Wenn das kein Fall für die neue Kreml-Kommission für historische Wahrheiten ist. Ein Militär und Historiker namens Oberst Sergej Kowaljow (nur eine zufällige Namensgleichheit mit dem bekannten Dissidenten und früheren Menschenrechstbeauftragten!) behauptet in einem Aufsatz auf der Website des russischen Verteidigungsministeriums, letztendlich sei Polen selbst Schuld am deutschen Überfall am 1. September 1939 und damit am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Wörtlich heißt es da unter der Überschrift „Erfindungen und Fälschungen in Bewertungen der Rolle der UdSSR vor und am Beginn des zweiten Weltkriegs“: „Jeder, der die Geschichte des zweiten Weltkriegs unvoreingenommen studiert hat weiß, dass er begann, weil Polen sich weigerte, deutsche Forderungen zu erfüllen.“ Und weiter: „Im übrigen waren die deutschen Forderungen durchaus angemessen: Die freie Stadt Danzig in das Dritte Reich einzugliedern, sowie den Bau einer exterritorialen Autobahn und Eisenbahnlinie zwischen Ostpreußen und dem Kerngebiet Deutschlands zu erlauben.“ Und dann singt der Autor das Lied von der Ungerechtigkeit des Versailler Vetrags, die Deutschland zu beseitigen auch unter Hitler alles Recht gehabt habe. Schuld seien aber auch die West-Alliierten, also Frankreich und Großbritannien, die Polen mit Unterstützungszusagen in die Illusion getrieben hätten, sie könnten Deutschland widerstehen.
Verrückt? Aber ja doch! Unlogisch? Nicht so ganz, jedenfalls nicht, wenn es darum geht, von russischer Seite her den Hitler-Stalin-Pakt zu rechtfertigen. Denn damit geht es weiter, mit der wenig originellen, weil oft wiederholten Version, Stalin habe den Pakt mit Hitler abschließen müssen, um Zeit für den Aufbau einer angemessenen Verteidigung zu gewinnen, weil die Appeasementhaltung der West-Alliierten die Sowjetunion gegenüber dem agressiven, nationalsozialistischen Deutschland allein gelassen habe. So wird das Münchner Abkommen von 1938 zur Rechtfertigung für den Hitler-Stalin-Pakt (der übrigens in Russland meist lieber Molotow-Ribbentropp-Pakt genannt wird). Das alles passt sehr gut zu den jüngsten Versuchen, Stalin als zwar durchaus harten, aber effektiven Manager darzustellen, der seine grausamen Taten begangen habe, um das Land zu retten und zu modernisieren.