eine Liste mit Personen konfisziert, die ihre Ansichten unterstützen (das sogenannte Aktiv).“

Es geht also um politische Agitation gegen den Staat. Und um diejenigen, die diese Agitation unterstützen. Nun ist im heutigen Russland Kritik am Staat durchaus erlaubt und nicht, wie im berüchtigten Paragraph 58 („Antisowjetische Propaganda“), verboten. Und das neue Wunderwort des russischen Strafrechts, „Extremismus“, nimmt der Pressesprecher des Ermittlungskomitees Wladimir Markin nicht in den Mund. Dafür darf etwas anderes nicht fehlen. In zwei der Wohnungen seien „mehr als 100 Umschläge mit europäischer und amerikanischer Valuta“ im Wert von insgesamt „mehr als 1 Mio. Euro“ konfisziert worden. Deren Herkunft und Verwendungszweck müsse nun festgestellt. Zu diesem angeblichen Fund hat Putin seit Jahren immer wieder das Stichwort gegeben, wenn er die Opposition beschuldigte, aus dem Ausland finanziert zu werden. Die angeblich gefundenen Dollar und Euro, und dann auch noch in solchen Mengen, fein zum Verteilen passend verpackt, kommen da nun natürlich ein gut zu pass.

Doch was werden die Durchsuchungen bewirken. In den sozialen Netzwerken im Internet breitete sich nach der ersten Wut am Morgen schnell eine Trotzhaltung aus. Nun erst recht, hieß es in vielen Kommentaren, in denen auch oft bekannt wurde, eigentlich nicht demonstrieren gewollt zu haben. Auch Gleb Pawlowskij, während der ersten beiden Präsidentschaften Putins einer der wichtigsten Ideologen des Kremls, seit einiger zeit aber zum Putinkritiker geworden, glaubt, dass es eine bessere Werbung für die Großdemonstration gegen Putin morgen in Moskau kaum geben könne. Nun seien wirklich alle wach. Diese Hoffnung haben natürlich auch die OrganisatorInnen.

Doch ist die „Staatsmacht“ wirklich so dumm? Der Politologe Dmitrij Oreschkin, ein allseits geschätzter Beobachter, glaubt in der Nowaja Gaseta, Putin habe sich mit seiner These von der „großen und mächtigen UdSSR“,die ein Mythos sei, „selbst in die Ecke getrieben“. Seine soziale Machtbasis bröckele, die Wirtschaft komme nicht wieder richtig auf die Beine und viele Beamte und hohe Politiker sorgten sich schon lange vor allem nur noch um ihre persönliche Zukunft, also darum, wie sie möglichst ungeschoren davon kommen, sollte das Putin-Regime fallen.

Oreschkin könnte Recht haben. Es kann aber auch alles anders kommen und noch hat der Staat, hat Putin es in der Hand. Sollte es morgen zu Straßenschlachten kommen – und ob es dazu kommt, entscheidet vor allem die Polizei-, ließen sich wahrscheinlich noch mehr und noch härtere Repressionen durchsetzen und die Oppositionsbewegung als extremistisch und gewaltbereit denunzieren. Dadurch ließe sie sich entweder spalten oder insgesamt kriminalisieren. Aber vielleicht ist ja gerade das die Rechnung, die im Kreml aufgemacht wird.

Immerhin können die heute Durchsuchten dann ihre Hände in Unschuld waschen. Sie müssen am morgigen Demonstrationstag um 11 Uhr bei der Staatsanwaltschaft zur Vernehmung erscheinen. Und das kann dauern.