Russisches Sozialministerium will Zwangsarbeiterstiftung schließen – Memorial protestiert

Vor 16 Jahren wurde in Russland die Stiftung „Verständigung und Versöhnung“ gegündet (wie im Übrigen in der Ukraine und in Belarus auch). Gründer war der russische Staat; Aufgabe der Stiftung war die Auszahlung deutscher und österreichischer Kompensationszahlungen an ehemalige sowjetische Zwangsarbeiter im großen deutschen Nazireich (Österreich inclusive). Die erste große Summe von einer Milliarde D-Mark hatte die Regierung Kohl bereits 1994 zur Verfügung gestellt. Weitere 10 Milliarden D-Mark kamen zur Hälfte von deutschen Industrieunternehmen und dem deutschen Staat unter der rot-grünen Bundesregierung am Anfang des vergangenen Jahrzehnts. Der unlängst verstorberbe Graf Lambsdorff hatte die Abmachung zu dieser auf internationalen, vor allem US-amerikanischen Druck erfolgten Zahlung auf Bundeskanzler Schröders Bitte hin vermittelt.

Bereits vor einigen Jahren hat die russische Stiftung die Kompensationszahlungen abgeschlossen. Seither, seit 2005, organisiert die im Rahmen des internationalen Programms „Treffpunkt – Dialog“ kulturelle und soziale Aktivitäten mit und für ehemalige ZwangsarbeiterInnen. Das Geld dafür kommt wieder aus Deutschland, von der Stiftung „Verantwortung, Erinnerung, Zukunft“, die aus einem Teil der bereits erwähnten 10 Milliarden D-Mark im Jahr 2000 gegründet worden war. Das reicht von praktischer Lebenshilfe in allen Lebenslagen bis zur Organisation von Reisen nach Deutschland, zu den damaligen Orten des Leidens. Für viele ehemalige ZwangsarbeiterInnen ist die Stiftung zu einem wichtigen Bezugspunkt im Alter geworden; und das nicht nur in Moskau, sondern im ganzen großen Land.

An Entstehen und Arbeit der russischen Zwangsarbeiterstiftung nahmen und nehmen auch Memorial und die Heinrich Böll Stiftung Anteil. Das Schicksal der von den Nationalsozialisten so genannten „Ostarbeiter“, eine Bezeichnung, die von vielen ehemaligen ZwangsarbeiterInnen heute noch (beziehungsweise wieder, denn zu Sowjetzeiten was das ein Tabu) selbst benutzt wird, stand ganz am Anfang unserer nun schon über zwanzigjährigen engen Partnerschaft. Bei einem Besuch einer grünen Delegation (bestehend u.a. aus Petra Kelly und Lukas Beckmann) noch in der Sowjetunion 1989, hatten die Grünen zusammen mit dem Memorial-Gründer und ersten Vorsitzenden Andrej Sacharow öffentlich in einer Pressekonferenz nach dem Schicksal dieser nach ihrer Rückkehr in der Sowjetunion erneut verfolgten und diskriminierten Naziopfer, dieser „Opfer zweier Diktaturen“ gefragt.

Nachdem die Wochenzeitung „Nedelja“ – fälschlicherweise – berichtet hatte, ehemalige Zwangsarbeiter sollten Memorial und der Heinrich Böll Stiftung schreiben, es gäbe Kompensation, erhielten unsere beiden Organisationene binnen weniger Jahre mehr Briefe von mehr als 400.000 Menschen. Diese Briefe waren die Grundlage einer bis Mitte der 1990er Jahre bei Memorial aufgebauten Datenbank, die bis heute den ehemaligen Opfern, WissenschaftlerInnen, JournalistInnen und allen, die ehemalige Zwangsarbeiter suchen zur Verfügung steht. Auch bei der Ausszahlung der Kompensationsgelder würde diese Datenbank mit herangezogen.

Jelena Schemkowa, Geschäftsführerin von Memorial und von Anfang an Leiterin unseres gemeinsamen Zwangsarbeiterprojekts, ist seit Gründung der russischen Stiftung „Verständigung und Versöhnung“ Mitglied des Aufsichtsrats. In einem Artikel, der morgen (25.1.10) in der Nowaja Gaseta erscheint, wendet sie sich entschieden gegen die vom zuständigen russischen Sozialministerium geplante Schließung. „Es scheint, als könne niemand etwas gegen die Fortsetzung der Arbeit der Stiftung haben“, fragt Frau Schemkowa rethorisch und ziziert dann aus einem Memorial zugespielten Entschließungsantrag des  Ministeriums an das Kabinett. Das Ziel, dessetwegen die Stiftung einst eingerichtet worden sei, die Auszahlung der Kompensationsgelder sei erfüllt, heißt es da. Und weiter in gestelztem Amtsrussisch: „Eingedenk dessen, dass die Stiftung gegenwärtig keine Maßnahmen in der Sphäre der Sozialpolitik mehr durchführt und auch dem Ministerium nicht untergeordnet ist, scheint es sinnvoll (…) die Frage über die Ordnung der Durchführung von Maßnahmen zu ihrer Liquidierung zu stellen.“

Offenbar, so fragt Frau Schemkowa ironisch, entstammen die oben beschriebenen Aktivitäten der Stiftung in den Augen der Ministeriumsbeamten nicht „der Spähre der Sozialpolitik“. Es sei geradezu zynisch von russischer Seite, die Stiftung zu schließen, nachdem das aus Deutschland und Österreich stammenden Geld ausgegeben sei. Der finanzielle Beitrag der russischen Seite hab sich, so Frau Schemkowa, „auf den Verlust eines Teils der Gelder durch den Staatsdefault 1998“ beschränkt. Frau Schemkowa sieht den wirklichen Grund der Schließung zum jetzigen Zeitpunkt darin, dass die russische Regierung künftig erstmals in die Stiftung investieren müsste, da ihr 2010 erstmals das Geld zur Mietzahlung für die Büroräume in Moskau fehlen. Außerdem: „Für unterschiedliche, oftmals völlig unsinnige hurrapatriotische Ansinnen findet sich Geld, und zwar nicht wenig. Zur Unterstützung einer funktionierenden Struktur, die ganz praktisch Naziopfern hilft, sind sogar symbolische Besträge zu schade.“

Immerhin scheint nicht die ganze russische Regierung die Position des Sozialministeriums mit ihrer allgemein als „liberal“ eingeschätzten Ministerin Tatjana Golikowa zu unterstüzten. Ausgerechnet der Hort des Konservatismus, das russische Außenministerium ist sensibler, wenn auch nicht aus Sorge um das Schicksal und Wohlergehen der ZwangsarbeiterInnen. Dort rät man, „aus Imagegründen“, die Stiftung nicht zu schließen, zumindest nicht im Vorfeld der von Kreml besonders üppig geplanten Feiern zum 65. Jahrestag des Siegs über Hitlerdeutschland am 9. Mai 2010.

Einer der wichtigsten Slogans dieser Feiern wird wieder sein „Niemand ist vergessen, nichts wird vergessen“. Offenbar sind die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen immer noch nicht in die große Gemeinschaft der gemeinsam Leidenden und gemeinsam Siegenden in Russland aufgenommen. Sie bleiben Opfer zweier Diktaturen.


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