Der russische Präsident Dmitrij Medwedjew hat Stalins Taten in einem langen Interview mit der Tageszeitung Iswestija ein „Verbrechen gegen sein Volk“ genannt und deren Verurteilung zur russischen Staatsideologie erklärt. Gleichzeitig schränkte er Stalins Rolle beim Sieg über das nationalsozialistische Deutschland ein. Sie sei zwar, wie die anderer militärischer Führer auch, „wichtig“ gewesen, gewonnen aber hätte das „Volk“, „mit unglaublichen Anstrengungen und um den Preis einer riesigen Mengen an Menschenleben“. Eine ins Deutsche übersetzte Dokumentation der entscheidenen Passagen hängt unten an.
Ich dokumentiere hier die entsprechenden Abschnitte in eigener Übersetzung auf Deutsch. Das vollständige Original steht auf der Präsidentenwebsite auf russisch und auf englisch:
„Es gibt völlig
offensichtliche Dinge – den Großen Vaterländischen Krieg hat das Volk gewonnen,
nicht Stalin und nicht einmal die Militärführer, bei aller Wichtigkeit dessen,
was sie getan haben. Ja, ihre Rolle war fraglos sehr wichtig, aber gleichzeitig
haben die Menschen den Krieg mit unglaublichen Anstrengungen, um den Preis
einer riesigen Menge von Leben gewonnen.
Was die Rolle
Stalins angeht, so kann man sie unterschiedlich bewerten. Die einen sind der
Meinung, dass die Rolle des Oberkommandierenden außerordentlich war, die
anderen dagegen, dass das nicht der Fall ist. Doch das ist nicht die Frage. Es
geht vielmehr darum, wie wir insgesamt die Figur Stalin selbst bewerten. Wenn
wir über die Bewertung des Staates reden, darüber wie Stalins Führung des
Landes in den vergangenen Jahren, vom Zeitpunkt des Erscheinens des neuen
russischen Staates an bewertet wird, so ist die Bewertung offensichtlich –
Stalin hat massenhafte Verbrechen gegen sein Volk begangen. Und unabhängig
davon, dass er viel arbeitete, unabhängig davon, dass unter seiner Führung das
Land Erfolge aufzuweisen hatte, kann das, was in Beziehung auf das eigene Volk
getan worden ist, nicht vergeben werden. Das ist das Erste.
Zweitens. Die Menschen, die Stalin lieben oder
Stalin hassen, haben das Recht auf ihre Sichtweise. Und dass viele Veteranen,
Menschen aus der Generation der Sieger gut auf Stalin zu sprechen sind, das ist
nicht verwunderlich. Ich meine, dass sie dazu das Recht haben. Jeder Mensch hat
das Recht auf seine eigene Meinung. Eine andere Frage ist, dass solche
persönlichen Meinungen keinen Einfluss auf die Bewertung durch den Staat haben
dürfen. Und diese Bewertung habe ich Ihnen gerade ausgeführt.
Mir scheint, dass
dieses Thema manchmal „hochgeschaukelt“ wird. Wenn von den Beziehungen zu Stalin
und einigen anderen Führungspersonen die Rede ist, dann gab es in den 1990er
Jahren nicht wenige Verehrer dieses Menschen. Und nun wird plötzlich
angefangen, darüber zu sprechen. Ja, historische Figuren können Objekte der
Vergötterung oder der Anbetung werden. Manchmal beschäftigen sich junge
Menschen damit, besonders junge Menschen „linker“ Orientierung. Aber das ist
deren Sache, letztendlich. Obwohl es natürlich für die Mehrheit der Menschen in
der Welt offensichtlich ist, dass die Figur Stalin keinerlei freundliche
Gefühle auslöst.
Aber man kann
keinesfalls sagen, dass der Stalinismus in unseren Alltag zurück kehre, dass
wir die Symbole zurück holen, dass wir vorhaben, irgendwelche Plakate zu
benutzen oder noch irgendwas anderes zu machen. Das gibt es nicht und wird es
nicht geben. Das ist völlig ausgeschlossen. Und darin besteht, wenn Sie so
wollen, die gegenwärtige staatliche Ideologie und meine Bewertung als Präsident
der Russischen Föderation. Deshalb würde ich hier immer die staatliche Bewertung
von persönlichen Bewertungen trennen.“