Zum 1. Februar wurde Memorial Rjasan als 6. Memorial-Mitgliedsorganisation vom russischen Justizministerium zum „ausländischen Agenten“ erklärt.
Erklärung von Memorial Rjasan:
Ausländische Agenten sind Figuren aus Spionsgeschichten, wir dagegen sind eine zivilgesellschaftliche Organisation, die offen die Rechte russischer Bürger schützt. Dass das Justizministerium diese Begriffe verwechselt, ist leider kein bedauerlicher Fehler, sondern eine zielgerichtete Kampagne gegen jede unabhängige zivilgesellschaftliche Tätigkeit. Diese Kampagne hat 2012 mit der Aufnahme der absurden und diskriminierenden „NGO-Agenten-Paragraphen“ in das NGO-Gesetz durch die Staatsduma begonnen.
Wir empfinden den Einschluss in das Agentenregister als Beleidigung und haben vor, diese Entscheidung und die Ergebnisse der Überprüfungen des Justizministeriums vor Gericht anzufechten.
Memorial Rjasan wurde 1989 von einer Gruppe von Bürgern gegründet. Unsere Mission ist die Bewahrung des historischen Gedächtnisses über die Opfer politischer Verfolgung und der Schutz der Rechte und Freiheiten der Menschen heute. In 27 Jahren haben mehr als 12.000 Bürger von unseren Spezialisten rechtliche Hilfe und Beratung erhalten.
Wir beraten, erstellen Beschwerden bei staatlichen Stellen, vertreten die Interessen von Bürgern vor Gericht, geben aufklärerische Schriften heraus und verbreiten über die Massenmedien Informationen über Verletzungen und die Verteidigung von Menschen- und Freiheitsrechten.
Dank unserer Arbeit haben Hunderte behinderte Menschen die notwendigen Hilfsmittel erhalten, darunter kostenlose Medikamente und Behandlung, sowie dem Bau von Auffahrtsrampen für Rollstühle. Unsere Juristen haben vor Gericht mehr als 400 für junge Erwachsene aus Kinderheimen und behinderte Menschen erstritten. Für Tausende Verwandte von Opfern politischer Verfolgung haben wir Informationen über den Verbleib ihrer Angehörigen gefunden und deren Rehabilitierung durchgesetzt. All diese Hilfe leisten wir ausschließlich unentgeltlich.
Diese Ergebnisse unserer Arbeit wären ohne die finanziell Unterstützung russischer und internationaler wohltägiger Stiftungen nicht möglich gewesen. Die Finanzierung erfolgte ausschließlich in Übereinstimmung mit der russischen Gesetzgebung und wurde von den russischen Aufsichtsbehörden vollständig kontrolliert.
Im Dezember 2015 haben Spezialisten der Rjasaner Abteilung des Justizministeriums im Verlauf einer Prüfung in unserer Arbeit „Anzeichen eines ausländischen Agenten“ gesehen. Aufgrund dieser Materialien wurden Memorial Rjasan in das Agentenregister aufgenommen.
Als „politische Tätigkeit“ unserer Organisation sieht das Ministerium die Verbreitung von Informationen durch das Internetportal „Menschenrechte in Ruslsand“ (Hro.org) an. Diese Webseite wird durch Projekte von Memorial Rjasan unterstützt und veröffentlicht seit 1996 täglich Informationen über Menschen- und Freiheitsrechteverletzungen in unserem Land.
Dabei haben die Mitarbeiter der regionalen Abteilung des Justizministeriums den Wahrheitsgehalt der verbreiteten Informationen nicht angezweifelt. Das Problem liegt darin, dass die Verbreitung von wahrhaftigen Informationen über Menschenrechtsverletzungen als „Versuch, die staatliche Politik zu beeinflussen“ eingestuft werden.
Diese äußerst weite Auslegung des Begriffs „politische Tätigkeit“ erlaubt es praktisch jede beliebige Handlung einer zivilgesellschaftlichen Organisation als solche zu qualifizieren, egal ob die Organisation sich nun an eine staatliche Behörde wendet oder, wie in unserem Fall, Materialien über die Verletzung von in der russischen Verfassung garantierten Menschenrechten veröffentlicht
Das haben die Spezialisten des Ministeriums ausgenutzt. Die Redefreiheit und das Recht, Informationen zu bekommen und zu verbreiten, in eben dieser Verfassung verankert, werden dabei völlig ignoriert.
Außerdem hat die Prüfung des Justizministeriums aus unerfindlichen Gründen die russische Finanzierung von Projekten ignoriert. Seit 2013 bekommt unsere Organisation Zuwendungen des Präsidenten der Russischen Föderation für Projekte zum Schutz der Rechte von Behinderten und Jugendlichen, die in Kinderheimen aufgewachsen sind.
Wessen Agenten sind wir also? Die Antwort ist einfach. Wir sind Agenten der russischen Bürger, der Einwohner der Stadt Rjasan. Wir haben einen makellosen Ruf in der Region. Jedes Jahr bitten uns mehr als 500 Bürger um Hilfe.
Unsere Tätigkeit ist transparent, öffentlich und effektiv. Wir handeln im Interesse der Menschen und nutzen dazu ausschließlich gesetzeskonforme juristische Methoden.
Wir fordern die Einhaltung der Verfassung und die Einhaltung der sozialen Verpflichtungen, die der Staat übernommen hat. Wir klagen gegen die Regional- und Kommunalverwaltungen und zwingen die Beamten dazu, russische Gesetze einzuhalten.
Genau deshalb wurde nicht nur einmal versucht, unserer Arbeit einen Riegel vorzuschieben und wird jetzt ein weiterer solcher Versuch unternommen.
Übersetzung: Jens Siegert