Das russische Justizministerium, den Eindruck könnte man gewinnen, arbeitet wie ein Schweizer Uhrwerk. Alle zwei-drei Wochen findet es ein paar neue „ausländiche Agenten“ unter russischen NGOs. Diesmal, kurz vor den Neujahrsferien und mitten in der westlichen Weihnachtsruhe, hat es drei NGOs erwischt: das Sacharow-Zentrum (ein enger Partner der Heinrich Böll Stiftung in Russland), das Kaliningrader Menschenrechtszentrum und und aus dem sibirischen Krasnojarsk die Vereinigung der Hochschulabsolventen. Damit sind inzwischen 24 NGOs, davon 23 gegen ihren Willen, nach dem seit November 2012 geltenden „Agentenparagraphen“ des NGO-Gesetzes zu „ausländischen Agenten“ erklärt worden (hier ist das Register – auf Russisch).
Beim Sacharow-Zentrum ging es nun besonders schnell. Während bisher meist von mehreren Monaten bis zu über einem Jahr zwischen „Prüfungen“ des Justizministeriums oder der Staatsanwaltschaft und der „Agentenerklärung“ lagen, dauerete es diesmal nur drei Wochen. Am 5 Dezember erst waren Beamte des Justizministeriums beim Sacharow-Zentrum aufgetaucht und hatten, sich auf eine „anonyme Anzeige eines Bürgers“ berufend, eine sogenannte „außerplanmäßige Prüfung“ begonnen. Sergej Lukaschewskij, Direktor der Sacharow-Zentrums, verweist darauf, dass sich die Arbeit des Zentrums seit seiner Gründung vor 25 Jahren nicht geändert habe. Frühere Prüfungen des Justizministeriums und der Staatsanwaltschaft hätten zudem ergeben, dass die Vorlesungen und Diskussionen, die das Sacharow-Zentrum organisiert, keine „politische Tätigkeit“ seien.
Andere NGOs verurteilten die Entscheidung des Justizministeriums. Als Beispiel dokumentiere ich hier eine Erklärung, die Arsenij Roginskij, Vorstandsvorsitzender von Memorial International im Namen der Organisation abgegeben hat (Original hier):
Erklärung
Der Schlag gegen das Sacharow-Zentrum ist ein Schlag gegen die intellektuelle Freiheit
Gegen unabhängige zivilgesellschaftliche Orgnsaitionen wurde ein neuer Schlag geführt. Nach Golos, das Menschenrechtszentrum Memorial, die Moskauer Schule für staatsbürgerliche Aufklärung, das Public Verdict und andere ehrenwerte zivilgesellschaftliche hat die Staatsmacht die Gesellschaftliche Kommission zur Bewahrung des Erbes der Akademikers Sacharow, bekannter als Sacharow-Zentrum, zu einem «ausländischen Agenten» erklärt.
Andrej Sacharow hielt die intellektuelle Freiheit für den wichtigsten allgemeinmenschliche Wert. Die Organisation von freien Diskussionen ist also nicht zufällig der Schwerpunkt der Arbeit des Sacharow-Zentrums geworden. Genau das schmeckt dem Justizministerium gar nicht. Die offene und schonungslose Diskussion brennender Fragen aus vergangenheit und Gegenwart Russlands wurden zu «politischer Tätigkeit im Interesse ausländischer Quellen» erklärt. Das sind Diskussionen, die unser Land, unsere Mitbürger nach unserer Meinung heute mehr als alles andere brauchen.
Wir fordern, unverzüglich diese Kampagne zu beenden, in der unabhängigen Organisationen solche Labels angehängt werden. Diese Kampagne kopiert die schlechtesten Beispiele der Verfolgung Andersdenkender aus der Sowjetzeit.
Das Sacharow-Zentrum zu einem «ausländischen Agenten» zu erklären, beleidigt nicht nur das Zentrum, es ist auch eine gewollte Beleidigung des Gedächtnisses an Andrej Sacharow selbst. Es wirft uns in die Epoche zurück, in der er selbst immer wieder des «Vaterlandsverrats» und der «Bedienung westlicher Interessen» beschuldigt wurde.
Wir erklären unsere Solidarität mit unseren Freunden im Sacharow-Zentrum
Wir sind davon überzeugt, dass sie, wie auch unsere Kollegen aus den anderen verfolgten Organisationen, ihre Arbeit selbst unter den schwierigsten Bedingungen weiter machen werden.
Im Namen von Memorial International
Arsenij Roginskij, Vorstandsvorsitzender
26.12.2014