Die Präsidentenwahlen heute in der Ukraine werden in Russland weit ruhiger aufgenommen und kommentiert als vor fünf Jahren. Das zeugt nicht von Desinteresse, beileibe nicht, sondern hat schlicht gute Gründe. Sollten die Umfrageergebnisse nicht gänzlich daneben liegen, dürfen sich die meisten russischen Politiker über das Ergebnis freuen. Denn erstens werden sie den allseits verhassten Viktor Juschtschenko endlich los (es wäre eine eigenen Eintrag wert, den Geifer in Russland zu beschreiben, mit dem jeder Schritt von Juschtschenkos „Ukrainisierungspolitik“ hierzulande aufgenommen wurde). Und zweitens glaubt man im Kreml, sowohl mit Viktor Janukowitsch als auch mit Julija Timoschenko gut zurecht kommen zu können.
Dabei ist es beileibe nicht so, dass Janukowitsch der unumstrittene Favourit national und geopolitisch orientierter Machtpolitiker (und das sind eigentlich fast alle) in Russland ist. Nicht wenige ExpertInnen sind sogar davon überzeugt, dass die Hausherren in Kreml und Weißem Haus lieber Timoschenko als ukrainische Präsidenten sähen. Das hat mehrere Gründe.
Zum einen ist der russische Blick auf die ukrainische Innenpolitik in den vergangenen Jahren nüchterner geworden. Zwar gibt es außer einigen radikalen russischen Nationalisten (wie z.B. Konstantin Satulin), so seltsam das auch klingen mag, bis heute kaum wirklich gute Ukrainespezialisten in Russland. Das mag vor allem daran liegen, dass vielen Politiker und Experten meinen, die Ukraine auch so gut zu kennen. Wenn auch nicht mehr überall im Kopf, so ist sie doch im Herzen für die meisten immer noch kein Ausland. Doch zumindest in der politischen Oberklasse, in der unmittelbaren Umgebung von Präsident und Premierminister scheint sich die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass man es auf Dauer mit einem unabhängigen ukrainischen Staat zu tun hat. Den, so ist das Ziel, möchte man so sehr wie möglich unter die eigenen Fittiche bekommen, aber eine „Wiedervereinigung“ ist gegenwärtig weder Nah- noch Fernziel. Als all zu groß werden, so solche Ideen nicht gleich ins Land der Träume verbannt werden, die politischen und ökonomischen Kosten für einen solchen Schritt angesehen.
Janukowitsch wird aus zwei Gründen als der aus russischer Sicht schlechtere ukarinische Präsident angesehen. Zum einen wäre er in der Ukraine selbst als Mann aus dem russischsprachigen Osten ständig dem Zwang ausgesetzt, sich als „guter ukrainischer Patriot“ zu zeigen. Das würde seinen Spielraum für prorussische oder für Russland günstige Initiativen, so die Überlegung in Moskau, erheblich einschränken. Jeder seiner Schritte stände bei vielen Menschen in der Ukraine unter dem Generalverdacht zu großer „Russenfreundlichkeit“. In den für Russland drei wichtigsten Fragen Gastransport, Schwarzmeerflotte und Status der russischen Sprache wird der neue ukrainische Präsident oder die neue Präsidenten wenig Entscheidungsspielraum haben (siehe dazu: Wahlen in der Ukraine – gelassene Hoffnung in Russland, spätere Enttäuschung nicht ausgeschlossen).
Doch nicht nur das ist ein Minus für Janukowitsch. Auf russischer Seite ist man überzeugt, sich mit Julija Timoschenko leichter verständigen zu können. Das liegt einerseits in der Persönlichkeit der beiden KandidatInnen. Timoschenko gilt als weniger als macht- denn als gewinnorientiert. Jnaukowitsch wird in Russland oft eine gewisse Schwerfälligkeit attestiert. Außerdem gilt seine Herkunft und seine Verbindungen mit berufskriminellen Strukturen als Hindernis. Es umgebe sich mit eher weniger klugen, weniger mobilen Beratern, denen zudem ein eher grober Habitus anhänge, heißt es dazu oft mit einem gewissen Bedauern in Moskau.
Doch es sind natürlich nicht diese, man könnte sagen soziokulturellen Schranken, die Janukowitsch zur zweiten Wahl der Putin-Riege nach Timoschenko machen. Er kontrolliert schlicht die falschen Industriezweige in der Ukraine. Russlands Interessen dort liegen im Öl- und Gasbereich. Hier ist Timoschenko die Mächtige. Mit ihr lässt sich, so die russische Erfahrung, letztendlich ein Kompromiss finden, der für beide Seiten gewinnbringend ist. Solange sich, so die Kremlsicht, Juschtschenko nicht eingemischt und diese „rein wirtschaftlichen Fragen“ nicht „politisiert“ hat, liefen die russisch-ukrainischen Geschäfte durchaus zufriedenstellend. Mit der kühlen Geschäftsfrau Timoschenko ließen sich auch andere politische Fragen regeln, so die Moskauer Rechnung.
Janukowitsch, dessen Einfluss und geschäftliche Interessen vor allem in der Schwerindustrie lieben, konkurriert hingegen direkt mit einflussreichen russischen Interessen. Diese wirtschaftliche Konkurrenz, so die Befürchtung, könnte sich bei einem Präsidenten Janukowitsch in eine politisch verwandeln.