Der Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow beharrt darauf, zum „Tag des Sieges“ über das nationalsozialistische Deutschland am 9. Mai Portraits von Stalin in Moskau Straßen aufzuhängen. Stalin sei Oberbefehlshaber der Roten Armee im „Großen Vaterländischen Krieg“ gewesen, so Luschkow, und es sei somit eine Frage der „historischen Objektivität“, sein Bild neben die Bilder anderer zu hängen, die den Sieg errungen haben. Außerdem gebe es „zahlreiche Bitten von Veteranen“. Ich dokumentiere eine Erklärung russischer Menscherechtsgruppen, darunter Memorial und die Moskauer Helsinki Gruppe gegen dieses Vorhaben:
Der Tag des
Sieges darf nicht spalten
Die Moskauer
Behörden beharren auf ihrem Vorhaben, zum Tag des Sieges in Moskau
Stalinportraits aufzuhängen. Schon in dieser Woche soll damit begonnen werden.
Die demagogischen Hinweise des Moskauer Bürgermeisters auf eine „historische
Objektivität“ sind lächerlich.
Das Schmücken der Stadt zu einem
Fest gleicht nicht einer Ausstellung in einem Museum, in der alle handelnden
Personen gezeigt werden müssen: Stalin, und der von Stalin zum Marschall und
seinem Stellvertreter im Staatlichen Verteidigungskomitee gemachte Berija, und
Hitler, der für Stalin mal ein Freund und dann ein Feind war und viele andere.
Das Aufhängen von Stalinportraits ist mit der Achtung des Volkes als Sieger
unvereinbar. Denn gerade Stalin trägt die Verantwortung für die Verbrechen
gegen das eigene Volk und für den ungeheuerlichen Preis des Sieges. Gerade die
Verbrechen Stalins verdunkeln bis heute die Beziehungen Russlands zu seinen
Nachbarländern, den näheren wie den ferneren.
Das Aufhängen von Bildern des
Diktators im Zusammenhang mit dem Feiertag kann nicht anders denn als seine Glorifizierung,
als Rechtfertigung des Terrors aufgefasst werden. Tausende Moskauer werden am
Tag des Sieges gezwungen auf die Portraits des Mörders ihrer Väter und
Großväter zu schauen. Es ist nicht schwer zu verstehen, welche Gefühle
denjenigen gegenüber sie haben werden, die die Stadt mit den Portraits des
Henkers „schmücken“. Natürlich werden sich viele mit der Glorifizierung des
Mörders nicht abfinden.
Das Aufhängen der Stalinportraits
wird spontane Reaktionen der Moskauer provozieren. Die Verantwortung für
mögliche Zwischenfälle und Zusammenstöße geht vollständig auf das Gewissen der
Moskauer Behörden. Wir rufen den Moskauer Bürgermeister noch einmal auf, den
Feiertag für das ganze Volk nicht in eine Konfrontation der Bürger untereinander
zu verwandeln.
Internatonale und Moskauer Gesellschaft
„Memorial“
Moskauer Helsinki Gruppe
Andrej-Sacharow-Zentrum und Andrej Sacharow-Museum
Stiftung zur Verteidigung von
Glasnost
Bewegung „Für Menschenrechte“
Zentrum zur Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten
Moskau
19.4.2010
Übersetzung: Jens Siegert