Soweit wie die FDP sind Putin und die Seinen natürlich noch nicht. Doch die Nervosität steigt und mit ihr die Fingerfehler, die einfachen, alltäglichen. Meist sind es keine katastrophalen, keine entscheidenden Fehler, aber sie häufen sich, sie fallen auf, sie werden im Netz schnell und massenhaft verbreitet und sie bleiben, im Gegensatz zu früher nicht nur in Erinnerung. Sie bleiben hängen. Das will ich an zwei Beispielen der vergangenen Tage erläutern.
Nikita Belych ist eine Rarität. Er ist der einzige Gouverneur, der aus einer der früheren liberalen Parteien stammt, in diesem Fall die „Union der Rechten Kräfte“, russisch SPS abgekürzt, deren letzter Vorsitzender er war. Die SPS gibt es nicht mehr, sie ging zwangsweise im Versuch des Kremls auf, mit der Partei „Rechte Sache“ eine gut steuerbare Partei mit liberalem Image ihrem kleinen Parteienzoo hinzuzufügen. Das gelang eher schlecht als recht, ist hier aber nicht Thema.
Nikita Belych, erst 36 Jahre alt, wurde im Dezember 2008 erst von Medwedjew als Gouverneur des Bezirks Kirow, nordwestlich von Moskau, vorgeschlagen und dann vom Regionalparlament gewählt. Das war eines der sogenannten „liberalen Signale“ Medwedjew, die, fein gestreut, immer wieder, letztendlich vergebliche, Hoffnung auf liberale Reformen weckten. Seither regiert Belych das wirtschaftliche eher depressive Gebiet nicht gut, nicht schlecht, vielleicht besser als viele andere Gouverneure, was aber angesichts des hohen Zentralisierungsgrads in Russland nicht so großen Unterschied macht.
Am vergangenen Dienstag nun wurde Nikita Belych, wie aus dem Nichts, Ziel eines öffentlichen Frontalangriffs von niemand anderem als Premierminister Wladimir Putin selbst. In einer Videokonferenz mit ausgewählten Regionalchefs besprach Putin fernsehöffentlich ganz unterschiedliche Fragen jeweils regionaler Bedeutung. Aus Kirow war einer von Belychs Stellvertreter zugeschaltet. Der musste sich plötzlich Putins Tirade über eine 60-prozentige Tariferhöhung für Heißwasser in einer Stadt im Gebiet Kirow anhören. Dafür würde die Gebietsverwaltung zur Verantwortung gezogen, sie habe ihre Aufsichtspflichten verletzt. Und überhaupt, verlangte Putin zu wissen, wo denn der Gouverneur selbst sei.
Die Antwort „im Urlaub“ rief Putins erneuten Zorn hervor (gerade am Tag zuvor waren die landesweiten neuntägigen Neujahrsferien zu Ende gegangen). Er wetterte gegen die Faulheit Belychs und dass der sich gefälligst schnellstmöglich zum Dienst einzufinden habe. Die Nachrichtenticker liefen heiß und das Rätselraten begann, was denn dieser Angriff auf den einzigen liberalen Gouverneur in Zeiten der politischen Krise zu bedeuten habe. Diese Frage ist bis heute unbeantwortet, auch wenn am Wochenende aus „gut unterrichteten Kreisen“ zu hören war, der Attacke Putins werde in Kürze eine noch massivere der kremlnahen landesweiten Fernsehkanäle folgen.
Doch nicht das ist wichtig. Wichtiger, im Lichte der Zeit, sind die Reaktion Belychs und ihr Inhalt. Belych antwortete über das Internet, über seinen persönlichen Blog im russischen Live Journal. Dort schrieb er, dass die exorbitante Tariferhöhung längst, schon im Dezember, zurück genommen sei, der zuständige Operator, eine Privatfirma, der der Fehler passiert war, bereits geschurigelt und den betreffenden Anwohnern das zuviel gezahlte Geld mit der Dezemberrechnung zurückerstattet sei. Zum Beweis hängte Belych ein Faksimile einer Abrechnung an.
Auch mit dem Urlaub, so Belych weiter, habe es alles seine Ordnung. Erstens sei er vom 2. bis 6. Januar am Arbeitsplatz gewesen (während das Land und auch Putin sich erholten), sein Urlaub vom 7. bis zum 10. Januar (den Tag der Putin-Attacke) sei ordnungsgemäß von dem dazu zuständigen Präsidentenvertreter und Präsident Medwedjew selbst genehmigt. Faksimile ebenfalls anliegend. So cool hat Putin wohl lange niemand mehr abblitzen lassen. Das Netz hatte einen neuen Helden, das Fernsehen schwieg natürlich.
Was war das nun? Wenn es eine ernst gemeinte und geplante Attacke war, dann war sie grottenschlecht vorbereitet. Daraus spräche entweder große Nervosität oder noch größere Hybris. Beides keine guten Zeichen. Wenn es ein spontaner Einfall Putins war, dann zeigt gilt das Gleiche. So oder so ist diese kleine, letztlich wohl eher unbedeutenden Geschichte, ein weiterer Beispiel dafür, in wie großem Maße Putin die Fortune verlassen hat. Mann könnte es auch den Verlust des Gespürs für das Land nennen. Das Land, das sich offenbar in rasender Geschwindigkeit verändert.
Der zweite Lapsus der Woche unterlief der Zentralen Wahlkommission. Dem russischen Wahlgesetz nach muss ein Kandidat, der entweder Journalist ist oder im Staatsdienst steht, für die Zeit des Wahlkampfes Urlaub nehmen. Das kann und darf aber nicht für den Kandidaten Putin, Wladimir Wladimirowitsch gelten. Doch wie sagt man es dem Kinde für das das Volk in den oberen Machtzentralen ganz offenbar gehalten wird?
Die Zentrale Wahlkommission fand eine geniale Lösung: Putin sei als Premierminister kein Staatsdiener, also müsse er auch nicht in den Zwangsurlaub. Nun ist es im Russischen wie im Deutschen. Ein Staatsdiener „dient dem Staat“. Kaum waren die Worte aus dem Mund eines unglückseligen Wahlkommissionssprechers, als auch schon das ganze Internet mit kleinen Artikelchen unter der Überschrift „Zentrale Wahlkommission: Putin dient nicht dem Staat“ geflutet wurde. Spott und Hohn landauf, landab.
Und wieder gilt: Noch vor Kurzem hätte solch eine kleine Ungeschicktheit außerhalb der Gruppe der üblichen Verdächtigen kaum Aufmerksamkeit erzeugt. Heute weiß es spätestens abends das halbe Land (also der Teil, der regelmäßig im Internet unterwegs ist). Vielleicht sollten sich die FDP und die Putin-Leute mal zusammen setzen. Oder besser nicht.