100 Jahre Gründung der sowjetischen Geheimpolizei – Erklärung von Memorial

Heute vor 100 Jahren wurde die Tscheka gegründet, die „Außerordentliche Kommission“, politisches Terrorinstrument der gerade an die Macht gekommenen Bolschewiken und (stolz aufgenommene) Vorgängerin aller russischen Geheimpolizeien danach bis heute. Dieser Tag wird in Russland offiziell als „Tag der Mitarbeiter der Sicherheitsorgane begangen“. Der heutige FSB-Chef Alexander Bortnikow hat das zum Anlass genommen, seine, wie soll ich sagen, Organisation, in der Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta“ historisch einordnet. Was erfahren wir? Die Repressionen unter Stalin waren Bortnikow zufolge weitgehend berechtigt. Im Großen Terror traf es vor allem Mitarbeiter der Geheimdienste, die korrupt gewesen seien. Dabei sei „ein wenig über die Stränge“ geschlagen worden. Danach, 1938, löste dann (der Schlächter, JS) Berija (den Schlächter, JS) Jeschow ab und alles wurde gut. Auch zuvor, als Stalin sich in Schauprozessen seiner politischen Konkurrenten und ehemaligen Revolutionsmitkämpfer entledigte, war für Bortnikow alles in Ordnung. Denn, so sieht er es, Trotzki, Bucharin, Kamenew und all die anderen hatten doch Verbindungen ins Ausland, waren also (eine, wie man in Russland so sagt, „eiserne Logik“) Spione und ausländische Agenten. Selbst Schuld, wer so gegen den eigenen, sorgenden Staat und das gutmütig Pfeife rauchende Väterlichen Stalin intrigiert (meine Zuspitzung). Leider muss man annehmen, dass Bortnikow hier keine besondere, nur eigene Meinung kundtut. Außer dem Land insgesamt sollten sich vor allem zwei Gruppen besonders in Acht nehmen: Alle die mit dem Regime zusammen arbeiten oder gar für es arbeiten. Denn die Logik der Säuberung lebt. Und natürlich auch alle, die sich die Freiheit der Opposition herausnehmen. Kurz zusammen gefasst also einfach alle. Und nun zur erklöärung von Memorial:

Erklärung zum 100. Jahrestag der Gründung der Tscheka

Diese Organisation, die unter verschiedenen Namen existiert hat (GPU, OGPU, UGB, NKWD, MGB, KGB usw.), hat, was den Maßstab ihrer Verbrechen gegen Bürger des eigenen Landes angeht, in der Weltgeschichte nicht viele Konkurrenten.

Nachdem sie mit einem der ersten Dekrete alle alten Richter entlassen hatten, bauten die Bolschewisten unverzüglich ein System außergerichtlicher Abrechnungen mit ihren Opponenten auf. Aufgrund der verbrecherischen Tätigkeit dieses Systems wurden Millionen von Menschen in die Lager geschickt oder hingerichtet, ohne auch nur die geringste Möglichkeit, sich verteidigen zu können.

Seit 1995 wird der 20. Dezember offiziell als «Tag der Mitarbeiter der Sicherheitsorgane der Russischen Föderation» begangen.

Das ist eine fortgesetzte und offensichtliche Verhöhnung des Gedenkens an die Millionen Opfer.

Aber das ist auch ein Zeichen für die ganze Welt, dass das bolschewistische Regime noch keine Vergangenheit ist. Nicht die viele Jahrhunderte lange russische Geschichte ist der Bezugspunkt für die Staatsmacht des „postsowjetischen“ Russland, sondern das Jahr 1917.

Kaum jemand wird wohl behaupten, dass niemand die Interessen des russischen Staates bis 1917 verteidigt hat oder dass es Ziel des bolschewistischen Umsturzes war, den russischen Staat zu schützen. Trotzdem wurde aus der jahrhundertelangen Geschichte genau dieses Datum gewählt, an dem einer der blutrünstigsten Geheimdienste aller Zeiten und Völker gegründet wurde.

Das ist eine Schande für das heutige Russland. Das ist ein Unglück für das heutige Russland. Je länger das so geht, umso mehr wird Russland aufgrund der Weigerung seiner Machthaber sich von dieser Vergangenheit loszusagen, nämlich das kommunistische Regime verbrecherisch zu nennen und endlich die Archive der sowjetischen politischen Polizei zu öffnen, in den Augen der gesamten Welt für die sowjetischen Verbrechen verantwortlich sein.

Den «Tag der Tschekisten» unter welcher Bezeichnung auch immer beizubehalten, macht es schwer, an die Aufrichtigkeit der Reden bei der Eröffnung des Denkmals für die Opfer politischer Verfolgung zu glauben.

Man kann nicht gleichzeitig Abel und Kain ehren.

Ein solche Doppeldeutigkeit, schon nicht mehr durch die Angst vor Repressionen gerechtfertigt, birgt das Risiko in sich, die Geschichte zu wiederholen. Und dass wird nicht einmal in der Form einer Farce lustig sein.

Vorstand Memorial International
20 Dezember 2017